Talente finden mit Künstlicher Intelligenz

Im Gespräch mit Rena Tangens vom Digitalcourage e.V.

von - 17.03.2020
Rena Tangens
Rena Tangens: Gründungsvorstand des Digitalcourage e.V.
(Quelle: Veit Metter )
Rena Tangens, Gründungsvorstand des Vereins Digitalcourage, erklärt, warum sie als Datenschützerin den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Personalwesen für bedenklich hält.
com! professional: Frau Tangens, Sie sind Gründungsvorstand des Vereins Digitalcourage, der sich für Informationsfreiheit und Datenschutz einsetzt. Wie bewerten Sie die Nutzung Künstlicher Intelligenz bei Personalentscheidungen?
Rena Tangens: Ich halte sie generell für problematisch. Es wird ein Anschein von Objektivität erweckt, der nicht der Realität entspricht. Menschen werden anhand von Algorithmen aussortiert, ohne dass sie überhaupt in Kontakt mit der Personalabteilung kommen.
Ich habe selbst viel Personalerfahrung und weiß, dass die optimale Kandidatin für eine Stelle nicht unbedingt die mit dem perfekten Lebenslauf und den besten Noten ist. Ich bezweifle daher, dass solche Methoden zu einer besseren Auswahl von Mitarbeitern führen.
com! professional: Digitalcourage vergibt jedes Jahr die Big-Brother-Awards für besonders schwere Verstöße gegen Datenschutz und Informationsfreiheit. Im vergangenen Jahr gehörte das Unternehmen Precire Technologies zu den Preisträgern, das unter anderem eine KI-basierte Sprachanalyse für das Bewerber-Ranking anbietet. Was werfen Sie Precire konkret vor?
Tangens: Precire behauptet, auf wissenschaftlicher Basis zu arbeiten und mit Hilfe Künstlicher Intelligenz die Eignung von Bewerbern anhand der „unveränderlichen Sprach-DNA“ eines Menschen beurteilen zu können. Beweise für diese Aussage bleibt das Unternehmen schuldig. Die Ergebnisse sind zudem wenig aussagekräftig und lesen sich eher wie Horoskope aus der Tageszeitung. Precire widerspricht sich im Übrigen selbst, indem das Unternehmen Sprachtrainings anbietet.
com! professional: Aber ist denn die Auswahl durch Personal­verantwortliche oder Recruiter wirklich besser? Menschen haben schließlich Vorurteile, Computer nicht.
Tangens: Das ist ein naiver Aberglaube. Computerprogramme werden von Menschen entwickelt, Algorithmen lernen an Modellen, die wiederum von Menschen vorgegeben werden. Pre­cire bietet beispielsweise auch an, mit Hilfe der Sprachanalyse geeignete Führungskräfte zu identifizieren.
Als Trainingsmate­rial wurden hierfür Reden von Managern aus DAX-Unternehmen ausgewertet. Was glauben Sie, aus welchem Typ Führungskraft diese Stichprobe hauptsächlich besteht?
com! professional: Aus alten weißen Männern?
Tangens: Na, zumindest hauptsächlich aus Männern. Precire zeigt in einem Werbevideo sehr deutlich, was dabei herauskommt. Da stellt ein Mann im grauen Anzug und mit roter Krawatte einen anderen Mann im grauen Anzug und mit roter Krawatte ein.
com! professional: Führt der Einsatz von Künstlicher Intelligenz also Ihrer Auffassung nach zu noch mehr Uniformität in den Unternehmen, statt die Diversität zu fördern?
Tangens: Ja, diese Art der Bewerberauswahl und Personalführung birgt die Gefahr, dass sich Menschen immer mehr verstellen und standardisieren. Entscheidend für den Erfolg sind nicht mehr Engagement, Kompetenzen und Fähigkeiten, sondern die richtige Fassade auf Facebook, Instagram oder Linkedin.
com! professional: Nicht alle KI-basierten Methoden im Recruiting zielen auf die Bewerberauswahl. Es werden zum Beispiel auch Stellenanzeigen mit Algorithmen zielgruppengerecht optimiert. Halten Sie auch das für problematisch?
Tangens: Sofern dadurch ein Micro-Targeting entsteht, wie wir es von den politischen Parteien kennen, halte ich das für unaufrichtig.
Es wird der Eindruck erweckt, dass sich eine Firma beispielsweise ganz besonders über Bewerbungen von Frauen oder bestimmten Bevölkerungsgruppen freuen würde. Stattdessen hat einfach ein Computer den Text auf x-beliebige Zielgruppen hin optimiert.
com! professional: Was sollten Bewerber oder Mitarbeiter tun, wenn sie sich von Computerprogrammen ungerecht behandelt fühlen?
Tangens: Ich sollte mir überlegen, ob ich bei einer Firma arbeiten möchte, die solche Methoden einsetzt.
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