Datenstrategie

Stammdaten managen und optimieren

Quelle: Foto: Jirsak / Shutterstock.com
19.04.2018
Eine schlechte Datenbasis verzögert Abläufe und treibt die Kosten in die Höhe. Entsprechend sind verlässliche Stammdaten das Herz­stück für einen profitablen Einsatz von Big Data und Business Intelligence.
Quelle: Lünendonk
Dieser Beitrag wurde von Dr. André Claassen verfasst, Berater bei der Unternehmensberatung KPS AG.
Computern die Preisgestaltung überlassen und jederzeit den Bestpreis erzielen: Vom Dynamic Pricing erwarten viele Online- und Multichannel-Händler bessere Einnahmen oder mehr Geschäft. Technologisch ist Dynamic Pricing bereits umsetzbar. Anhand von Verkaufs- und Absatzzahlen prognostizieren Programme, wie sich Nachfrage und Produktzyklus entwickeln, und legen unterschiedliche Preise fest – für Tageszeiten, Wochentage, Jahreszeiten, für Regionen oder einzelne Städte. Oder Dynamic Pricing gewährt Stammkunden ­höhere Rabatte als Neukunden. Gleiches gilt für Kunden, die oft hohe Warenkörbe oder geringe Retouren produzieren. Potenzielle Kunden wiederum lassen sich dank Dynamic Pricing mit kurzfristigen Aktionen locken.
Dynamic Pricing ist nur ein Beispiel für die vielen Möglichkeiten, die Big Data und Echtzeitanalysen bereits eröffnen. Viele Händler setzen außerdem auf das Ausspielen personalisierter Angebote im Internet und wollen unterschiedliche Vertriebs­kanäle für Click-&-Collect-Angebote verzahnen. Doch all diese Strategien sind ohne die Auswertung von Daten nicht denkbar. Damit Analyse-Tools, Bewertungen und Ausgabe- oder Lieferprozesse kanalübergreifend funktionieren, müssen die Daten, auf denen sie beruhen, korrekt, einheitlich, aktuell und singulär sein.
Welche Daten wichtig für ein Unternehmen sind, hängt vom Geschäftsmodell ab. Doch von Bedeutung in fast allen Branchen und Vertriebsformen sind die Stammdaten und damit neben den Kundendaten auch die Produkt-, Inventur- und Absatzdaten. Die Qualität der Stammdaten rückt ins Interesse, weil Reporting, Forecasts und Controlling zu lange dauern. Auch wenn Unternehmen Warenwirtschafts- und Planungssysteme vereinheitlichen oder Händler und Marken Vertriebsschienen zum Multi- oder Omnichannel verzahnen, kommt es auf gute Daten an. Steht gar der Zukauf externer Daten an, um die Planung und das Management etwa von Marketingmaßnahmen zu optimieren, müssen Stammdaten absolut zuverlässig sein.

Stammdaten mangelhaft

Hauptfehler: Probleme beim Stammdatenmanagement macht den befragten Firmen vor allem eine unzureichende Einbettung in die Unternehmensstrategie.
Quelle: (Quelle: Quelle: Lünendonk (n = 155) )
Genau daran hapert es bei der neuen digitalen Wirtschaft aber sehr oft – und das nicht nur im Handel. So lautet das Ergebnis der Studie „Revival der Stammdaten“ der Beratung Lünendonk, die in Zusammen­arbeit mit dem E-Commerce-Spezialisten KPS und den Technologieunternehmen Salt
Solutions und Zetvisions entstand. Laut Studie bekunden satte 85 Prozent der Unternehmen Probleme mit ihren Stammdaten, mit ihrer Erhebung und ihrer Auswertung: Sie ­bemängeln Dubletten und vor allem uneinheitliche Datenstrukturen. 62 Prozent der befragten Händler bewerten die Aktualität ihrer Daten eher als schlecht.
Daten, die nicht aktuell sind, binden aber Arbeitszeit. Der Händler kann sich nicht auf sie verlassen – Konsistenz fehlt. 68 Prozent der Befragten beobachten Lücken in ihren ­Datensätzen, es besteht keine Vollständigkeit. Zuletzt verhindern unterschiedliche Bezeichnungen eine einheitliche Einordnung und Zuweisung der Daten. Die Unternehmen sind bei Semantik und Ausdruck zu unachtsam.
Angesichts der ­Digitalisierung ist das ein ­katas­tro­­phaler Befund, zumal Konzerne wie ­Google und Amazon ihre Daten im Griff haben und immer wieder mit kundennahen Angeboten überraschen. Schlecht gepflegte oder vernachlässigte Daten dagegen binden nicht nur Arbeitszeit, sondern schmälern auch Produktivität und Erfolg.

