Führung in Zeiten von New Work

Empathie und Vertrauen

Quelle: Foto: Shutterstock / Enkel
22.09.2021
Traditionelle Führung und starre Hierarchien stoßen in der modernen Arbeitswelt an Grenzen. Gesucht wird ein positives Arbeitsumfeld.
Viertagewoche, ortsunabhängiges Arbeiten, flachere Hierarchien und mehr Eigenverantwortung der Mitarbeiter – Digitalisierung und Corona-Pandemie haben die Arbeitswelt stark in Richtung Flexibilität verändert. Homeoffice, Vertrauensarbeitszeit und flexiblere Formen der Teamarbeit versprechen, dass Mitarbeiter ihr Berufsleben ihrem individuellen Rhythmus anpassen und so effektiver gestalten und auch mit ihrem Privatleben in Einklang bringen können. Das Schlagwort für all das lautet New Work.
„New Work mutiert ähnlich wie der Begriff Digitali­sierung zu einem Sammelbecken für umfangreiche Veränderungen, die zunächst auf gesellschaftliche Trends und Werteverschiebungen zurückgehen“, berichtet Thomas M. Fischer, Geschäftsführer und Gründer der Managementberatung Allfoye, einem Unternehmen der All for One Group. „Dazu kommen Technologien, die neue Modelle für die Zusammenarbeit in Unternehmen ermöglichen. Diese wird schneller, effizienter und crossfunktionaler mit deutlich mehr Verantwortung bei den Mitarbeitern in den unteren Ebenen. Corona hat den Trend zur Flexibilisierung der Arbeit verstärkt. Firmen haben schnell darauf reagiert und digitale Workflows eingerichtet.“

Führungskräfte und Homeoffice

Es sieht so aus, dass Corona die Arbeitsmodelle dauerhaft verändern wird. Das zeigt beispielsweise die Studie „The New Remote Work Era: Trends in the Distributed Workforce“, für die im Auftrag von VMware in der EMEA-Region rund 3000 Entscheidungsträger aus Business, HR und IT befragt wurden. Mehr als zwei Drittel (69 Prozent) gaben an, dass ihr Unternehmen die Vorteile ortsunabhängigen Arbeitens sieht und auch in Zukunft nicht mehr darauf verzichten will. Allerdings äußern die Führungskräfte hier durchaus Bedenken gegenüber den flexiblen Arbeitsmodellen.
40 Prozent befürchten, dass ihr Team nicht konzentriert bei der Arbeit bleibt, wenn es remote arbeitet. Mehr als ein Viertel (29 Prozent) ist der Meinung, dass die bestehende Managementkultur mobiles Arbeiten erschwert, und mehr als die Hälfte (57 Prozent) fühlt sich zunehmend unter Druck, außerhalb der normalen Arbeitszeiten online zu sein.
Ähnliche Resultate erbrachte eine Untersuchung, für die IDC im Auftrag von Unisys mehr als 1100 Führungskräfte und Mitarbeiter in 15 Ländern befragte. So befürchten 38 Prozent der Führungskräfte Probleme bei der Zusammenarbeit und Kommunikation, wenn ihre Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten. Dieser Meinung ist aber nur knapp ein Viertel der Beschäftigten. Ebenfalls 38 Prozent der Befragten aus dem Management sagen, wegen der Remote-Work zu wenig Einblick in die Arbeit ihrer Teams zu haben. Hier sind nur 7 Prozent der Mitarbeiter dieser Ansicht.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die traditionellen Denk- und Arbeitsweisen der Führungsebenen verändern müssen. Denn New Work, Digitalisierung und Corona stellen traditionelle Führungsprinzipien infrage.

