Interview

„Wir haben in Deutschland noch viel Aufholbedarf“

von - 18.01.2024
Foto: Deloitte
Was sind die Trend-Themen, welche die IT-Branche aktuell bewegen? Und welche Rolle spielt die wirtschaftliche Lage? com! professional spricht mit zwei Experten von Deloitte.
Unternehmen auf der ganzen Welt sind aktuell vielschichtigen Herausforderungen ausgesetzt. Vor allem hierzulande ist unter dem Eindruck eines Krieges in Europa, einer hohen Inflation und einem steigenden Fachkräftemangel die Unsicherheit groß. Das betrifft alle Bereiche und Branchen – auch die erfolgsverwöhnte IT-Branche.
Doch wie sieht die Lage bei den Unternehmen in der ITK-Branche wirklich aus – und was ist für die kommenden Monate und Jahre zu erwarten? com! professional spricht darüber mit zwei Experten von des Beratungshauses Deloitte – Ellen Dankworth und Marius von Spreti.
com! professional: Frau Dankworth, lassen sie uns zunächst kurz zurückblicken: Wie lief das Geschäft in der ITK-Branche im vergangenen Jahr und die ersten Monate 2023? Spielte das Thema Corona eigentlich noch eine Rolle?
Ellen Dankworth: Sowohl COVID-19 als auch die makroökonomische Lage haben unsere Kunden und uns beschäftigt oder beschäftigen uns noch. Digitale Transformationen sind viel stärker in den Fokus gerückt – einerseits zur Unterstützung von Remote Work, andererseits aber auch zur Ermöglichung innovativer Geschäftsmodelle, die für unsere Kunden eine notwendige Differenzierung zum Wettbewerb bedeuten können.
Wir sehen auch die Tendenz zu Kosteneinsparungen in Form einer kritischeren Prüfung von Initiativen – etwa, ob sie eine strategische Relevanz haben oder wirklich einen Mehrwert für das Business darstellen. Erfreulicherweise sehen wir trotz vieler Krisen neben einer sehr hohen Nachfrage nach Cybersecurity-Unterstützung, aber auch eine Transformation der Zusammenarbeit im IT-Consulting hin zu einer hybriden Zusammenarbeit – was auch unter dem Gesichtspunkt des Fachkräftemangels und der Work-Life-Balance eine positive Entwicklung ist.
com! professional: Herr von Spreti, die IT-Branche kennt eigentlich nur eine Richtung: Es geht aufwärts. Ist das denn angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage auch für dieses Jahr und 2024 zu erwarten?
Marius von Spreti: Ja, allerdings. Der Trend wird sich weiter verstärken. Denken wir an die unglaubliche technologische Evolution in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Cloud oder Quantencomputer. Diese Entwicklungen setzen sich fort und bilden die Grundlage für unseren künftigen wirtschaftlichen Erfolg.
Das gilt auch für den Bereich der Cybersecurity, den man als Grundpfeiler der digitalen Transformation ­betrachten kann.
Ellen Dankworth
„Sowohl COVID-19 als auch die makroökonomische Lage haben unsere Kunden und uns beschäftigt oder beschäftigen uns noch.“
com! professional: Vor allem Deutschland tut sich in Sachen Digitalisierung schwer. Da braucht es viel Aufklärungsarbeit und es gibt viele Projekte umzusetzen. Damit ist Deutschland ein Eldorado für alle Unternehmen rund um das Thema IT und Digitalisierung, oder?
Dankworth: Wir haben in Deutschland noch viel Aufholbedarf und müssen die Chancen nutzen, die sich hier bieten. Hier sehen wir insbesondere im Bereich Industrie 4.0 große Möglichkeiten für Deutschland und wir müssen unsere Innovationskraft voll ausspielen. Für die Skalierungsfähigkeit und die Nutzung von Daten über Unternehmensgrenzen hinweg müssen wir gute Antworten finden. Auch die Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette, hin zu datengetriebenen Geschäftsmodellen, steht in vielen Branchen noch ganz am Anfang. Es gibt also durchaus vielfältige Chancen für alle, die die digitale Transformation in Deutschland vorantreiben.
com! professional: Herr von Spreti, Sie haben bereits die Künstliche Intelligenz angesprochen. Ob KI, IT-Security oder Cloud – die Themen, welche die IT umtreiben, haben sich in den vergangenen Jahren kaum geändert. Gibt es weitere Technologien, die Sie aktuell zu den Zugpferden in der IT sehen oder in den kommenden Monaten relevanter werden?
von Spreti: Aktuell sind einige sehr spannende Veränderungen zu beobachten. Die generative KI hat es breitenwirksam auf die Agenda geschafft und es vergeht kaum ein Tag, an dem wir nicht mit neuen Innovationen konfrontiert werden. Neben den genannten Technologietrends entwickeln sich Bereiche wie Metaverse, Operations Technology und Smart Analytics stetig weiter. Auch Quantencomputer werden in Zukunft auch eine große Rolle spielen. Hier besteht enormes Disruptionspotenzial.
