Keiner weiß, was Digitalisierung eigentlich bedeutet

Digitale Transformation bedeutet ...

von - 22.08.2019
com! professional: Was bedeutet für Sie die digitale Transfor­mation?
Crameri: Die digitale Transformation ist zu einem regelrechten Modebegriff verkommen. Alle Welt spricht darüber, aber keiner weiß genau, was tatsächlich gemeint ist. Nach meinem Verständnis ist die digitale Transformation eine vollkommene Neuausrichtung aller Services eines Unternehmens auf die Kundenbedürfnisse. Neu fokussiert sich die Bank auf die gesamte Customer Journey. Und diese wird dann dank digitaler Transformation optimal abgebildet. Für die Banken sehe ich zudem die Chance, ihre Produktportfolios und Prozesse zu entschlacken. Diese Entschlackung findet vor einer Digitalisierung statt. Produkte und Services werden dabei kritisch unter die Lupe genommen. Der „lipstick on a pig“ - das Aufhübschen von Ladenhütern mit einer modernen Oberfläche - zählt für mich nicht zur digitalen Transformation.
com! professional: Adressieren Sie mit Ihren Ideen auch das Business?
Crameri: Wir haben uns eigens für die Digitalisierung intern neu aufgestellt: Das digitale Produktmanagement, die Kollegen aus dem Front Office und die IT sitzen regelmäßig zusammen, um über neue Produkte zu sprechen. Während die beiden Business-Einheiten oft Anwendungen vorschlagen, zeigen wir von der IT auf, wie wir diese bauen könnten. Manchmal kommen wir dann auf neue Möglichkeiten, wie man Anwendungen alternativ bauen könnte - oder welche anderen Anwendungen möglich wären. In diesem Kreis treiben wir uns gegenseitig an.
Bei den Banking-Anwendungen beispielsweise für Analytics und Machine Learning kamen die Anregungen hauptsächlich aus der IT. Unserer Meinung nach schlummert hier noch ein riesiges Potenzial, bei dem die IT die Rolle übernehmen muss, die Technologie in Business Cases zu übersetzen. Mittlerweile haben wir verschiedene Proofs of Concept schon umgesetzt.
com! professional: Welche Anwendung haben Sie umgesetzt?
Crameri: Da ich in der komfortablen Lage bin, sowohl die IT als auch eine Business-Einheit zu leiten, habe ich Machine Learning für eine Mid-Office-Funktion umgesetzt. Der Anwendungsfall sind Anfragen sowie auch Aufträge von Kundenberatern an das Back Office. Die internen Statistiken zeigen, dass über 50 Prozent lediglich Standardanfragen sind. Sie können mit Machine Learning problemlos automatisiert, effektiver und schneller beantwortet werden.
com! professional: Spricht schon der Computer von Credit Suisse mit dem Endkunden?
Crameri: Nein, auf die direkte Kunden­ansprache durch den Computer verzichten wir vorerst bewusst. Die Technologie kommt zurzeit noch ausschließlich zur Unterstützung der Front-Mitarbeiter zum Einsatz. Allerdings haben wir einen Chatbot, der die Kunden auf der Webseite begrüßt und ihnen Hilfe anbietet.
com! professional: Ist das eine Eigenentwicklung?
Crameri: Nein, das ist Standardtechnik. Hier folgen wir unserer Strategie: Wenn wir ein neues Projekt lancieren, dann prüfen wir zuerst, ob wir eine passende Lösung kaufen können. Wenn das nicht der Fall ist, sehen wir uns nach Partnern um oder wir evaluieren, ob ein passender Service verfügbar ist. Weiter achten wir auf offene Plattformen, um bei einem technologischen Wandel nicht an einen Anbieter gebunden zu sein.
Unsere Cognitive Intelligence Platform ist beispielsweise Open Source, damit wir möglichst viel Flexibilität haben. Allein schon beim Natural Language Processing entwickelt sich die Technologie zurzeit so rasant weiter, dass wir nicht in einem System gefangen sein wollen.
com! professional: Credit Suisse war 1997 mit „DirectNet“ ein Vorreiter im E-Banking. Sehen Sie die Bank noch immer vorn?
Crameri: Ja, ich sehe die Credit Suisse bezüglich Innovation im Banking auch heute noch in einer Spitzenposition. Andere Banken haben aber - um es positiv zu sagen - mittlerweile massiv aufgeholt. Das will ich nicht verkennen.
Weiterhin eine Führungsposition inne hat die Credit Suisse im Firmenkundengeschäft. Hier haben wir in den vergangenen zwei Jahren sehr viele neue Produkte lanciert, zum Beispiel das digitale Kunden-Onboarding für Firmenkunden, Online-Leasing oder Multibank Cash Management. Stark ist ebenfalls unser Angebot im Private Banking.
Beim Retail Banking hatten wir einen gewissen Nachholbedarf. Inzwischen sind wir wieder ganz vorn mit dabei und werden unsere führende Positon weiter stärken.
com! professional: Mit welchem Angebot sticht die Credit Suisse besonders heraus?
Crameri: Aus der Vergangenheit besaßen wir bereits ein sehr mächtiges Online-Banking. Über die letzten Jahre haben wir es geschafft, eine moderne, bedienerfreundliche und einfache Oberfläche zu entwickeln. Mittlerweile ist die große Mehrheit der Kunden sehr zufrieden.
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