Empathie ist zentral

„Die neue Arbeitswelt ist geprägt vom stetigen Wandel durch Technologie oder aktuell die Pandemie. Traditionelle Führung mit starren Hierarchien oder Präsenzpflicht kommt mit diesem Tempo nur schwer zurecht“, erklärt Ines Gensinger, Head of Global Corporate Communications bei der Global Legal Entity Identifier Foundation (GLEIF), die die Transparenz bei globalen Finanztransaktionen verbessern will. Sie ist Mitautorin des Buchs „Netzwerk schlägt Hierarchie“, in dem es um Digital Leadership geht. „Wer Digitalisierung sagt, muss von Digital Leadership sprechen, einer neuen Führungskultur innerhalb der digitalen Transformation. Sie richtet den Fokus verstärkt auf die soziale Kompetenz und Empathie.“
Ines Gensinger hat die Kollegen aus ihrem Team zuletzt vor knapp einem Jahr persönlich getroffen. Der Kontakt läuft virtuell über Team-Meetings oder wöchentliche One-to-one-Gespräche in Videokonferenzen. „Genau wegen dieser räumlichen Distanz ist die soziale Empathie für Führungskräfte entscheidend, um die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter wahrzunehmen. Teams setzen sich ja meist aus unterschiedlichen Generationen zusammen.
Der Mix dieser Altersstrukturen und Erfahrungen ist ein wichtiger Indikator für erfolgreiches Zusammenarbeiten, aber auch für Unternehmenserfolg. Das führt aber dazu, dass die Anforderungen an mich sehr hoch sind, da jeder andere, für seine Generation typische Bedürfnisse hat“, beschreibt Gensinger ihre Aufgabe.
Sozial kompetent zu sein ist eines der fünf Persönlichkeitsmerkmale, die laut der internationalen Personalberatung Russell Reynolds eine Führungskraft in der digitalen Transformation auszeichnen. Die anderen vier sind: innovativ, disruptiv, mutig, entscheidungsfreudig. „Für mich gehört aber auch eine hohe Resilienz dazu. Also immer weitermachen und aus Fehlern lernen. Ebenso, anderen den Vortritt zu lassen und ihnen ermöglichen, zu wachsen“, sagt Ines Gensinger. „Es gibt hier keine universell richtige Antwort. Denn Führung ist auch immer eine Frage der Persönlichkeit.“
Der Chef von heute muss laut Gensinger mehr coachen als führen, mehr vertrauen als vorgeben und kontrollieren. In einem Team soll einer für den anderen einstehen und man sich gegenseitig unterstützen, Ziele zu erreichen. „Die Führungskraft sorgt für ein vertrauensvolles Umfeld, schafft Freiräume und gibt einen Vertrauensvorschuss. Die Formel ‚Können x Wollen x Dürfen‘ bringt nur ein Ergebnis, wenn das Dürfen nicht gleich null ist“, so Ines Gensinger.

Jürgen Klopp als Vorbild

Auch Thomas M. Fischer von Allfoye sieht Vertrauen statt Kontrolle als ein wichtiges Führungsprinzip an. „Ich muss loslassen, die passenden Aufgaben an meine Mitarbeiter übergeben und dann darauf vertrauen, dass diese zum Wohle des Unternehmens handeln. Und ich muss die Delegationsschmerzen aushalten und auch akzeptieren, dass die Mitarbeiter die Aufgabe anders lösen als ich und eventuell Fehler machen.“ Hier gilt die Devise: Je unkritischer die Konsequenz für die Firma, desto weitreichender die Freiheiten und Entscheidungsspielräume für die Mitarbeiter.
Ein Vorbild für moderne und menschenorientierte Führung stellt für ihn Fußballtrainer , dar, der für alle Beteiligten beim FC Liverpool den perfekten Rahmen für Höchstleistungen schaffe, vom Platzwart über den Trainerstab bis hin zu den Spielern. „Er steht hinter seinen Leuten, legt viel Wert auf Stimmung und Wohlbefinden, weil er weiß, dass Menschen, denen es gut geht, viel leisten können. Zudem führt er sehr viele Einzelgespräche, er fordert und fördert seine Mitarbeiter und Spieler sehr individuell.“