KI-Boom: Generative KI wie ChatGPT sorgt fast täglich für neue Innovationen.
(Quelle: Shutterstock /Andrii Yalanskyi)
com! professional: Wie ist denn Ihre Erfahrung aus der Praxis – nach welchen Themen fragen Unternehmen momentan?
Dankworth: Wir erleben, dass Unternehmen verstärkt innovative Technologien einsetzen möchten, um neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen. In diesem Kontext stellt sich folgerichtig auch die Frage nach den Implikationen für die Sicherheit der Daten. Darüber hinaus beobachten wir einen Trend weg von kleinteiligen Projekten hin zu strategischeren Transformationsprogrammen, in denen nicht nur einzelne Fragestellungen bearbeitet werden, sondern Unternehmen ganzheitlich ihre Digitalisierung planen und umsetzen möchten.
com! professional: Aber auch in der IT-Branche läuft nicht immer alles rund. Was sind aktuell, etwa neben dem Dauerbrenner Cyberkriminalität, die Bremsklötze für die deutsche ITK-Industrie?
von Spreti: Ein großer Faktor ist das Spannungsverhältnis zwischen Regulierung, technologischer Entwicklung und natürlich Cyber-Risiken. Die häufig technologieagnostischen Anforderungen von Aufsichtsbehörden geben oft wenig konkrete Handlungsempfehlungen für den Einsatz neuer Technologien. Gleichzeitig steigt jedoch der Druck, solche Technologien einzusetzen, um Innovationen zu fördern.
com! professional: Sie meinen also regulatorische ­Unsicherheiten…
von Spreti: Es entstehen regulatorische Unsicherheiten, die es in enger Abstimmung mit den Aufsichtsbehörden zu lösen gilt. Daneben bergen neue Technologien auch immer Risiken – die kontinuierlich zu bewerten und zu behandeln sind, und letztendlich auch wieder an Aufsichtsbehörden berichtet werden müssen. In diesem Dreiklang eine effiziente Balance zu halten, kann für Unternehmen sehr herausfordernd sein.
Problemfall Fachkräftemangel: Es fehlt an Experten für die spezialisierten Bereiche, etwa der Cybersecurity.
(Quelle: Shutterstock /Andrii Yalanskyi )
Auch der Fachkräftemangel ist ein Problem. Es fehlt an Experten für die mittlerweile sehr spezialisierten Bereiche, beispielsweise der Cybersecurity – wo früher noch verschiedenste Security-Domänen von einem Team bearbeitet wurden, werden heute dedizierte Teams benötigt.
com! professional: Aber lässt sich das Dauerproblem Fachkräftemangel in absehbarer Zeit überhaupt lösen?
von Spreti: In IT und Cybersecurity findet eine zunehmende Spezialisierung statt, die den Fachkräftemangel noch verstärkt. Experten für Themen wie Cloud-Security, Zero Trust oder OT-Security sind rar und somit stark gefragt. Darüber hinaus ist eine kontinuierliche Weiterbildung erforderlich, um neueste Technologien und Trend-Entwicklungen angemessen abdecken zu können.
com! professional: Was könnte eine Lösung sein? ­Outsourcing?
von Spreti: Die Nutzung von externer Unterstützung kann sinnvoll sein, sowohl in Spezial-Themen als auch durch ein Pooling von Ressourcen, zum Beispiel für die Sicherstellung eines 24/7 Security Monitorings oder im Rahmen einer Cloud-Transformation bei gleichzeitiger Migration einer großen Anzahl von Applikationen.
Ellen Dankworth
„Wir sehen insbesondere im Bereich Industrie 4.0 große Möglichkeiten für Deutschland und wir müssen unsere Innovationskraft voll ausspielen.“
com! professional: Die Fachkräfte haben meist eine klare Vorstellung von ihrem Arbeitgeber: Viertagewoche, 100 Prozent Homeoffice und natürlich auch ein üppiges Gehalt. Das macht das Ganze sicher nicht einfacher, oder?
Dankworth: Wir erleben bei Bewerbenden zwar eine Entwicklung hin zu einem stärkeren Fokus auf Aspekte wie Work-Life-Balance. Dennoch sind ein spannendes Arbeitsumfeld, eine steile Lernkurve und die Zusammenarbeit in interdisziplinären Projektteams nach wie vor wichtige Faktoren für Talente. Insofern ergibt sich ein Kompromiss zwischen unternehmerischen Zielen und Vorstellungen der Mitarbeitenden, den wir als sehr wertstiftend und nachhaltig empfinden.
