Unified Data Analytics

Daten und Analysen aus einer Hand

Daten sind zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor avanciert. Ihre Analyse wird immer wichtiger.
Quelle: Foto: Shutterstock / Peshkova
11.10.2021
Das Bauchgefühl von Managern wird im digitalen Zeitalter immer unwichtiger. Stattdessen sind es Daten und daraus abgeleitete Erkenntnisse (Insights) und Handlungsempfehlungen, die als Grundlage von Entscheidungen herangezogen werden.
Das gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für staatliche Einrichtungen und Organisationen. Welche Reibungsverluste im öffentlichen Bereich entstehen können, zeigt exemplarisch die Covid-19-Pandemie. In Fachmedien wie der „Ärztezeitung“ ist von einem „Corona-Blindflug“ die Rede. Mangelhaftes Datenmanagement und unzureichende Analysetechniken hätten dazu geführt, dass Einschränkungen für Bürger und Unternehmen beschlossen wurden, ohne dass eine geeignete Datengrundlage vorlag.
Gegen solche Unzulänglichkeiten sind auch Unternehmen nicht gefeit, die seit vielen Jahren Business-Intelligence-Tools und ERP-Software einsetzen. Ein Problem besteht darin, dass sich ein Wildwuchs entwickelt hat, wie Mathias Golombek feststellt, Chief Technology Officer und Mitglied des Vorstands der Exasol AG. „Silos“ erschwerten eine übergreifende Nutzung von Daten. „Doch nicht nur zu viele verschiedene Plattformen, sondern auch Herrschaftswissen verhindert häufig, dass Unternehmen das Potenzial von Big Data und Data Analytics ausschöpfen“, so Golombek weiter.

Bereiche zusammenbringen

Eine Ausprägung dieses „Herrschaftswissens“ ist, dass Unternehmen eine Vielzahl von Tools für einzelne Nutzergruppen implementieren. „Es ist in Unternehmen ein weitverbreitetes Problem, die verschiedenen Personae unter den Nutzern, vom Fachbereichsexperten bis hin zum ‚Data Hunter‘, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen“, bestätigt Andreas Becks, Senior Manager Customer Advisory, Artificial Intelligence bei SAS. Hinzu kommen Produktivitätsengpässe, die ein schnelles Erstellen von Modellen für eine Datenanalyse erschweren. Das gilt beispielsweise für Modelle, bei denen Künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen (ML) eingesetzt werden.
Als Ausweg propagieren die Anbieter von Unternehmens-Software und von Lösungen für Datenmanagement und -analyse einen integrativen Ansatz: „Es geht darum, eine leicht beherrschbare Plattform zu nutzen, die es erlaubt, Daten anzubinden, zu verwalten, zu kuratieren und ihre Qualität sicherzustellen“, betont Stephan Schnieber, Sales Leader IBM Cloud Pak for Data bei IBM. Eine solche Plattform sollte den Nutzern außerdem die Möglichkeit geben, Analytics- und KI-Modelle zu erstellen, zu katalogisieren, in Produktion zu bringen und zu pflegen.
Es gilt also, Informationsbestände aus unterschiedlichen Domänen und Unternehmensbereichen in einer zentralen Datenquelle zusammenzufassen, die für Analysen zur Verfügung steht. „Es handelt sich dabei nicht um einen komplett neuen Ansatz“, betont Teemu Kinnunen, Lead Data Scientist bei der Digitalagentur Futurice. „Aber er hat in jüngster Zeit an Bedeutung gewonnen, vor allem wegen der Diversität der Daten und der Komplexität der Daten-Pipelines.“

