Wie ein Virus die Digitalisierung vorantreibt

Effektivität statt Effizienz

von - 12.06.2020
In der Unternehmens-IT kämpfen die Verantwortlichen derzeit an zwei Fronten: Auf der einen Seite müssen sie trotz teils drastischer Budgetkürzungen den laufenden Betrieb aufrechterhalten, auf der anderen Seite gilt es, sich für die Zeit nach der Krise bestmöglich aufzustellen. „CIOs begreifen, dass sie in ein adaptives Prozesswesen investieren müssen, um mit Disruptionen künftig besser klarzukommen“, berichtet Forrester-Research-Director Matzke. Und die werden kommen, da ist sich der Analyst sicher: „Gestern war es der Brexit, heute ist es Covid-19 und morgen ist es irgendetwas anderes“, so Matzke. „Die Veränderung ist die einzige Konstante, die es gibt.“
Die bisherigen Transformationsansätze, die vor allem auf mehr Effizienz abzielen, greifen laut Pascal Matzke zu kurz: „Wir müssen weg von den Silostrukturen und Prozessmodellen mit ihren linearen Transaktionen hin zu einer Welt der Interaktion von Kunden, Mitarbeitern und Innovationspartnern“, unterstreicht der Analyst.
Grundsätzlich sei die Bereitschaft größer geworden, herkömmliche Effizienzmessungen mit klassischen KPIs durch eine gesamtheitliche Betrachtung der Kundenbeziehungen und der Resilienz der Wertschöpfung zu ersetzen: „Es geht in Zukunft mehr um Effektivität als um Effizienz.“ Predictive Analytics und BI werden zudem künftig eine noch größere Rolle spielen als bisher, ist sich der Forrester-Analyst sicher: „Wenn diese Krise eines gezeigt hat, dann wie wichtig gute Vorhersagemodelle und Business Insights sind.“
Dr. Carlo Velten
Dr. Carlo Velten
Gründer und CEO von Cloudflight
www.cloudflight.io
Foto: Philipp Greindl – FLAP PHOTOGRAPHY
„Auch wenn Budget­kürzungen unumgänglich sein werden, darf der Digitalisierungsmotor keinesfalls ins Stottern geraten.“
Carlo Velten, Mitgründer und CEO des Digital-Service-Providers Cloudflight.io, rät CEOs dringend, sich trotz einbrechender Umsätze nicht kaputtzusparen: „Auch wenn Budgetkürzungen unumgänglich sein werden, darf der Digitalisierungsmotor keinesfalls ins Stottern geraten.“
Auf dessen baldiges Wiederanspringen setzen auch der Verband der Internetwirtschaft eco und das Beratungsunternehmen Arthur D. Little. In ihrer Studie „Internetwirtschaft 2020-2025“ prognostizieren sie für die Branche nach einem Rückgang von 1,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr ein durchschnittliches Wachstum bis 2025 von 9,5 Prozent. „Wir erleben aktuell, wie die Corona-Krise trotz partieller Einbrüche in einzelnen Branchensegmenten insgesamt zu einem Digitalisierungsschub in vielen Bereichen der Internetwirtschaft führt“, erklärt Oliver Süme, der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Internetwirtschaft eco.

