Start ins Plattform-Zeitalter

Otto fordert Amazon heraus

von - 15.01.2019
Otto
Foto: Otto
Otto Market könnte eine echte Alternative zum übermächtigen Amazon werden. Vom ersten Katalog 1950 bis zur derzeitigen Umwandlung zur Digitalplattform ist viel passiert.
Umsatz von Amazon und Otto 2017
Quelle: EGU Retail Institute / Statista
Als Werner Otto 1950 seinen ersten Katalog veröffentlichte, der auf 14 handgebundenen Seiten 28 Paar Schuhe präsentierte, ahnte er nicht, dass sich sein Unternehmen innerhalb von knapp 70 Jahren zwei Mal komplett neu erfinden würde. Die Transformation vom Katalogversender zum Online-Händler, die in den 2000er-Jahren begann, war ein enormer Kraftakt. Dabei änderte sich eigentlich nur der Vertriebskanal, aber nicht die Händler-DNA.
Jetzt steht Otto der bislang größte Umbruch der Firmengeschichte bevor. „Wir werden Plattform und konzentrieren uns dabei auf unsere Stärken im Bereich Home & Living“, lautet das im Frühjahr ausgegebene Mantra. Das heißt, dass jetzt auch Otto, wie Amazon oder Zalando es seit Langem vor­exerzieren, vom Händler zum Tech-Unternehmen wird.
Ganz neu ist die Idee nicht, wie Marc Opelt, Vorsitzender des Bereichsvorstands Vertrieb, bestätigt. Bereits 2006 entwickelte Otto die ersten Plattformfähigkeiten. Doch obwohl man damals bereits sieben Jahre lang beobachten konnte, wie massiv Amazon mit seinem Marktplatzgeschäft in Deutschland wuchs, hatte man in Hamburg „das Potenzial nicht sofort vollständig erkannt“, wie Opelt selbstkritisch zugibt.
Marc Opelt
Marc Opelt
Vorsitzender des Bereichsvorstands Vertrieb bei Otto
www.otto.de
Foto: Otto
„Die Marke Otto fokussiert auf drei Attribute: persönlich, fair, inspirierend.“
Zwölf Jahre später ist die Erkenntnis da: Das Plattformgeschäft ergibt für ein Unternehmen wie Otto hochgradig Sinn. Und gefühlt ist für eine solche Offensive der Zeitpunkt heute besser als im Jahr 2006. Damals galt Otto als eher altmodisch und mit sich selbst beschäftigt, Amazon wurde als progressiv und modern in den Himmel gelobt. Heute ist die Situation eine andere: Nicht wenige Marktplatzpartner sehen Amazon aufgrund eigener Erfahrungen inzwischen als „tödliche Umarmung“, als Unternehmen, das zwar enormes Umsatzpotenzial bietet, jedoch auch für dramatische Abhängigkeiten sorgt, und sehnen sich nach Alternativen.

Gute Voraussetzungen

Doch die bietet in dieser Größenordnung aktuell kein anderer Marktplatz hierzulande. Und auch die deutschen Händler, die das Potenzial haben, einen relevanten Marktplatz zu bauen, sind rar. „500 Millionen Visits pro Monat braucht man für ein erfolgreiches Marktplatzgeschäft mindestens“, weiß Gerrit Heinemann, Leiter des eWeb Research Center an der Hochschule Niederrhein. „Diese Voraussetzung erfüllen in Deutschland eigentlich nur noch Ebay, Zalando und Otto.“
Entsprechend schlug die Ankündigung, dass Otto jetzt zur Plattform werden will, in der Branche ein wie eine Bombe: „Wir wussten, dass der Markt auf eine Alternative wartet. Aber dass der Ansturm derart groß sein würde, hat uns selbst überrascht“, berichtet Opelt. Zumal Otto bei der Transformation zur Plattform noch völlig am Anfang steht. Rund 100 Millionen ­Euro will das Unternehmen allein bis zum Ende des Geschäftsjahrs 2018/19 in diese Wandlung investieren.
Doch dabei bleibt es nicht: „Wir reden von mehreren Jahren Entwicklungszeit“, erklärt Opelt. Rund 580 Stellen in den Bereichen Business Intelligence, IT und E-Commerce sollen dieses Jahr neu besetzt werden. Alle alten Legacy-Systeme aus den Zeiten, in denen Otto noch Händler war, müssen in kleine Stücke zersägt und modular ausgewechselt werden. Und die komplette Organisation muss fit gemacht werden für das Plattform-Geschäft.
Diese Aufgabe übernimmt Tim Buchholz, auf dessen Visitenkarte „Principal Platform Business“ steht. „Als beschlossen wurde, dass Ottos Geschäftsmodell zu einer Plattform weiterentwickelt wird, wurde auch entschieden, dass dies eine Trans­formation für all unsere 4.500 Mitarbei­-ter bedeutet. Wir haben daher kein eigenes Team gegründet, sondern sechs Plattformstrategie-Spezialisten zu einer Art Change-Team ernannt“, erklärt Buchholz. Er selbst sei einer davon und „mal als Berater ­gegenüber den Bereichsvorständen aktiv, mal beratend im Haus unterwegs“. Mal stoße er als Projektleiter erste Projekte an, dann sei er wieder Kommunikator und berichte, „was wir vorhaben“, skizziert er seinen Job.
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