Das Ergebnis zählt

Natürlich gehört es auch zu den Aufgaben einer Führungskraft, die Leistung der Mitarbeiter zu kontrollieren. Dies dürfte bei Präsenz im Büro leichter fallen als bei virtueller Zusammenarbeit und Remote-Work. Doch letztlich zählt am Ende nicht die Anzahl der im Büro abgesessenen Arbeitsstunden, sondern das erreichte Ergebnis. „Die Ergeb­nis­orientierung fängt immer beim Geschäftszweck des Unternehmens an: Was machen wir? Was wollen wir? Das Management muss auf dieser Basis klare Ziele für das Unternehmen, die verschiedenen Teams und individuell für jeden einzelnen Mitarbeiter definieren. Diese Ziele sollten realistisch zu erreichen sein und im Dialog gemeinsam mit den Mitarbeitern entwickelt werden“, betont Jens Wiesner, Gründer der Unternehmensberatung Wirksam sein. Er berät Firmen hinsichtlich der modernen, agilen und vernetzten Arbeitswelt.
Im nächsten Schritt geht es darum, diese Ziele auf Arbeitspakete herunterzubrechen, Meilensteine zu setzen und ein Anreizsystem für die Mitarbeiter zu schaffen. Dazu Jens Wiesner: „Das Erreichen des Ergebnisses muss belohnt werden. Dann erhalte ich auch engagierte und motivierte Mitarbeiter. Die Führungskraft sollte hier als Coach Hilfestellung geben, die Mitarbeiter ermutigen, ihnen vertrauen, dass sie ihre Aufgaben besten Gewissens erledigen und Fehler als Chance zur Weiterentwicklung sehen.“
Das Problem: Durch die fehlenden Präsenzzeiten im Büro wegen Corona und die räumliche Distanz sind die Kommunikationsmöglichkeiten eingeschränkter. Gespräche laufen nicht mehr schnell mal so nebenbei auf dem Flur, in der Kaffeeküche oder in der Kantine. Daher fällt es auch schwerer, die aktuelle Stimmung zu ermitteln oder ein Wirgefühl im Team zu schaffen. „Der Teamleiter muss hier empathisch sein, auf die Stimmung im Team achten und aktiv eventuelle Spannungen und Missverständnisse abbauen. Dazu ist es wichtig, neben dem fachlichen Austausch auch virtuell Gespräche über persönliche Themen zu führen. Das können Einzelgespräche sein, virtuelle Kaffeerunden im Team oder ein Feierabendbierchen per Videokonferenz. Das sorgt für erlebte Gemeinschaft“, sagt Jens Wiesner.

Kultur und Struktur

New Work und flexible Arbeitsformen erfordern laut Wiesner auch eine organisationale Transformation als fortwährende Reise, die sich den wechselnden Anforderungen des Marktes, der Kunden, der Mitarbeiter oder anderer Interessengruppen stellen muss. Seiner Meinung nach sollte die Unternehmensstruktur der optimalen Arbeitsorganisation dienen. „Hierarchische Strukturen funktionieren in Zeiten des schnellen Wandels nicht mehr, weil der Chef kein Detailwissen mehr hat, vom Expertenstatus abgerückt ist und vor allem für die Organisation der Zusammenarbeit zuständig ist“, so Jens Wiesner. „Die Führung kann in Projekten je nach Wissen und Kompetenz der Teammitglieder wechseln. Es braucht aber eine Klammer, die das Miteinander gestaltet. Das ist die Führungskraft.“
Allfoye-Geschäftsführer Thomas M. Fischer fordert, dass Firmen im Rahmen von New Work ihre Organisation nicht mehr funktional nach Bereichen wie Einkauf, Vertrieb oder Marketing strukturieren, sondern in kundenbezogenen End-to-end-Prozessen denken und sich flexibler aufstellen. „Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen arbeiten dann projektorientiert kontextual zusammen, mit wechselnden Projektleitern, agilen Methoden mit Sprints, anderen Rollenkonzepten oder Steuerungsmethoden wie OKR (Objectives and Key Results), die Mitarbeiter in die Formulierung der Unternehmensziele einbeziehen“, erläutert Fischer.
Es gehe darum, ein attraktives Zielbild zu schaffen, um die Mitarbeiter mitzunehmen und sie zu einem klaren „Hin zu“ zu motivieren, so der Allfoye-Mann weiter: Wo soll es hingehen? Warum lohnt es sich, diesen Weg zu gehen? Wie kommen wir dahin? Was musst Du dafür tun? „New Work steht für Offenheit, neugierig sein, vernetztes Denken, den Abbau von Silos, die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit und Vertrauen als Basis. Entscheidend sind die vier Elemente Unternehmenskultur, prozessuale Organisation, agile Methoden und moderne Technologien“, resümiert Thomas M. Fischer.

