Wie ein Virus die Digitalisierung vorantreibt
Effektivität statt Effizienz
von Thomas Hafen - 12.06.2020
In der Unternehmens-IT kämpfen die Verantwortlichen derzeit an zwei Fronten: Auf der einen Seite müssen sie trotz teils drastischer Budgetkürzungen den laufenden Betrieb aufrechterhalten, auf der anderen Seite gilt es, sich für die Zeit nach der Krise bestmöglich aufzustellen. „CIOs begreifen, dass sie in ein adaptives Prozesswesen investieren müssen, um mit Disruptionen künftig besser klarzukommen“, berichtet Forrester-Research-Director Matzke. Und die werden kommen, da ist sich der Analyst sicher: „Gestern war es der Brexit, heute ist es Covid-19 und morgen ist es irgendetwas anderes“, so Matzke. „Die Veränderung ist die einzige Konstante, die es gibt.“
Die bisherigen Transformationsansätze, die vor allem auf mehr Effizienz abzielen, greifen laut Pascal Matzke zu kurz: „Wir müssen weg von den Silostrukturen und Prozessmodellen mit ihren linearen Transaktionen hin zu einer Welt der Interaktion von Kunden, Mitarbeitern und Innovationspartnern“, unterstreicht der Analyst.
Grundsätzlich sei die Bereitschaft größer geworden, herkömmliche Effizienzmessungen mit klassischen KPIs durch eine gesamtheitliche Betrachtung der Kundenbeziehungen und der Resilienz der Wertschöpfung zu ersetzen: „Es geht in Zukunft mehr um Effektivität als um Effizienz.“ Predictive Analytics und BI werden zudem künftig eine noch größere Rolle spielen als bisher, ist sich der Forrester-Analyst sicher: „Wenn diese Krise eines gezeigt hat, dann wie wichtig gute Vorhersagemodelle und Business Insights sind.“
Carlo Velten, Mitgründer und CEO des Digital-Service-Providers Cloudflight.io, rät CEOs dringend, sich trotz einbrechender Umsätze nicht kaputtzusparen: „Auch wenn Budgetkürzungen unumgänglich sein werden, darf der Digitalisierungsmotor keinesfalls ins Stottern geraten.“
Auf dessen baldiges Wiederanspringen setzen auch der Verband der Internetwirtschaft eco und das Beratungsunternehmen Arthur D. Little. In ihrer Studie „Internetwirtschaft 2020-2025“ prognostizieren sie für die Branche nach einem Rückgang von 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein durchschnittliches Wachstum bis 2025 von 9,5 Prozent. „Wir erleben aktuell, wie die Corona-Krise trotz partieller Einbrüche in einzelnen Branchensegmenten insgesamt zu einem Digitalisierungsschub in vielen Bereichen der Internetwirtschaft führt“, erklärt Oliver Süme, der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Internetwirtschaft eco.
Fazit & Ausblick
Maximal auf Effizienz getrimmte Wirtschaftssysteme und ein globales Sourcing, das sich am billigsten Preis orientiert, mögen in normalen Zeiten für hohe Gewinne und Wettbewerbsvorteile sorgen. In einer Krise wie der aktuellen offenbart sich jedoch ihre eklatante Schwäche. Je schlanker die Prozesse und je geringer der Eigenanteil an der Wertschöpfung, desto schneller brechen Produktion und Handel unter Druck zusammen. Um gegen zukünftige Katastrophen besser gewappnet zu sein, müssen Unternehmen daher agiler und resistenter werden.
Dezentrale, eigenverantwortliche Organisationseinheiten, die schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können, und eine größere Unabhängigkeit von internationalen Warenströmen können dazu genauso einen Beitrag leisten, wie Automatisierung, Künstliche Intelligenz und verteilte Cloud-Strukturen. Der Wert der digitalen Transformation darf zukünftig nicht mehr vornehmlich an ihrem Beitrag zur Effizienzsteigerung gemessen werden. Viel wichtiger ist die Frage, ob und wie Digitalisierung dazu beitragen kann, schneller aus dieser und besser aus der nächsten Krise zu kommen.