Handel online und stationär
KI wird zum Game Changer
von
Konstantin
Pfliegl - 24.03.2020
Foto: EstherQueen999 / shutterstock.com
Künstliche Intelligenz mischt die Karten im Handel neu. Vorreiter ist hier der E-Commerce. KI stellt mittlerweile einen Wettbewerbsvorteil dar. Die Frage lautet also nicht ob, sondern wann KI eingesetzt wird.
Die Produktbeschreibungen in den Online-Shops der Technikmärkte MediaMarkt und Saturn sind umfangreich - bei über 350.000 Produkten ein ordentliches Stück Arbeit. Dafür muss sich aber kein Mensch mehr abmühen: Die Shops nutzen für die Generierung von Produktbeschreibungen Künstliche Intelligenz (KI): Eine sogenannte Natural Language Generation (NLG) erstellt die Texte auf der Grundlage technischer Produktdaten. NLG ist, vereinfacht gesagt, der Prozess der Übernahme strukturierter Daten und deren Umwandlung in Text. Das System verwendet also die technischen Daten der Produkte, baut diese in vorformulierte Sätze ein und generiert auf diese Weise individuelle Produktbeschreibungen für jeden Artikel.
Das ist nur ein Beispiel, wie Künstliche Intelligenz den Handel verändert - und das nicht nur online, sondern auch im Laden um die Ecke. Wie KI das Einkaufserlebnis im stationären Geschäft belebt, zeigt Douglas: In mehreren Filialen der Parfümerie-Kette können Kunden individuell auf die eigene Haut abgestimmte Cremes kaufen. Ein Gerät in der Größe eines Kleiderschranks bestimmt die Hauteigenschaften des Kunden und stellt daraufhin KI-unterstützt eine persönliche Hautpflege zusammen.
„Künstliche Intelligenz ist essenziell, wenn es darum geht, das Kundenerlebnis durch personalisierte Erfahrungen und Smart Services zu steigern, und zwar nahtlos über alle Kanäle hinweg. Denn das erwarten Kunden vom Einzelhandel heute“, erklärt Nadine Wolanke, Leiterin Retail Business Unit bei Salesforce Deutschland. Die Einsatzmöglichkeiten reichten etwa von hochpersonalisierten Empfehlungen für Produkte über Rabatte zur richtigen Zeit über den richtigen Kanal bis hin zu schnellerem Kundenservice durch Chatbots. Aber auch den nächsten Schritt im Support wie die intelligente Zuweisung von Servicefällen an den geeigneten Mitarbeiter oder Empfehlungen für den Kundendienst könnte eine KI übernehmen.
„Die Anwendungsbereiche von Künstlicher Intelligenz im Handel sind vielfältig“, sagt auch Stephan Tromp. Laut dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) findet man gängige Beispiele für den Einsatz intelligenter Systeme außer in Filialen etwa in den Unternehmenszentralen und in der Kundenerfahrung. Konkret seien dies zum Beispiel das Bestandsmanagement, die smarte Tourenplanung in der Logistik oder die digitale Umkleidekabine.
Status quo
Die Studie „Mit Künstlicher Intelligenz den Handel stärken“ der Managementberatung Horváth & Partners kommt zu dem Schluss, dass KI nicht nur Einzug in den privaten Alltag gehalten hat, sondern dass insbesondere der Handel von KI profitieren kann. Der Grund: Durch die Vielzahl an Kundeninteraktionen ergebe sich ein schier unermesslicher Datenbestand als Entscheidungsgrundlage für Unternehmensaktionen und -prozesse. Die Berater sehen allerdings auf der anderen Seite auch ein bedrohliches Szenario für Handelsunternehmen: Kunden änderten ihr Kaufverhalten und informierten sich lieber selbstständig und untereinander, Hersteller übernähmen die Funktionen des Handels und neue Anbieter ließen den Konkurrenzdruck steigen.
Während einige Händler die kommenden Herausforderungen erkannt hätten und Künstliche Intelligenz nutzten, um ihre Rolle als Vermittler zu verteidigen und den Kunden mit herausragendem Service zu begeistern, treffe dies, so Horvárth & Partners, jedoch bei Weitem nicht auf die Mehrheit der Handelsunternehmen zu. Oftmals fehle es an einer ganzheitlichen KI-Strategie.
Die Berater attestieren dem deutschen Handel zudem einen enormen Rückstand bezüglich KI und sprechen von einem „alarmierend großen KI-Gap“, einer riesigen Investitionslücke über die gesamte Wertschöpfungskette des Handels hinweg. Die Zahlen unterstreichen dies: So gaben 42 Prozent der für die Studie befragten Entscheider an, keine oder kaum KI in ihren Unternehmen einzusetzen. Das Potenzial wird also noch nicht annähernd ausgeschöpft. Als Gründe nennt die Studie einen grundsätzlich fehlenden Digitalisierungsgrad der Unternehmen, mangelnde Ausbildung oder Akzeptanz der Mitarbeiter sowie das wahrgenommene Risiko einer Fehlinvestition - „das lässt Entscheidungsträger den KI-Einstieg hinauszögern statt diesbezüglich aktiv zu werden.“
Das zögerliche Verhalten deutscher Händler in Sachen KI bestätigt auch Aleš Drábek, Chief Digital & Disruption Officer beim Elektronik-Fachhändler Conrad Electronic. „Aus meiner Sicht beschäftigen sich bis jetzt zu wenige Unternehmen in Deutschland mit diesem Thema.“ Ausnahme seien ein paar moderne Handelsunternehmen, die die Digitalisierung als Chance für sich erkannt hätten. „In vielen Ländern, nicht nur in den USA oder China, sind Unternehmen schon viel weiter auf diesem Gebiet. Um langfristig konkurrenzfähig zu bleiben, ist es zwingend notwendig, auch auf KI zu setzen.“