Wie ein Virus die Digitalisierung vorantreibt

Die Stunde der Apps

von - 12.06.2020
Deutsche Händler als Nachzügler
Selbsterkenntnis: Die Mehrheit der deutschen Händler sieht in puncto Digitalisierung für sich einen Nachholbedarf.
(Quelle: Bitklom Research (n = 504 Händler) )
Die von der Pandemie bewirkten Veränderungen lassen sich sehr anschaulich auch an folgendem Effekt ablesen: Mit den Kontaktverboten und Reisebeschränkungen verlagerten sich Geschäftsaktivitäten mehr und mehr auf mobile Endgeräte und Cloud-Applikationen. Das Unternehmen App Annie, das sich auf die Nutzungsanalyse von Apps spezialisiert hat, vermeldete allein vom 14. bis 21. März 2020 rund 62 Millionen Downloads von Business-Apps im iOS-App-Store und bei Google Play - und damit fast doppelt so viele wie in einer durchschnittlichen Woche des Vorjahres. Besonders großer Nachfrage erfreuten sich Videokonferenzlösungen und Collaboration-Apps wie Zoom und Microsoft Teams.
Laut App Annie wurde die Videokonferenz-App Zoom Cloud Meetings in der dritten Märzwoche 2020 in Deutschland 17-mal häufiger heruntergeladen als in einer durchschnittlichen Woche des vierten Vorjahresquartals.
In den europäischen Nachbarländern war sogar eine noch drastischere Zunahme zu beobachten. In Großbritannien beispielsweise stiegen die Download-Zahlen um den Faktor 20, in Frankreich wurde die Zoom-App 22-mal häufiger heruntergeladen, in Spanien 27-mal und in dem von Corona besonders hart getroffenen Italien sogar 55-mal.
Microsoft Teams verzeichnete ebenfalls beeindruckende Zuwächse. Dem Firmenblog zufolge stieg die Zahl der täglich aktiven Nutzer von 20 Millionen im November 2019 auf
44 Millionen im März 2020. In Italien verzeichnete das Unternehmen fast 800 Prozent mehr Nutzer pro Monat, insgesamt kamen zu Spitzenzeiten über 900 Millionen Anrufe und Meetings pro Tag zusammen.
Der enorme Zuspruch führte allerdings auch zu technischen und organisatorischen Problemen. Zoom musste sich herbe Kritik an seinen Datenschutz- und Sicherheitseinstellungen gefallen lassen. Dem Unternehmen wurde unter anderem vorgeworfen, detaillierte Nutzungsinformationen und personenbezogene Daten an Facebook, Werbenetzwerke und Tracker weiterzugeben.
Sicherheitsmängel in den Clients, eine schwache Verschlüsselung und die Umleitung von Meeting-Daten über chinesische Server ließen zudem Zweifel an der Vertraulichkeit der übermittelten Daten aufkommen. Darüber hinaus konnte sich jeder in eine Konferenz einklinken, der die Meeting-ID kannte oder erriet. Hacker und Trolle nutzten diese Schwachstelle für das sogenannte Zoombombing und sprengten Meetings durch obszöne, pornografische oder rassistische Beiträge.
Zahlreiche Unternehmen und Institutionen, darunter Google, die Elon-Musk-Firma SpaceX und das Auswärtige Amt verboten daraufhin Anfang April 2020 die Verwendung von Zoom für berufliche Zwecke. Der Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit erwähnte Anfang April 2020 in seinen Empfehlungen für die Durchführung von Videokonferenzen Zoom ausdrücklich als eine zwar technisch ausgereifte, aber nicht den Datenschutzbestimmungen entsprechende Lösung.
Der Hersteller Zoom Video Communications bemühte sich allerdings schnell um Schadensbegrenzung und verbesserte Sicherheit und Datenschutz. Dennoch: Stephan Hansen-Oest, IT-Fachanwalt und Geschäftsführer der Datenschutz-Guru GmbH, hält die Zoom-Nutzung bei Webinaren oder E-Learning für unproblematisch, empfiehlt aber, bei der Übermittlung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen per Zoom-Meeting Vorsicht walten zu lassen.
Die Konkurrenz von Microsoft Teams hatte dagegen vor allem mit technischen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Dienst fiel mehrfach aus, Nutzer klagten wiederholt über diverse Probleme. So wurden Nachrichten verzögert oder gar nicht zugestellt, Login-Versuche schlugen fehl, es kam zu Ausfällen und Qualitätseinbußen bei der Video- und Audioübertragung. Um dem Ansturm Herr zu werden, schränkte Microsoft außerdem andere Funktionen in Office 365 zeitweise ein. So war etwa der Zugriff aus Teams auf OneNote vorübergehend nur lesend möglich, die Auflösung von Videoübertragungen und -aufzeichnungen reduziert und die Frequenz von Präsenzabfragen und Datensynchronisierung verringert.
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