Begriffs-Wirrwarr

Darüber, welchen Namen ein solcher integrativer Ansatz haben soll, herrscht allerdings Uneinigkeit. Ein Teil der Anbieter solcher Lösungen führt „Unified Analytics“ ins Feld, ein anderer „Unified Data Analytics“ (UDA), um die Rolle des Datenmanagements zu unterstreichen. SAS wiederum favorisiert „Unifying Analytics“. Dies soll klarmachen, dass nicht nur technische Komponenten unter einen Hut gebracht werden müssen. „Genauso wichtig ist es, die unterschiedlichen Kompetenzen im Unternehmen zusammenzubringen: Data Scientists, Experten aus den Fachbereichen und die IT“, unterstreicht Andreas Becks von SAS.
Tibco, laut dem Analystenhaus Gartner einer der führenden Anbieter von integrierten Analytics-Lösungen, bezeichnet seinen Ansatz als „Hyperconverged Analytics“. Die Plattform des Unternehmens kombiniert visuelle Analysen mit Data-Science- und Streaming-Funktionen. Exasol wiederum stellt seine Datenbanklösung in den Mittelpunkt von Unified (Data) Analytics. „Damit können Anwender alle Informationen aus einer Datenzugriffsschicht ziehen und analysieren. Dadurch werden Datensilos beseitigt“, verdeutlicht Mathias Golombek. Fachleute erhalten auf diese Weise eine einheitliche Sicht auf Informationen und datenbasierte Prozesse.

Empfehlungen von der KI-Instanz

Ein Ziel von Unified Data Analytics besteht darin, den Nutzern Insights an die Hand zu geben, mit denen sie Geschäftsprozesse und die Beziehung zu Kunden optimieren. „Es geht darum, immer zielgenauere Entscheidungshilfen zu erhalten“, sagt Peter van der Putten, Director Decisioning & AI Solutions bei Pegasystems. Das amerikanische Software-Haus konzentriert sich auf Lösungen für das Kundenbeziehungsmanagement und die Optimierung von Prozessen. „Daraus resultieren konkrete Einzelfallempfehlungen für sogenannte Next Best Actions für den Vertrieb, das Marketing oder den Kundendienst.“
Das heißt, Unified Data Analytics beschränkt sich nicht darauf, den Istzustand von Geschäftsaktivitäten oder mögliche Entwicklungen (Trends) aufzulisten. Vielmehr macht ein Großteil der Lösungen Vorschläge, wie sich Abläufe und Business-Strategien verbessern lassen. Damit weist die integrierte Datenanalyse Elemente auf, die aus dem Bereich Prescriptive Analytics stammen. Dieses Verfahren stellt Nutzern ebenfalls Handlungsempfehlungen zur Verfügung und setzt diese auf Wunsch automatisch um.
Eine Automatisierung von Prozessen stößt jedoch bei etlichen Anwendern noch auf Skepsis. Der Grund: die Angst davor, die Kontrolle über Entscheidungen und Abläufe zu verlieren. Doch letztlich dürfte an der Kombination von Prescriptive Analytics und Automatisierung in vielen Bereichen kein Weg vorbeiführen. Ein Beispiel sind IT-Sicherheitssysteme, die bereits beim ersten Anzeichen einer Cyberattacke Gegenmaßnahmen ergreifen und dadurch Schäden minimieren.
Auch in Handel und Fertigung gewinnen fortgeschrittene Datenanalysemodelle mit autonomen Maßnahmen an Bedeutung. Das ist etwa bei der dynamischen Anpassung von Preisen (Dynamic Pricing) der Fall. „Heute möchten Unternehmen Entscheidungsprozesse vollautomatisch innerhalb von Sekunden treffen, um das Geschäftsmodell zu optimieren, Risiken einzuschätzen oder die Beziehung zu Kunden zu personalisieren“, sagt Mathias Golombek von Exasol.

