Neue digitale Geschäftsmodelle erschließen

Effizient statt innovativ

von - 27.07.2017
Magisches Dreieck eines Geschäftsmodells
St. Galler Business Model Navigator: Das „magische Dreieck“ stellt die vier Hauptdimensionen eines Geschäftsmodells dar.
(Quelle: Quelle: Gassmann, Frankenberger, Csik (2012))
Viele Unternehmen sehen die Chancen der Digitalisierung vor allem in der Effizienzsteigerung. „Gerade in Deutschland, aber auch in anderen Industrienationen wie Japan herrscht noch eine sehr konservative Vorstellung von Innovation“, sagt Hofmann vom BMI Lab. Es gehe den Firmen vor allem darum, Qualität zu steigern, Prozesse zu optimieren und Kosten zu sparen, so Hofmann weiter. Herch sieht darin nicht die Lösung: „Es ist ja schön, wenn das Fließband zwei Teile mehr pro Stunde auswirft, aber die entscheidende Frage ist doch, wie kann ich wirklich neue digitale Applikationen und Services ent­wickeln?“
Das Effizienzdenken kann neuen Ideen sogar im Weg stehen, wie Hofmann beobachtet: „Wenn ich etwas Neues ausprobiere, bin ich zunächst einmal gar nicht effizient, ja vielleicht noch nicht einmal profitabel. Ich will wissen ob ein Kunde bereit ist, Geld für mein Produkt zu bezahlen. Dabei ist es zunächst egal, was der Einkauf oder die Herstellung kostet, so lange ich langfristig bei größeren Stückzahlen einen profitablen Business-Case rechnen kann.“

Die IT als Feind

Angst vor dem Scheitern, Risiko-Aversion und Effizienzdenken sind wesentliche Gründe dafür, warum deutsche Unternehmen sich bei der digitalen Transformation schwer tun. Andere liegen in den Strukturen und Köpfen. So sei es in Konzernen immer noch üblich, bei Angeboten Festpreise auf drei Jahre zu verlangen, sagt Thamm. „Dadurch wird man gezwungen, ein Projekt weiterzuverfolgen, auch wenn schon nach wenigen Wochen klar wird, dass es nicht funktioniert.“ Hinzu komme, dass Firmen bei allem Gerede von Big Data oft nur eine vage Vorstellung von ihrer Zielgruppe entwickelten. „Ich kenne global führende Konzerne, die nicht genau wissen, was sie eigentlich für Verträge mit ihren Kunden haben.“
Dr. Andreas Herch
Geschäftsführer
Netz16 GmbH
www.netz16.de
Foto: Netz16
„Produkte werden heute gemeinsam mit den Nutzern zu Ende entwickelt.“
Herch sieht vor allem die IT-Abteilung als wesentliche Hürde auf dem Weg zur digitalen Transformation: „Jedes Digitalisierungsprojekt wird auf die eine oder andere Weise zu einer Konfrontation mit der IT-Abteilung führen.“ Diese fühle sich für die Produktentwicklung nicht zuständig –  ein großer Fehler, wie Herch findet: „Die IT-Abteilung muss sich als Berater sehen, der den Digitalisierungsprozess begleitet, sonst wird sie zum reinen Verwalter der IT-Ressourcen und es entstehen Schatten-ITs.“ Vielen Unternehmen bleibe daher nichts anderes übrig, als die Blockierer an der IT-Spitze auszutauschen und durch Digitalisierungs-Profis zu ersetzen: „Die Firmen, die so vorgehen, entwickeln unserer Erfahrung nach eine enorme Geschwindigkeit bei der Transformation, während sich die klassischen IT-Leiter (…) nach wie vor an ihrer Hardware festklammern.“
Auch Übermotivation kann dazu führen, dass Projekte scheitern oder gar nicht erst in Angriff genommen werden, weil Kosten und Aufwand unermesslich scheinen. Überzogene Erwartungshaltungen seien genau so schädlich wie eine Blockadehaltung: „Die Digitalisierung ist kein Goldesel, wo ich vorn Algorithmen und Daten reinstecke und hinten fallen die Euro raus“, sagt Thamm. „Was habe ich, was Google nicht hat – und wie baue ich damit ein schwer kopierbares, digitales Geschäftsmodell?“, das sei die richtige Frage, so Thamm.

