Neue digitale Geschäftsmodelle erschließen

Die Spielregeln verändern sich

von - 27.07.2017
Das Business Model Innovation Lab St. Gallen will Unternehmen helfen, aus überkommenen Geschäftsmodellmustern auszubrechen. Felix Hofmann, CEO des BMI Lab, erklärt im Gespräch mit com! professional, worauf es dabei ankommt.
Felix Hofmann
Felix Hofmann CEO BMI Lab
(Quelle: BMI Lab )
com! professional:
Herr Hofmann, Sie unterstützen am BMI Lab Unternehmen dabei, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Warum müssen Unternehmen überhaupt innovativ sein? Viele sind mit ihrem bestehenden Geschäft ja äußerst erfolgreich.
Felix Hofmann: Kaum eine Branche ist heute mehr vor den Veränderungen sicher, die die Digitalisierung mit sich bringt. Neue Geschäftsmodelle und Marktteilnehmer tauchen auf, die Spielregeln verändern sich. Wenn ich inmitten dieser Transformation weiter nach den alten Regeln spielen möchte, werde ich zwangs­läufig verlieren.
Manches Traditionsunternehmen wurde bereits regelrecht hinweggespült – denken Sie nur an die Umwälzungen in der Musikindustrie oder auch in der Fotobranche, die Ende der 1990er-Jahre in nur fünf Jahren komplett digitalisiert wurde. In anderen Bereichen, etwa dem Bankensektor, mag die Entwicklung langsamer verlaufen, aber kommen wird sie auf jeden Fall.
com! professional: Was sollte man als Traditionsunternehmen tun, wenn man von der Digitalisierungswelle betroffen ist?
Hofmann: Ein guter Weg ist es, eine eigene Digitalisierungs­einheit zu gründen, sich quasi ein „Rettungsboot“ zu schaffen, das neue Dinge ausprobieren kann. Das Unternehmen Cewe, das wir beraten, ist dafür ein gutes Beispiel. Der Fotodienst­leister hat Ende der 1990er mit der Ausgründung Cewe digital unter anderem das Fotobuch als Produkt entwickelt und damit auch eine neue Kultur und neue Kompetenzen aufgebaut. Nach fünf Jahren wurden die Unternehmen dann wieder zusammengeführt.
com! professional: Genügt es denn, solche Digitaltöchter zu gründen? Müssen Unternehmen nicht ganzheitlich digitalisiert werden?
Hofmann: In den Kernorganisationen fehlt oft die Zeit, neue Aufgaben mit der nötigen Dynamik und Energie anzugehen. Jeder hat genug mit den bestehenden Prozessen zu tun und ist in Abläufe eingebunden, die Entscheidungswege sind lang und komplex. Im Digitalisierungsprozess spielen Geschwindigkeit und Agilität jedoch eine große Rolle. Das Zeitfenster, das zwischen Erfolg und Misserfolg entscheidet, ist klein. Deshalb ist eine Ausgründung oft der beste Weg, um neue Ideen voranzutreiben. Natürlich darf man die Kernorganisationen nicht vernachlässigen. Wir raten deshalb unseren Kunden, neue Dinge schnell als Spin-off auszuprobieren und gleichzeitig im Unternehmen einen langfristigen Change-Prozess einzuleiten.
com! professional: Wie finde ich überhaupt eine neue, innovative Geschäftsidee?
Hofmann: Da gibt es sicher viele Wege. Wir verfolgen einen sehr strukturierten Ansatz, mit dem wir fast garantieren können, dass Unternehmen auf neue Geschäftsideen kommen. Er basiert auf 55 Geschäftsmodellmustern aus bestimmten Bereichen, die auch in anderen Branchen funktionieren. Ein Beispiel ist das „Rasierer und Rasierklinge“-Prinzip – ich verkaufe ein Produkt relativ preiswert und verdiene an den Verbrauchsmaterialien. Das funktioniert auch mit Kaffeekapseln und Drucker­patronen. Wenn man sich diese Muster genau anschaut, sie kombiniert und überlegt, wie sie sich auf die eigene Branche übertragen lassen, kommt man recht schnell zu neuen Ideen. Mit unserem Business Model Navigator lässt sich dann daraus in einem weitgehend systematischen Prozess ein tragfähiges Geschäftsmodell entwickeln.
com! professional: Wie unterscheidet sich Ihr Modell von Ansätzen wie Design Thinking?
Hofmann: Design Thinking arbeitet sehr stark mit Kundenbeobachtung und Interviews. Das funktioniert nur bis zu einem gewissen Punkt, weil der Kunde die Nützlichkeit eines Produkts oder einer Dienstleistung häufig erst dann einschätzen kann, wenn er das Angebot vor sich hat. Deshalb arbeiten wir in unserem Ansatz nicht nur mit physischen Prototypen, sondern auch mit Simulationen von Geschäftsmodellen. Der größte Vorteil unseres Ansatzes liegt aber darin, dass wir von Vornherein den Fokus immer auf eine Geschäftsmodellinnovation legen. Bei Design Thinking besteht die Gefahr, dass man zwar sehr kundenzentriert vorgeht und ein Produkt dadurch im Detail verbessert, aber eben kein neues, innovatives Geschäftsmodell entwickelt.
com! professional: Wie finde ich heraus, ob mein neues Geschäftsmodell auch wirklich eine Marktchance hat?
