Keiner weiß, was Digitalisierung eigentlich bedeutet

Benutzerfreundlichkeit vs. Sicherheit

von - 22.08.2019
com! professional: Was würden Sie am heutigen System gern ändern?
Crameri: Ich bin sicher nicht der Einzige, der in dem Dilemma zwischen Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit steckt. Dies ist wohl eher ein Problem der modernen Technik - und damit eines unserer heutigen Zeit. Ein gutes Beispiel ist der Anmeldeprozess beim Online-Banking. Die Kunden müssen sich heute lange Zeichen­folgen merken, Spezial-Hardware verwenden oder QR-Codes mit dem Handy scannen. Dabei war uns schon vor Jahrzehnten versprochen worden, dass Bio­metrie demnächst marktreif ist. Sie ist es heute immer noch nicht - und wird es auch in den nächsten zwei, drei Jahren nicht sein.
Den größten Fortschritt habe ich bei der Stimmerkennung beobachtet. Sie funktioniert gut, allerdings auch nur im stillen Kämmerlein. Wer sich in der Straßenbahn beim Online-Banking anmelden will und dabei von einer Durchsage gestört wird, dem wird vermutlich der Zugang verwehrt. Eben: das Dilemma zwischen Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit.
com! professional: Wie geht die Credit Suisse mit Legacy-Systemen um?
Crameri: Hier will ich gern die Gegenfrage stellen. Was ist Legacy? Jede Firma mit einer gewissen Größe besitzt eine über Jahre gewachsene IT-Plattform. An irgendeiner Ecke muss diese Plattform immer erneuert werden. Selbst wenn ein Unternehmen die ganze Plattform austauscht, wird auch das neue System bald wieder zur Legacy.
Die IT-Systeme einer Bank lassen sich gut mit einer Stadt vergleichen: Es gibt Bezirke wie die Altstadt mit einigen renovierungsbedürftigen Häusern und die hochmodernen Neubausiedlungen. In diesem Szenario lautet unsere Strategie: Managed Evolution.
Gemeinsam mit dem Business evaluieren wir kontinuierlich, welche Systeme erneuert oder angepasst und welche ausgebaut oder heruntergefahren werden können. Zusätzlich prüfen wir einmal jährlich, welche Bestandteile der Plattform renovierungsbedürftig sind. Dabei erweisen sich die Applikationen als bemerkenswert robust, denn der Modernisierungsbedarf hält sich in Grenzen.
com! professional: Was war Ihr letztes Modernisierungsprojekt?
Crameri: Unsere letzte große Erneuerung war das historisch gewachsene Payment-System. Hier gab es Applika­tionen, die vor mehr als 30 Jahren gebaut wurden und das Ende ihres Lebenszyklus erreicht hatten. Über die letzten vier Jahre haben wir die Legacy-Systeme abgelöst und arbeiten nun seit Ende vergangenen Jahres auf einer hochmodernen Plattform, die aus meiner bescheidenen Sicht das beste Payment-System auf dem Schweizer Markt ist. Hier haben wir zehn bis 15 Jahre Ruhe, dann ist auch dieses System wieder Legacy.
com! professional: Was würden Sie am liebsten sofort abschalten oder ändern am aktuellen System?
Crameri: Mein größter Feind ist die Komplexität. Damit meine ich nicht explizit die IT, sondern auch das Business. Aber: Die Komplexität ist keine Spezialität von Credit Suisse. Jedes Unternehmen mit einer gewissen Größe und Geschäftshistorie hat gewachsene Prozesse und Strukturen, die die Organisation auch träge machen.
In den letzten Jahren haben wir in der IT aufgeräumt, zum Beispiel haben wir redundante Applikationen zurückgebaut. Dadurch konnten wir auch einiges an Kosten einsparen. Nun wollen wir gemeinsam mit dem Business das Portfolio entschlacken. Das Ziel sind weniger Produkte und schlanke­­-
re Prozesse ohne viel Variation. Hier ist die IT der Initiator. Das Business muss aber letztendlich entscheiden, welche Erfordernisse das jeweilige Geschäft wirklich noch hat.
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