Die Zentrale Rolle von KI

Damit sich aus den wachsenden Datenbeständen verwertbare Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen extrahieren lassen, und dies am besten in Echtzeit, sind zwei Technologien unverzichtbar: KI und maschinelles Lernen. „Bei Unified Data and Analytics geht es um das Zusammen­spiel von Daten und KI. Beide sind gleich wichtig. Denn Daten ohne nachgelagerte Nutzung bringen keine Vorteile, und KI ohne Daten ist nicht möglich“, betont Stephan Schnieber von IBM. Deshalb hat IBM bei seiner Unified-Data-Analytics-Plattform Cloud Pak for Data Daten und KI-Modelle in einem Katalog zusammengefasst. Er enthält zudem die relevanten Metadaten. Data Engineers und ­Datenwissenschaftler können auf diese Informationen zugreifen – mit den Tools, die sie für ihre Aufgabe benötigen.
Auch die Plattformen anderer Anbieter, etwa Tibco, Data­bricks, Thoughtspot oder Oracle, verfügen über KI- und Machine-Learning-Funktionen. SAS stellt bei seiner Viya Platform „eine umfassende Bibliothek mit Machine-Learning-Verfahren“ bereit, so Andreas Becks. Datenbankspezialisten wie Exasol haben wiederum Schnittstellen für Data-Science-Anwendungen und KI-/ML-Bibliotheken integriert, etwa Tensorflow und R.
Komplexe Architektur: Unified-Data-Analytics-Lösungen sollen Datenquellen, Daten- und Analytics-Plattformen und Business-Anwender unter einen Hut bringen.
Quelle: (Quelle: Eckerson Group, The Rise of Unified Data and Analytic Platforms, 2020)
KI und Machine Learning werden laut Pegasystems im Rahmen von Unified Data Analytics etwa dafür verwendet, um Fragen zu beantworten wie „Welcher Servicefall könnte als nächster auftreten und wie lässt er sich lösen?“ oder „Welche Service Level Agreements sind dabei zu beachten?“. Das erfordert Machine-Learning-Modelle, die eine Analytics-Plattform mithilfe von Künstlicher Intelligenz in Echtzeit erzeugt. Ein Nebeneffekt: Die Aufgabe von Data Scientists ändert sich: „Sie erstellen die Modelle nicht mehr selbst, sondern kontrollieren und optimieren die automatisch generierten Modelle“, erläutert Peter van der Putten.

Technik und Mensch in Einklang

Allerdings ist auch bei Unified Data Analytics noch Raum für Verbesserungen, so van der Putten. Zwar sei die Kombination von Datenmanagement, Analysefunktionen und Machine Learning auf einer einzigen Plattform der richtige Schritt, aber nur ein Etappenziel. „Derzeit liegt der inhaltliche Schwerpunkt von Unified Data Analytics auf der Entwicklung von Vorhersagemodellen, also Predictive Models, aber zu wenig auf deren Bereitstellung, dem Management und dem Monitoring“, erläutert der Fachmann. Es reicht seiner Ansicht nach nicht aus, Daten immer besser analysieren zu können. „Analysen sind kein Selbstzweck. Man muss die Erkenntnisse daraus praktikabel machen und in die internen operativen Prozesse und die Interaktion mit den Kunden einfließen lassen.“
Damit sich solche Konzepte umsetzen lassen, muss jedoch nicht nur der technische Unterbau stimmen. Vielmehr muss man die Mitarbeiter mitnehmen. Das gilt für die Führungskraft wie für den Sachbearbeiter. „Um ein ‚wissensbasiertes‘ Unternehmen aufzubauen, ist es notwendig, zusammen mit den Nutzern entsprechende Services zu entwickeln und zu implementieren“, erläutert Teemu Kinnunen von Futurice. „Und um das zu erreichen, ist es notwendig, Erkenntnisse aus Daten zu gewinnen und dieses Wissen zu nutzen, um bessere Entscheidungen zu treffen.“
Umsetzen lässt sich eine solche Strategie in mehreren Schritten, so Kinnunen. Zunächst ermittelt ein Unternehmen zusammen mit einem Spezialisten, welche Geschäftschancen sich aus der Analyse von Daten und den damit verbundenen Insights ergeben könnten. „Anschließend werden die potenziellen User und deren Anforderungen definiert“, so der Fachmann, „außerdem eine Vorgehensweise, um die Analytics-Lösungen optimal zu nutzen.“ Im dritten Schritt kommen technische Tools zum Zuge, um Daten zu untersuchen und etwa in Predictive-Analytics-Modelle umzusetzen.

