Kommt das Zweiklassen-Internet?

Was heißt Netzneutralität?

von - 10.06.2015
Nico Lumma, Co-Vorsitzender Vereins D64
Nico Lumma, Co-Vorsitzender D64
Den Begriff Netzneutralität hat der amerikanische Programmierer Tim Wu bereits 2002 geprägt. Es gibt jedoch unterschiedliche Definitionen, was Netzneutralität eigentlich bedeutet. Bei Wikipedia heißt es nüchtern: „Netzneutralität bezeichnet die Gleichbehandlung von Daten bei der Übertragung im Internet und den diskriminierungsfreien Zugang bei der Nutzung von Datennetzen.“
Barbara van Schewick, Informatikerin und Rechtswissenschaftlerin an der Stanford Law School, schreibt: „Das Internet stellt aufgrund des End-to-End-Prinzips ein neutrales Netzwerk dar, das nicht in der Lage ist, Anwendungen an seinen Rändern auszuschließen oder ihre Ausführung zu behindern. Gegenläufig dazu wird es Netzbetreibern im Zuge neuer technologischer Entwicklungen möglich, bestimmte Anwendungen unter der Verletzung der End-to-End-Architektur des Internets zu diskriminieren.“
Sie definiert die Netzneutralität also über das Ende-zu-Ende-Prinzips des Internets. Zu den neuen Techniken gehört etwa Deep Packet Inspection, mit der sich auslesen lässt, welche Art von Daten in einem Netzpaket stecken.

Interview mit Nico Lumma, Co-Vorsitzender D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt

com! professional: Welche Gründe sprechen für die Netzneutralität und die strikte Gleichbehandlung aller Datenpakete?

Nico Lumma: Es gilt das Gebot der diskriminierungsfreien Durchleitung von Daten. Damit werden alle Datenpakete gleich behandelt, und es spielt keine Rolle, um welche Inhalte es sich handelt oder wer die Daten zur Verfügung stellt oder abruft. Das bedeutet übrigens auch, dass große und kleine Anbieter dieselben Chancen im Markt haben, ihre Nutzer zu erreichen.

 

com! professional: Gibt es sinnvolle Ausnahmen?

Lumma: Nein.

 

com! professional: Welche Argumente der Gegner der Netzneutralität können Sie nachvollziehen?

Lumma: Keines. Es geht immer darum, dass man den Netzausbau zurückhaltend angeht und doppelt kassieren will: einmal für die Netzanbindung und einmal für die Durchleitung spezieller Datenpakete. Infrastrukturanbieter wollen an den Inhalten mitverdienen, das lehne ich ab, da es moderne Wegelagerei ist.

 

com! professional: Die Telekom etwa führt hohe Investitionskosten ins Feld und will eventuell Gebühren für priorisierte Dienste erheben. Was sagen Sie dazu?

Lumma: Infrastrukturanbieter stehen in der Tat vor der Herausforderung, dass sie in bessere Netze investieren müssen, aber Inhalte-Anbieter dann funktionierende Geschäftsmodelle aufsetzen, an denen die Infrastrukturanbieter nicht partizipieren. Die Limitierung des Geschäftsmodells sollte aber nicht dazu führen, dass das Prinzip der Netzneutralität verlassen wird, damit Infrastrukturanbieter mehr Geld kassieren können.

 

com! professional: Länder wie Slowenien und die Niederlande haben sich zur Netzneutralität bekannt. Wie sehen Sie die Situation in Deutschland und in der EU?

Lumma: Die Bundesregierung sagt, sie sei für Netzneutralität, formuliert aber Ausnahmeregelungen für Verkehrsdienste und Operationen über das Internet. Das zeigt, dass die Telekom und andere Telekommunikationsanbieter hier ganze Arbeit leisten und dafür sorgen, dass die Netzneutralität aufgeweicht wird.

 

com! professional: Ein Wort zu D64: Welche Ziele hat der Verein?

Lumma: D64 hat sich zum Ziel gesetzt, die Digitalpolitik konstruktiv zu begleiten und Ideen zu entwickeln, wie die Digitalisierung der Gesellschaft gestaltet werden kann. Mittlerweile sind über 350 Mitglieder bei D64 engagiert und streiten für eine progressive Digitalpolitik.

La Quadrature du Net, eine französische Nichtregierungs­organisation, die sich für Bürgerrechte im Internet einsetzt, meint: „Netzneutralität bedeutet, dass das Internet keine Torwächter hat. Das umfasst alle Bereiche, die mit dem Informationsfluss im Internet zu tun haben, wie freie Rede, Zugang zu Wissen, Copyright und Innovation. Dank dieses Prinzips behält jeder die Freiheit, beliebige Informationen abzurufen oder zu produzieren.“
Hier geht es also darum, dass es keine Instanz geben darf, die bestimmt, welche Daten im Netz übertragen werden und welche nicht, dass also die Netzbetreiber lediglich als Weiterleiter von Informationen fungieren.
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