IT-Fachkräftemangel in Deutschland
(Quelle: Bitcom )
com! professional: Eine andere aktuelle Baustelle sind die Lieferketten. Erst Corona, dann Ukraine-Krieg…das sorgte für ordentlich Schluckauf bei den Supply Chains. Welche Rolle spielen Chip-Knappheit und gestörte Lieferketten?
von Spreti: Hier ist ein Trend zur Monopolisierung auf einzelne Lieferanten – bedingt durch die Knappheit – zu erkennen. Daraus resultieren erhöhte Risiken bei Ausfall eines Lieferanten oder Qualitätsmängeln der Produkte und Leistungen. Daneben besteht auch eine Tendenz zur stärkeren Integration von Lieferketten in die eigenen Geschäftsmodelle. So werden beispielsweise Hardware-Komponenten von Lieferanten inklusive Software in die Wertschöpfung einbezogen – hier lauern jedoch Risiken für die Cybersecurity und Abhängigkeiten.
Marius von Spreti
„Ja, eine gewisse ,Krisen-Fatigue‘ ist auf jeden Fall spürbar. Dennoch darf man die Lage nicht aus dem Auge verlieren und muss aktuelle Entwicklungen in die strategischen Planungen einbeziehen.“
com! professional: Welche Rolle spielen eigentlich die Krisen? Ob im Bereich Digitalisierung oder IT-Security – viele IT-Projekte lassen doch eigentlich einen Aufschub wegen irgendeiner Krise gar nicht zu, oder?
Dankworth: Richtig, sie bilden die Basis für die Transformation der Organisationen und machen neue Geschäftsmodelle erst möglich. Es handelt sich also um ein strategisches Investment.
com! professional: Vielleicht ist es ja auch so, dass in der IT-Branche nach drei Jahren Corona, Homeoffice-Experiment et cetera Krisen bereits das „New Normal“ sind und damit gar nicht mehr so relevant?
von Spreti: Ja, eine gewisse „Krisen-Fatigue“ ist auf jeden Fall spürbar. Dennoch darf man die Lage nicht aus dem Auge verlieren und muss aktuelle Entwicklungen in die strategischen Planungen einbeziehen.
com! professional: Was sind denn Ihrer Erfahrung nach aktuell die größten Herausforderungen für IT-Projekte?
Dankworth: Der hohe Zeitdruck, denn oft wird zu spät gehandelt – zum Beispiel wird erst nach einem Sicherheitsvorfall nach der Ursache geforscht und es werden erst dann strukturelle Schwächen angegangen.
Daneben sehen wir durch die Parallelisierung verschiedener IT-Vorhaben stärkere Abhängigkeiten und Wechselwirkungen, sowohl auf technischer als auch auf organisatorischer Ebene.
Ein gutes Programm-Management ist deshalb entscheidend, um Synergien zu fördern und den Erfolg aller IT-Initiativen zu gewährleisten.
com! professional: Auch wenn quasi mehr oder weniger wieder Normalität herrscht –  die wirtschaftliche Stimmung hellt sich noch nicht wirklich auf. Mit welcher Auftragslage rechnen Sie in der ITK-Branche in den kommenden Monaten, Frau Dankworth – wird sie schlechter, gleich bleiben oder steigt sogar die Nachfrage?
Dankworth: Allgemein ist der aktuelle Ausblick positiv, trotz der angespannten wirtschaftlichen Lage und der geopolitischen Ereignisse.
Wir beobachten, dass zum Beispiel strategische Cybersecurity-Initiativen zurecht priorisiert werden und gerade jetzt ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sein können.
Zu den Personen
Ellen Dankworth ist Partnerin im Bereich Cyber und leitet die Cyber Cloud Capability bei Deloitte Deutschland. Sie ist spezialisiert auf den Bereich Informationssicherheit mit Fokus auf Cloud-Technologien und verfügt über langjährige Projekterfahrung in einer Vielzahl von Cybersecurity-Domänen. Ellen Dankworth unterstützt Kunden insbesondere mit Expertise zu Governance als auch Technologie im Kontext globaler Cloud Transformationsprogramme.
Marius von Spreti leitet den Bereich Cyber für Deloitte in Deutschland. Das Cyber-Team unterstützt Kunden bei der strategischen Ausrichtung, Umsetzung und dem Betrieb von Sicherheitslösungen. Marius von Spreti bringt seine 20-jährige Beratungserfahrung sektorenübergreifend bei Unternehmen und Organisationen in ganz Deutschland ein.
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