Veränderung auf allen Ebenen

Damit der Wandel hin zu New Work gelingt, muss die Veränderung auf allen Hierarchie-Ebenen stattfinden. Wenn das obere Management, Teile der Führungskräfte oder ganze Gruppen von Mitarbeitern nicht mitziehen oder zurückgelassen werden, findet Veränderung nur schleppend oder gar nicht statt. „Das Diktat von oben oder unten funktioniert genauso wenig wie das Überstülpen einer neuen Organisa­tionsform, die nicht alle mittragen“, sagt Ines Gensinger.  
Bei der Unternehmenskultur sieht sie drei Handlungsfelder: Mensch, Raum und Technologie. Erstens sei es wichtig, deutlich mehr Verantwortung an das Team abzugeben.  „Nur wer Vertrauen zu seinen Mitarbeitern hat, wird die Herausforderungen der Digitalisierung und von New Work meistern. Dazu gehört, Mitarbeiter zu befähigen, ihre Ziele zu erreichen und Eigenverantwortung zu übernehmen.“ Zweitens gehe es darum, Freiräume zu schaffen im Sinne von Vertrauensarbeitszeit und -ort sowie einer positiven Fehlerkultur. Und drittens sind laut Gensinger für den Wandel hin zu New Work Technologien erforderlich, die eine Zusammenarbeit zu jeder Zeit und an jedem Ort ermöglichen.

Klare Regeln

Stellt sich die Frage: Bedarf es einer eigenen New-Work-Governance mit klaren Regeln? Falls ja, wie kann dieses Regelwerk aussehen? Die von uns befragten Experten sind sich einig: Ja, man braucht ein Framework mit klaren Werten und Regeln, das einen groben Rahmen bildet und Leitplanken setzt, jedoch nicht zu sehr ins Detail gehen soll und viele Freiräume lässt. Dazu gehören Punkte wie Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit, Regeln für den Arbeitsort (Anzahl der Tage im Homeoffice, nur zu Hause, jeden Tag im Büro und so weiter), Konzepte wie Shared Desk (nicht am Arbeitsplatz essen, Schreibtisch nach Arbeitsende aufräumen, in Ruhezonen Handy lautlos stellen) oder Vorgaben für die Projektleitung (Beispiel: Führungskräfte der ersten oder zweiten Ebene leiten keine Projekte).

New Work und die Mitarbeiter

All die beschriebenen Veränderungen betreffen natürlich nicht nur die Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeiter. Hier kann es durchaus große Unterschiede geben, je nach Alter, Mentalität oder Rolle im Unternehmen. Nicht jeder Mitarbeiter braucht Freiräume, will mehr Verantwortung oder kann flexibel arbeiten. Es gibt auch Personen, die klare Anleitungen einfordern, etwa neue Kollegen, und von 8 bis 16 Uhr arbeiten wollen. Das heißt: Die neue Arbeitswelt ist nicht nur agil und harmonisch. Hier geht es darum, die richtige Balance zwischen Alt und Neu zu schaffen und individuell auf die Bedürfnisse und Persönlichkeit der Mitarbeiter einzugehen.
Jens Wiesner unterscheidet grundsätzlich zwei Typen von Mitarbeitern: Bewahrer und Entdecker. Während die Entdecker offen für Neues sind und keine Routinejobs wollen, geht es den Bewahrern um Sicherheit und Regelmäßigkeit. „In der Produktion beispielsweise sind Bewahrer wichtig, da sie ihre Aufgaben exzellent und zuverlässig erledigen. Die Führung muss diese beiden Gruppen in ihrem Kontext sehen und jeweils passende Anreizsysteme schaffen, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen.“

Fazit

Digitalisierung und Corona-Pandemie haben die Arbeitswelt stark in Richtung Flexibilität verändert und die Unternehmen herausgefordert. Diese haben jetzt die Chance, sich auf die Phase nach Corona vorzubereiten, ihre Führung, Kultur und Zusammenarbeit zu verbessern und New Work nach ihren individuellen Anforderungen umzusetzen. Ziel ist es, ein positives und inspirierendes Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter zu schaffen, um sie zu motivieren und an das eigene Unternehmen zu binden. Zufriedene Mitarbeiter sind leistungsbereiter und stellen damit einen wichtigen Faktor für den Geschäftserfolg von Unternehmen dar.

Autor(in)

Das könnte sie auch interessieren
Bad News
Game macht Fake News spielerisch erkennbar
3 Modelle
Business GPT - Telekom bringt KI-Angebot für Unternehmen
Huawei Roadshow 2024
Technologie auf Rädern - der Show-Truck von Huawei ist unterwegs
Nach der Unify-Übernahme
Mitels kombinierte Portfoliostrategie
Mehr News?
Besuchen Sie unsere Seite ...
https://www.com-magazin.de
nach oben