Problem Datenerfassung

Quelle: Lünendonk
Nun ist im Handel das Management von Stamm­daten sicher nicht einfach. Menge und Komplexität wachsen mit der Anzahl der Produkte, ihren Variationen, unterschiedlichen Preisen, aber auch mit häufigen Änderungen im Sortiment. Nicht zuletzt steigt die Zahl der Daten im Multi­channel-Handel durch die Verknüpfung unterschiedlicher Vertriebswege zusätzlich rapide an.
Innerhalb eines Unternehmens erfassen zudem mehrere Abteilungen Daten, oft mit unterschiedlichen Instrumenten. Bespielt ein Händler etwa mehrere Vertriebskanäle, werden die Kundendaten im Laden, im Shop-System, aber auch in der Service-Abteilung und in der Kundenberatung meist in unterschiedlichen Programmen gesammelt. An allen Schnittstellen können sich Fehler einschleichen: Werden zum Beispiel Namen nicht einheitlich erfasst, entstehen Dubletten in den Datensätzen und die Kundenhistorie kann nicht umfassend über alle Kanäle hinweg betrachtet werden. Bezeichnen Category Manager zudem Eigenschaften und Produktvorteile im Shop-System mit Trendwörtern, können sie im Warenwirtschaftssystem nicht eindeutig zugeordnet werden. Im Shop steigt so das Angebot, bei der Zusammenführung der Daten aus unterschiedlichen Quellen kommen die Systeme wegen dieser Vielfalt aber ins Straucheln.

Problem Strategielosigkeit

Quelle: (Quelle: Quelle: Lünendonk )
Als größte Hürden bei der Erhebung von Stammdaten macht die Lünendonk-Studie den Mangel an Strategien und Zielen, fehlendes Problembewusstsein im Management sowie die unzureichende Kommunikation zwischen unterschiedlichen Fachabteilungen aus. Das zeigt sich schon bei der Auswahl und Integration der Analyse-Tools. Diese Aufgabe übernimmt meist die IT. Die Auswertung der Daten dagegen liegt in der Verantwortung von Abteilungen wie Marketing, Einkauf oder Kundenservice. Folge: Während etwa jeder fünfte IT-Mitarbeiter die Datenfragen als gelöst ansieht, teilen laut Studie nur 12 Prozent der Spezialisten aus anderen Abteilungen diese Meinung.
Mit der Digitalisierung steigen die Anforderungen an die Stammdaten. Denn jetzt übernehmen Maschinen und mathematische Modelle die Analysen und brauchen dazu einheitliche und konsistente Datensätze. Seit Jahren investieren die Unternehmen deshalb in Software-Lösungen zur Optimierung ihres Datenmanagements. Doch bei der Inte­gration versäumen sie es, die Technik an ihre Strukturen anzupassen, vor allem aber personell Verantwortlichkeiten zu bestimmen und Ziele für das Management und die Pflege der Stammdaten zu formulieren. Ohne Strategie lassen sich aber die Datensätze aus unterschiedlichen Abteilungen, Vertriebskanälen und Programmen nicht vereinheitlichen, die IT arbeitet so an den Bedürfnissen von Marketing, Einkauf und Cate­gory Management vorbei und umgekehrt.

Daten als Führungsaufgabe

Sollen Big Data und Analytics das Geschäft antreiben, wird die Strategie fürs Datenmanagement eine Führungsaufgabe. Sie beginnt mit der Grundsatzüberlegung, welche Daten für das Unternehmen und seine Geschäfte wichtig sind oder wichtig werden könnten. Für die formulierten Ziele sollten die Verantwortlichkeiten am besten in abteilungsübergreifenden Teams danach eindeutig benannt werden. So kann ein Transformationsprozess starten, in dem nicht nur Daten einheitlich erhoben und nach klaren Kriterien gepflegt werden, sondern sich die beteiligten Abteilungen neu strukturieren und digitaler werden. Datenmanagement kann der Beginn eines umfassenden Change-Prozesses werden. Die Datenstrategie sollte zudem zum Schutz persönlicher Kunden- und Nutzerdaten klare Richtlinien enthalten. Wer wann worauf Zugriff erhält, muss geregelt sein.
Planung und Optimierung von Stammdaten lassen sich schlecht voneinander trennen. Die betroffenen Fachbereiche übernehmen die inhaltliche Definition und Zuordnung von Stammdaten, die IT-Abteilung passt daran die Programme und Tools an. Doch beim ­Datenmanagement sollten die Sichtweisen aller Beteiligten kontinuierlich eingebunden werden. Daher empfiehlt es sich, die Verantwortung für das Datenmanagement in bereichsübergreifende Teams zu legen.
Wenn die Beteiligten geklärt haben, welche Stammdaten sie künftig benötigen, können sie Methoden zur einheitlichen Erhebung und Speicherung, aber auch Kriterien zur Pflege des Datenbestands erarbeiten. Mit diesen Maßnahmen sollte sich die Datenlage bald und spürbar verbessern und das Unternehmen schneller die Hebelpunkte erkennen können.

