Die Paywall verdrängt die Gratiskultur

Im Gespräch mit Holger Kansky vom BDZV

von - 18.07.2019
Zum Etablieren einer werbefinanzierten Gratiskultur im Internet haben nicht zuletzt Verlage wesentlich beigetragen. Seit einigen Jahren versuchen sie, diesen Fehler wieder zu korrigieren, wie Holger Kansky, Leiter Digitales beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, berichtet.
Holger Kansky
Holger Kansky: Leiter Digitales beim Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger
(Quelle: BVDW )
com! professional: Laut Umfragen werden digitale Bezahlmodelle zunehmend akzeptiert. Welche Bedeutung hat Paid Content im Medienbereich aktuell schon gewonnen?
Holger Kansky: Paid Content ist ein großes Thema. Bezahlmodelle wurden bei den Zeitungsverlagen seit 2012 auf breiter Basis eingeführt. Vorher gab es immer mal Wellen: In Zeiten, in denen sich der Werbemarkt negativ entwickelte, führten einige Verlage Bezahl­modelle ein. Zogen die Märkte wieder an, wurden die Inhalte wieder freigegeben, um Reichweite und Werbeeinnahmen zu erzielen. Derzeit zählen wir 229 Bezahlangebote von deutschen Zeitungs-Websites, mehr als ein Drittel aller Zeitungsportale.
com! professional: Welche Modelle haben das meiste Potenzial?
Kansky: Das lässt sich nicht generalisieren. Wir haben eine vielfältige, mittelstandsgeprägte Zeitungslandschaft mit überregionalen und regionalen Angeboten. Die Bedingungen in den einzelnen Regionen sind so unterschiedlich, dass man keinem Modell generell den Vorzug geben kann. Wir sehen aber, dass das Freemium-Modell bei den Regionalverlagen aktuell mit 54 Prozent das populärste ist. Danach folgt das Metered-Modell mit 21 Prozent. Am schnellsten wächst derzeit das Hybrid-Modell, das die Mechaniken des Freemium-Modells mit dem Metered-Modell kombiniert. Der Anteil liegt bei 13 Prozent. Auf den nächsten Plätzen folgen die harte Paywall, bei der alle Inhalte verschlossen sind, und das Spendenmodell (bei wenigen, eher linken Zeitungen wie „taz“ oder „Neues Deutschland“).
com! professional: Was sollten Medienhäuser bei der Einführung von Payment-Modellen grundsätzlich beachten?
Kansky: Auch hier gibt es nicht den einen richtigen Weg für alle.  Die Verantwortlichen sollten den Markt analysieren, Experimente machen und viel testen, was am besten funktioniert. Bei großer Konkurrenz müssen sie aufpassen, dass sie mit der Einführung von Bezahlinhalten Wettbewerbern keinen Vorteil verschaffen. Grundsätzlich ist die Umstellung auf Bezahlinhalte ein größeres Projekt, bei dem möglichst viele Abteilungen eingebunden werden sollten, weil die Einführung sich auf alle Abteilungen auswirkt.
com! professional: Beeinflusst Paid Content die redaktionelle Arbeit und inhaltliche Ausrichtung?
Kansky: Unbedingt. Viele Verlage haben mittlerweile einen Artikel-Score etabliert. Dabei wird nicht mehr allein auf Basis der Klickzahlen oder dem „Bauchgefühl“ des Chefredakteurs entschieden, welche Inhalte wie ausgespielt werden. Vielmehr wird auf Basis von Daten entschieden, indem gemessen wird, wie viele Klicks der Content erzielt, wie viel Zeit der Nutzer zum Lesen des Artikels verwendet, wie weit er herun­ter­scrollt, ob er den Artikel teilt und ob ein Abo abgeschlossen wird. Solche Fragen werden in einem Artikel-Score zusammengefasst und gewichtet. Diese Erfolgskennzahlen beeinflussen immer stärker die inhaltliche Arbeit in den Redaktionen, in denen Bezahlangebote im Einsatz sind.
com! professional: Führt das auch zu einer zunehmenden Personalisierung?
Kansky: Ja, ein Angebot für alle - das ist immer weniger zielführend. Die digitalen Angebote der Verlage werden immer stärker personalisiert. Einem Nutzer, der Sport bevorzugt, werden auf der Webseite schon an oberster Stelle Sportinhalte präsentiert. Dabei wird aber kein Inhalt unterschlagen, sondern die häufig genutzten Inhalte werden einfacher und direkter zugänglich gemacht. Verlage mit Paid-Content-Angeboten stellen auch immer häufiger Datenspezialisten ein und orientieren sich an skandinavischen Medienhäusern, die in Sachen Paid Content vorbild­liche Pionierarbeit geleistet haben.
com! professional: Regeln die Medienhäuser die technische Umsetzung selbst oder greifen sie auf Dienstleister zurück?
Kansky: Die meisten Verlage arbeiten mit spezialisierten Dienstleistern zusammen, die entsprechende Lösungen zur Verfügung stellen. Das sind beispielsweise Piano, CeleraOne, LaterPay, Vi&Va oder InterRed. Bei der Bezahlung bieten die Verlage ihren Kunden in der Regel verschiedene Möglichkeiten an.
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