Fallstricke vermeiden

Wenn ein Unternehmen die richtige Balance zwischen Technologien, Menschen, Prozessen und Best Practices gefunden hat, dann hat es einen großen Schritt in Richtung einer erfolgreichen Implementierung von Unified Data Analytics getan. Doch es gibt weitere potenzielle Stolpersteine, erläutert Wayne W. Eckerson, Gründer und Präsident des amerikanischen Beratungsunternehmens Eckerson Group in der Studie „The Rise of Unified and Analytic Platforms“.
„Das größte Risiko ist ein Vendor-Lock-in“, so Eckerson. „Unternehmen, die für ihre gesamte Daten- und Analytics-Umgebung die Lösung eines einzelnen Anbieters nutzen, müssen diesem Hersteller ein hohes Maß an Vertrauen entgegenbringen.“ Allerdings nehmen viele Firmen dieses Risiko in Kauf, um Kostenvorteile und kürzere Markteinführungszeiten zu erreichen, so der Fachmann. Weitere mögliche Problempunkte sind die mangelnde Skalierung und die Bindung an spezielle Funktionen und Features, die die Plattform bereitstellt. Zudem sollten Interessenten darauf achten, dass Schnittstellen zu vorhandenen Business-Intelligence-Lösungen, Datenbanken und KI-/Machine-Learning-Programmen vorhanden sind. Sonst kann es leicht passieren, dass sich die Unified-Data-Analytics-Plattform zu einem neuen „Silo“ in der IT-Landschaft entwickelt.
Doch unterm Strich überwiegen bei Weitem die Vorteile von Unified Data Analytics, so Eckerson. Zu den wichtigsten zählen, dass Unternehmen schnell und mit akzeptablem Aufwand Erkenntnisse erhalten, mit deren Hilfe sie umgehend auf veränderte Marktgegebenheiten reagieren und neue Angebote entwickeln können. Diese Faktoren haben gerade durch die Digitalisierung an Bedeutung gewonnen.
Zudem steht Nutzern eine Lösung aus einem Guss zur Verfügung. Das reduziert die Kosten für Betrieb und Wartung, vor allem, wenn die Plattform ein Cloud-Angebot ist. Hinzu kommt, dass – im Idealfall – unterschiedliche Gruppen die Lösung verwenden können, vom Manager bis zu den Mitarbeitern in Fachbereichen oder bei einem Schwesterunternehmen. Das heißt, es lässt sich eine „Demokratisierung“ von Daten und Analysen erreichen. So haben nicht nur elitäre Zirkel im Unternehmen Zugang zu Informationen, sondern alle, die Daten für ihre Arbeit nutzen wollen.
Wichtig für Nutzer im EU-Raum ist, dass eine Plattform Data-Governance-Funktionen bereitstellt. Dadurch lassen sich Datenschutz- und Compliance-Vorgaben erfüllen, etwa die der DSGVO. Data Governance ist außerdem wichtig, damit nur dazu autorisierte Nutzergruppen Zugang zu bestimmten Daten und Analysen erhalten.

Fazit & Ausblick

Eine Plattform statt eines ganzen „Zoos“ von Tools. Das Versprechen, das Unified-Data-Analytics-Lösungen geben, klingt verlockend. Natürlich werden solche Plattformen in der Praxis nicht jedem Unternehmen die gesamte Palette an Vorteilen bieten, die die Hersteller aufführen. Klar ist aber auch, dass in vielen Firmen Datensilos und „Herrschaftswissen“ ein Problem sind. Herkömmliche Business-Intelligence- und Analytics-Ansätze bieten dafür oft keinen brauchbaren Ausweg. Deshalb sollten sich Unternehmen jeder Größe mit dem Thema Unified Data Analytics auseinandersetzen. Denn Daten sind nun einmal zu einem zentralen Wirtschaftsfaktor avanciert. Und offenkundig täte auch die öffentliche Hand gut daran, ihre Datenstrategie und die eingesetzten Lösungen kritisch zu hinterfragen und Unified-Data-Analytics-Ansätze zu evaluieren.

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