Der Trend zur Plattformökonomie ist ungebrochen

Im Gespräch mit E-Commerce-Experte Jochen Krisch

von - 21.06.2019
Jochen Krisch
Jochen Krisch betreibt den Blog Exciting Commerce.
(Quelle: Exciting Commerce)
Jochen Krisch ist mit seinem Blog Exciting Commerce einer der profiliertesten E-Commerce-Experten Deutschlands. Er ist ein Fan von Plattformstrategien, doch fehlt es ihm hierzu­lande oft noch an passenden Beispielen für eine gelungene Umsetzung.
com! professional: Um das Thema Plattform herrscht ein großer Hype. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, jeder Händler sollte sich zur Plattform wandeln. Für wen ist eine Plattformstrategie wirklich geeignet?
Jochen Krisch: Ich halte so manche Plattform für übertrieben, weil Plattformen nur für wirklich starke Händler Sinn ergeben. Aus meiner Sicht sind Plattformen in zwei Fällen sinnvoll: bei wachstumsstarken ­Online-Händlern ab einem Jahresumsatz von 500 Millionen Euro und wenn über die Plattform komplementäre oder ergänzende Sortimente eingebunden werden sollen, also zum Beispiel ein Möbelsortiment bei einem Modehändler und so weiter.
Spannend ist ja die Grundfrage, warum man eine Plattform machen sollte: nicht weil es gerade im Trend liegt, sondern beispielsweise um Skaleneffekte zu erzielen oder um sich neue Erlösquellen zu erschließen. Das übersehen viele.
com! professional: Wer hat Ihrer Ansicht nach in Deutschland neben Amazon, Otto und Zalando das Thema Plattform besonders gut adaptiert?
Krisch: About You wäre hervorzuheben, das das Thema ja hierzulande in der Breite ins Rollen gebracht hat, weil es – als Händler – von Beginn an auf einen Plattformansatz gesetzt hat. Zudem finde ich wie angesprochen Händler interessant, die auf Komplementärstrategien setzen. Klingel ist dafür ein gutes Beispiel.
Ansonsten täte ich mich mit internationalen Beispielen deutlich leichter. Ich finde zum Beispiel die Plattformstrategie von Digi­tec/Galaxus spannend. Wirklich gute Ansätze findet man vor allem bei Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Euro Umsatz.
com! professional: Bei vielen selbst erklärten Plattformen handelt es sich im Kern um eine Marktplatzstrategie. Sind Marktplätze leichter umsetzbar?
Krisch: Marktplätze sind aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, um entspre­chende Plattformservices anbieten zu können. In ein paar Jahren dürfte man mehr davon sehen.
com! professional: Es gibt Beispiele, bei denen sich Händler an bereits bestehenden Vermittlungsportalen beteiligen – zum Beispiel Ikea an der Handwerkerplattform Task-Rabbit oder Burda/Cyberport an dem Fernwartungsportal Expertiger. Lässt sich eine Plattformstrategie auch so denken?
Krisch: Ich würde unterscheiden zwischen Handelsplattformen und der Einbindung von Serviceplattformen, Communitys und Ähnlichem. Beides sind aus meiner Sicht voneinander unabhängige Themen. Ob und wann die Einbindung von Services Sinn ergibt, hängt von der jeweiligen Strategie ab, ist aber meines Erachtens aus Handelssicht kein Plattformthema. An sich sollte es ja andersrum laufen, dass Händler ihre Plattform­services anderen anbieten.
com! professional: Das Paradebeispiel dafür ist Amazon, das mit seinen Logistik- und Web-Services vorexerziert, wie sich die eigene Infrastruktur für Dritte öffnen lässt. Wo gibt es dafür in Deutschland gute Ansätze und entsprechendes Potenzial?
Krisch: Hier rächt sich ein bisschen, dass viele Online-Händler austauschbar sind und sich keine wirklich starken Kompetenzen erworben haben, die sie anderen zur Verfügung stellen können. About You macht das mit der About You Cloud. Zalando treibt Fulfillment, Brand, Media und Payment Solutions voran. Im Prinzip böte sich eine Öffnung und Bereitstellung der eigenen Infrastruktur auf allen Ebenen an.
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