Der E-Commerce sucht dringend Azubis

Im Gespräch mit Madlen Schaller-Bock

von - 04.12.2019
Bei der Online-Apotheke Mycare haben im August erstmals zwei Auszubildende ihre Lehre als E-Commerce-Kaufleute angefangen. Madlen Schaller-Bock, Leitung Marketing bei Mycare.de, schildert ihre ersten Erfahrungen.
com! professional: Sie bilden in diesem Jahr erstmals Kaufleute im E-Commerce aus. Warum nicht schon 2018?
Madlen Schaller-Bock: Wir hätten ­eigentlich gern schon im vergangenen Jahr Ausbildungsplätze besetzt, haben damals aber tatsächlich keinen Azubi ­gefunden. Ehrlich gesagt haben wir überhaupt keine Azubis gefunden, die den Beruf und den Ausbildungsbereich kannten. Das war für alle superneu. Wir haben das Thema mit auf Ausbildungsmessen genommen und versucht, es über die Presse in die Region zu tragen, weil wir natürlich daran interessiert sind, auch hier Fachkräfte zu bündeln und auszubilden. Aber am Ende des Tages kam immer die gleiche Antwort: „Ach, davon habe ich noch nie was gehört.“
com! professional: Würden Sie sagen, es mangelte an der Kommunikation seitens der Verbände, der IHKs und der Branche an sich?
Schaller-Bock: Nein, gar nicht. Es gibt ja viele digitale Berufe, die schon seit Jahren existieren und die kaum ankommen. Ich sehe das nicht so sehr als Aufgabe der IHK. Da müssten eher die Schulen aktiv werden und mit den Unternehmen kooperieren. Ein Problem ist auch, dass der klassische Abiturient ja immer denkt, er muss sofort studieren gehen, weil das von den Gymnasien so getriggert wird. Für sie kommt es gar nicht infrage, eine Ausbildung zu machen. Aber Kaufleute im E-Commerce haben ein enormes Pensum, das man erst einmal bewältigen muss. Im Grunde ­suchen wir die eierlegende Wollmilchsau. Das würde ich nicht jedem jungen Menschen zutrauen, weil es extrem vielfältig und auch zahlenlastig ist.
com! professional: Trotz aller Hürden haben Sie zwei Auszubildende gefunden. Wie das?
Schaller-Bock: Na ja, die einzige Bewerbung, die wir hatten, war für den Beruf nicht geeignet. Dass wir jetzt tatsächlich zwei Auszubildende haben, war eher ein Zufall. Eine habe ich auf einer Messe getroffen. Sie hat mir erzählt, dass sie mit ihrer derzeitigen Ausbildung unglücklich ist. Die hat sie dann abgebrochen und ist zu uns gewechselt. Eine andere hatte sich ursprünglich als Mediendesig­nerin bei uns beworben, aber die Stelle war schon vergeben, und da habe ich ihr die Ausbildung zur E-Commerce-Kauffrau vorgeschlagen. Auch sie hatte ­davon zuvor noch nie etwas gehört.
com! professional: In den neuen Bundes­ländern wurden im vergangenen Jahr 123 Ausbildungsverträge für E-Commerce-Kaufleute abgeschlossen, in den alten Bundesländern waren es 1158. Haben Sie in Wittenberg einen Standortnachteil?
Schaller-Bock: Ich glaube nur in der Ausbildungssituation. Viele junge Menschen würden gern hierbleiben, haben aber keine Perspek­tive. Die nächste Berufsschule, die E-Com­merce-Kaufleute ausbildet, ist in Magdeburg. Die Azubis müssen dafür knapp zwei Stunden fahren – für die einfache Strecke. Das zweimal pro Woche kann ich fast keinem ­Bewerber vermitteln. Und selbst wenn es Blockunterricht wäre, gibt es keine bezahlbaren Unterkünfte. Wir zahlen unseren Auszubildenden zwar Fahrtzuschüsse, aber man muss sich doch fragen, ob man in einem digitalen Beruf nicht auch über digitale Klassenzimmer nachdenken müsste.
com! professional: Wie sieht es denn mit den Unternehmen in Ihrer Region aus, die ausbilden könnten. Gibt es da genug?
Schaller-Bock: Ich glaube, in dem ­Umfang wie wir kann kaum ein Unternehmen hier ausbilden. Ich habe von ­unserer IHK Dessau-Halle auch gehört, dass einige Unternehmen, die anfangs Lehrlinge einstellen wollten, wieder ­abgesprungen sind, weil sie es sich nicht zugetraut haben. Und wenn Sie sich ­einen Betreiber eines kleinen Reiseportals anschauen: Der darf ausbilden, weil er den Schein hat und weil er E-Commerce macht. Aber was kann man dort lernen? Es gibt keine Logistik und keine Kommissionierung und Produkteinkauf oder Sortimentspolitik nur im weitesten Sinn. All das, was Kaufleute im E-Commerce eigentlich ausmacht, ist nicht vorhanden.
com! professional: Sind Sie zufrieden mit den Ausbildungsin­halten?
Schaller-Bock: Ja, mit dem, was im Lehrplan steht, bin ich d’accord. Da merkt man schon, dass die Handelspartner mit am Tisch saßen. Jetzt ist nur die Frage, wie man das alles vermittelt bekommt. Haben Sie schon mal einen Blick in das Schulbuch für das erste Lehrjahr geworfen? Ich bin fast vom Glauben ab­gefallen. Da gibt es Statistiken, die sind aus dem Jahr 1989. Das war lange vor den Anfängen von Amazon, Ebay & Co.
Verwandte Themen