Problem Einheitlichkeit

Digitale Geschäfte: Beim Umgang mit Kunden- und Produktstammdaten setzen die befragten Handelsunternehmen unterschiedliche Prioritäten.
Quelle: (Quelle: Quelle: Lünendonk (n = 55) )
Wichtigstes Qualitätsmerkmal von Daten ist Einheitlichkeit. Doch nur wenige Unternehmen sammeln Daten nach eigenen Regeln oder nach Kriterien des GS1-Standards, der für Prozesse entlang der Wertschöpfungskette entwickelt wurde und die Identifizierung von Waren, ihre Erfassung sowie die Kommunikation der Systeme und Abteilungen vereinfacht. Im Alltag erhebt jede Abteilung, häufig genug auch noch mit favorisierten Tools, die Zahlen und Fakten, die sie zur Bewältigung ihrer Aufgaben benötigt.
Einheitlichkeit setzt sich oft nur dort durch, wo Querschnittabteilungen wie Controlling, Finanzen oder IT ­Regeln oder Formulare vorlegen. Silodenken erschwert die Harmonisierung. Bestes Beispiel ist die Konkurrenz zwischen Einkauf und Vertrieb. Ist das Unternehmen auch noch international aktiv, potenziert sich das Datenchaos allein durch Rechnungswesen oder Adressen, die von Land zu Land unterschiedlich gehandhabt werden. Generell gilt: Wenn Produkte im Unternehmen lange Wege nehmen und bis zur Auslieferung von vielen Stellen bearbeitet werden, mindert das die Qualität der ­erfassten Daten. Im Modehandel zum Beispiel entsteht so eine Fehlerquote von bis zu 20 Prozent.

Regeln für bessere Daten

Doch die Digitalisierung, die Verzahnung von Geschäften sowie die Reorganisation technischer Systeme zwingen jetzt zur Pflege und fordern Regeln für eine effiziente Erfassung. Diese sollten abteilungsübergreifend und nicht nur von der IT entwickelt werden, denn jeder Unternehmensbereich wertet spezifische Kombinationen aus und will Eigenständigkeit bewahren. Die IT kann hier die ­Initiative ergreifen. Um aber das Ressortdenken zu überwinden, muss die Führungsebene mit an Bord sein. Ein professionelles Datenmanagement (Data Governance) fördert nicht nur einen bewussten Umgang mit Daten, sondern sensibilisiert auch für Sicherheit und Datenschutz.
Steht der Anforderungskatalog für die Erfassung der Daten und das unternehmensweite Datenmanagement, können danach die Bestände überarbeitet, vereinheitlicht und von Dubletten befreit werden. Das ist eine Aufgabe, die Geduld und hundertprozentige Sorgfalt erfordert und auf Dauer die ganze Organisation beansprucht. Orientierung gibt hier eine Prioritätenliste, die Datensätze nach ihrer Bedeutung fürs laufende Geschäft rankt und damit Projektarbeit oder das Outsourcing an entsprechende Dienstleister steuert.
Bei der Bereinigung und Pflege von ­Datenbeständen helfen Automatisierungs-Tools durch ein umfassendes Screening der Daten, Dubletten zu erkennen, unvollständige Datensätze herauszufiltern und mit einer einfachen Bedienoberfläche Fehler zu bereinigen, redundante Daten zusammenzuführen sowie obsolete Daten­sätze zu löschen.
Noch fehlt in vielen Teilen der Wirtschaft die Einsicht, dass Daten ein strategisches Hilfsmittel und daher sorgfältig zu pflegen sind. Hier müssen die Zusammenhänge zwischen fehlerhaften Stammdaten und sich anschließenden fehlerhaften Analysen, die auf diesen Stammdaten basieren, aufgezeigt und verständlich gemacht werden.
Nach unserer Beobachtung sammeln Händler und Unternehmen gegenwärtig aus allen ihnen zur Verfügung stehenden Systemen Daten. Schlauer werden sie dadurch allerdings nicht, vermutlich eher weniger. Nicht jeder Datensatz erhellt das Geschäft, aber jeder bindet Zeit und Geld für die Analyse und die Bewertung. Wer Daten jedoch gezielt und im erforderlichen Ausmaß erfasst und pflegt, tut viel für den Verbraucher- und Datenschutz und kann daraus Wissen für Prozesse und Geschäfte ziehen.

Autor(in)

Das könnte sie auch interessieren
Bad News
Game macht Fake News spielerisch erkennbar
Huawei Roadshow 2024
Technologie auf Rädern - der Show-Truck von Huawei ist unterwegs
Tools
GitLab Duo Chat mit KI-Chat-Unterstützung
Forschung
KI macht Gebärdensprache zugänglicher
Mehr News?
Besuchen Sie unsere Seite ...
https://www.com-magazin.de
nach oben