Hofmann: Idealerweise ruft man sofort die ersten Kunden an und versucht herauszufinden, ob wirklich ein Interesse an dieser Lösung existiert, und entwickelt dann so schnell wie möglich einen Prototypen. Das lange strategische Überlegen, wie wir es von früher kennen, funktioniert weder bei der Entwicklung von neuen Produkten noch von neuen Geschäftsmodellen.
com! professional: Worin liegt die größte Schwierigkeit bei diesem Prozess?
Hofmann: Eine der wesentlichen Herausforderungen besteht darin, die zentralen Annahmen zu finden, die hinter dem Geschäftsmodell stehen. Was sind eigentlich die Kernhypothesen, auf denen der ganze Ansatz basiert? Diese Frage muss ich – beispielsweise mit Hilfe des Business Model Navigators – möglichst schnell beantworten und dann die Hypothesen überprüfen. Wenn nur eine oder zwei dieser Annahmen falsch sind, dann wird das ganze Modell nie profitabel werden.
com! professional: Ist Ihr Ansatz universell einsetzbar oder gibt es auch Bereiche, in denen Sie andere Modelle empfehlen beziehungsweise einsetzen?
Hofmann: Der Business Model Navigator ist sehr stark, wenn es wirklich darum geht, völlig frei radikal neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, und zwar unabhängig davon, wie diese dann umgesetzt werden – beispielsweise als App, als Online-Angebot, offline oder auch kombiniert. Manchmal gehen die Aufträge, die wir von unseren Kunden bekommen, jedoch schon in eine konkrete Richtung, da verwenden wir dann auch andere Innovationstechniken. Wir haben aktuell zum Beispiel einen Auftrag, in dem es um Service-Konzepte für Filialen geht, die den Ein­kauf im Ladengeschäft gegenüber dem Online-Shopping wieder attraktiver machen sollen. Da weichen wir recht stark vom Business Model Navigator ab und wenden eher Methoden des Design Thinking an.
com! professional: Wie lässt sich die Bereitschaft eines Unternehmens für echte Innovationen abschätzen?
Hofmann: Wir haben dafür den BMI Readiness Check entwickelt. Darin untersuchen wir verschiedene Dimensionen. Der Check umfasst Aspekte wie Ressourcen und Fähigkeiten, Kultur, Prozesse und Steuerung des Unternehmens, Offenheit und Zusammenarbeit.
com! professional: Und wo liegt der größte Hebel?
Hofmann: Wenn ich mich auf eine Dimension festlegen müsste, dann würde ich auf jeden Fall das Thema Kultur nennen. Die Mitarbeiter haben vielleicht eine tolle neue Idee, aber sie trauen sich nicht so recht, schnell einen Prototypen zu entwickeln oder für einige Tausend Euro eine kleine Kampagne zu machen. Stattdessen wird dann ganz klassisch erst einmal sechs Monate lang Marktforschung beauftragt. Man ist möglichst weit weg vom Kunden, statt selbst auf die Straße zu gehen.
com! professional: Dabei reisen deutsche Geschäftsführer doch in Scharen ins Silicon Valley und kommen begeistert zurück …
Hofmann: Die Geschäftsleitung hat vielleicht erkannt, dass sich etwas ändern muss, und hält ihrer Belegschaft Vorträge, wie toll diese Konzepte sind. Es ist aber ein langer Prozess, bis die gesamte Organisation von diesem neuen Denken durchdrungen wird. Deshalb führt eben der Spin-off-Ansatz häufig schneller zum Erfolg. Fünf, sechs Leute können ein neues Thema sehr viel agiler angehen als eine große Organisation.
com! professional: Woran scheitern Projekte am häufigsten?
Hofmann: Es gibt eine ganze Reihe von Hürden. Ein typisches Problem liegt in unklaren Zuständigkeiten. Es muss von Beginn an eine Person – oder auch ein kleines Team – geben, das sich für das Projekt begeistert, die Verantwortung übernimmt und es vorantreibt. Das ist im Übrigen ein gutes Selektionskriterium. Wenn sich niemand für den Job findet, war die Idee vielleicht einfach auch nicht gut genug. Der nächste Knackpunkt in diesem Prozess liegt in der Erwartungshaltung. Das Scheitern muss als Normalfall angesehen werden, was in Deutschland und in der Schweiz den meisten Unternehmen noch immer sehr schwerfällt.
Ein Venture Capitalist erwartet ja auch nicht, dass von zehn Investitionen alle ein Erfolg werden. Genauso ist es mit Geschäftsmodellinnovationen, da wird vielleicht eine von hundert Ideen realisiert.
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