Fazit & Ausblick

Maximal auf Effizienz getrimmte Wirtschaftssysteme und ein globales Sourcing, das sich am billigsten Preis orientiert, mögen in normalen Zeiten für hohe Gewinne und Wettbewerbsvorteile sorgen. In einer Krise wie der aktuellen offenbart sich jedoch ihre eklatante Schwäche. Je schlanker die Prozesse und je geringer der Eigenanteil an der Wertschöpfung, desto schneller brechen Produktion und Handel unter Druck zusammen. Um gegen zukünftige Katastrophen besser gewappnet zu sein, müssen Unternehmen daher agiler und resistenter werden.
Dezentrale, eigenverantwortliche Organisationseinheiten, die schnell auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren können, und eine größere Unabhängigkeit von internationalen Warenströmen können dazu genauso einen Beitrag leisten, wie Automatisierung, Künstliche Intelligenz und verteilte Cloud-Strukturen. Der Wert der digitalen Transformation darf zukünftig nicht mehr vornehmlich an ihrem Beitrag zur Effizienzsteigerung gemessen werden. Viel wichtiger ist die Frage, ob und wie Digitalisierung dazu beitragen kann, schneller aus dieser und besser aus der nächsten Krise zu kommen.
Überleben in der Krise - acht Tipps für CIOs
Das Marktforschungsunternehmen Gartner empfiehlt CIOs folgende acht Maßnahmen, um ein finanzielles Überleben ihres Unternehmens in der Krise zu sichern:
1. Nicht unbedingt notwendige Ausgaben sofort auf Eis legen
CIOs sollten feststellen, welche Anteile ihrer laufenden Ausgaben zurückgestellt, gestrichen oder reduziert werden können. Die Aufmerksamkeit sollte sich auf nicht essenzielle, variable Aufwände konzentrieren, die noch nicht entstanden oder bereits beauftragt wurden.
2. Steigende Kosten einkalkulieren
Die Verlagerung der Arbeit ins Homeoffice kann zu erhöhten Ausgaben führen, etwa für die Beschaffung von Laptops, Monitoren und mobilen Endgeräten, sowie zu steigenden Software-, VPN- und Kommunikationskosten.
3. Kostenstrukturen bereinigen
CIOs sollten in Zusammenarbeit mit den Fachbereichen alle Lieferanten, Dienstleister und Zahlungsverpflichtungen auf den Prüfstand stellen und in drei Gruppen einteilen: Aufträge, auf die ohne nennenswerten Einfluss für das Kerngeschäft verzichtet werden kann, sollten sofort gekündigt beziehungsweise ausgesetzt werden. Zur zweiten Gruppe gehören Kosten, bei deren Reduktion es zu Leistungseinbußen kommen könnte. Hier müssen spezifische Maßnahmen zur Ausgabenreduktion und Risikominimierung entwickelt werden. Die dritte Gruppe umfasst schließlich Aufwände für geschäftskritische Leistungen. Lieferanten und Dienstleister, die in diese Kategorie fallen, sollten auf ihre Überlebensfähigkeit überprüft werden. Gegebenenfalls sind Notfallmaßnahmen erforderlich, um risikobehaftete Partner zu stützen.
4. Nicht geschäftskritische Projekte stoppen
Alle Projekte, die nicht unmittelbar für den aktuellen Cash-Flow und das langfristige Überleben des Unternehmens relevant sind, sollten gestoppt werden. Bei geschäftskritischen Projekten ist zu überprüfen, ob diese teilweise reduziert und kostengünstiger weitergeführt werden können.
5. Alle neuen Ausgaben verschieben
CIOs sollten geplante, aber noch nicht begonnene Projekte verschieben und alle für zukünftige Personal-, Infrastruktur- oder Upgrade-Maßnahmen vorgesehenen Drittmittel freigeben.
6. Das Service-Level senken
Kosten für Cloud- oder Kommunikationsdienste lassen sich reduzieren, indem die Nutzung eingeschränkt wird oder die Vertragsbedingungen neu verhandelt werden.
7. Den Verbrauch reduzieren
CIOs sollten mit den Fachbereichsleitern über veränderte Arbeitsabläufe verhandeln, die die IT-Ressourcen effizienter nutzen oder bestimmte Dienste ganz überflüssig machen.
8. Finanzhilfen nutzen
Bund und Länder bieten zahlreiche Unterstützungsprogramme, um der Wirtschaft durch die Krise zu helfen. Der CIO sollte gemeinsam mit dem CFO diese Programme evaluieren und alternative Finanzierungsmöglichkeiten ausloten.
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