Fazit

Wie in so vielen Bereichen spielt auch bei der Entwicklung innovativer digitaler Geschäftsmodelle Technologie nur scheinbar eine entscheidende Rolle. Haupthindernis sind Blockaden in den Köpfen. Diese ernüchternde Erkenntnis gibt aber auch Anlass zur Zuversicht. Wer nicht wie Allianz, Daimler & Co. Milliarden in eine Digitalisierungsstrategie investieren kann, ist deshalb noch lange nicht abgehängt – im Gegenteil: Agiles Denken, kleine Projekte, schnell entwickelte Produkte, die im Dialog mit dem Kunden fortentwickelt werden, führen viel wahrscheinlicher zum Erfolg, als Unsummen in Riesenprojekte zu stecken.
Methoden wie Design Thinking, der Business Model Navigator oder die Business Model Canvas sind dabei Leitfaden und Ansporn zugleich. Sie stellen nicht nur günstige Rahmenbedingungen für die Ideenfindung bereit, sondern zwingen die Anwender auch immer wieder dazu, Annahmen und Vorstellungen an der Wirklichkeit zu überprüfen. So entstehen Produkte und Geschäftsmodelle mit realistischen Marktchancen. Eines können die Tools jedoch nicht: eine Erfolgsgarantie geben. Auch solche Projekte können scheitern – und sind tun es mit schöner Regelmäßigkeit. Dieses Scheitern zuzulassen und es nicht als Makel, sondern als wichtige Evolutionsstufe zu sehen, ist vielleicht die allergrößte Herausforderung bei der digitalen Transformation.
So finden Sie neue Geschäftsmodelle
Diese Methoden helfen, auf ungewöhnliche Ideen zu kommen und sie in erfolgversprechende Geschäftsmodelle umzusetzen.
Business Model Navigator: Der am Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen entwickelte Business Model Navigator will mit Hilfe des „magischen Dreiecks“ und der „kreativen Nachahmung“ Unternehmen zu innovativen Geschäftsmodellen verhelfen. Das Dreieck besteht aus den Eckpunkten „Was?“ (Welches Produkt beziehungsweise welche Dienstleistung soll angeboten werden?), „Wie?“ (Wie sieht die Wertschöpfungskette aus?) und „Wert?“ (Wie lässt sich damit Geld verdienen?). Im Zentrum steht das „Wer?“ (Wer ist der Kunde?). Als Material für die kreative Nachahmung listet der Business Model Navigator 55 erfolgreiche Geschäftsmodelle verschiedenster Branchen auf. Durch Übertragung auf das eigene Geschäftsfeld und die Kombination verschiedener Modelle sollen Unternehmen so schnell zu eigenen Geschäftsmodellideen kommen.
Business Model Canvas: Die von Alexander Osterwalder und Yves Pigneur entwickelte Business Model Canvas stellt die neun wichtigsten Elemente eines Geschäftsmodells auf einer „Leinwand“ zusammen: wichtigste Partner, wichtigste Aktivitäten, Werteversprechen, Kundenbeziehungen, Kundensegmente, Schlüsselressourcen, Verkaufskanäle, Kostenstruktur und Umsatzströme. Teams drucken sich diese Übersicht möglichst groß aus oder zeichnen sie nach und gelangen beim gemeinsamen Ausfüllen zu neuen Ideen, so das Konzept.
Design Thinking: Bei Design Thinking sollen durch die Dynamik kleiner, interdisziplinär zusammengesetzter Gruppen, die in einem Kreativität fördernden Raum agieren, neue Ideen entstehen. Elementare Bestandteile sind die Beobachtung und Befragung der Zielgruppe. In einem sechsstufigen Prozess (Verstehen – Beobachten – Zusammenfassen – Ideen finden – Prototyp-Testen – Implementieren) wird möglichst schnell eine Arbeitshypothese aufgestellt und ein erstes Produkt designt, dessen Validität sofort im Feldversuch getestet wird.
Lean Startup: Ist eine neue Geschäftsidee gefunden, gilt es, diese möglichst schnell und mit geringem Aufwand auf den Markt zu bringen. Lean Startup beschreibt diesen Prozess, der sich nicht nur auf die Unternehmensgründung, sondern auch auf die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen anwenden lässt. Statt langer kosten- und personalintensiver Vorbereitungs- und Planungsphasen testet Lean Startup die Idee so schnell wie möglich an der Realität.
Minimum Viable Product: Das Lean-Startup-Konzept verlangt es, so schnell wie möglich mit einem Produkt an den Markt zu gehen, um dessen Akzeptanz zu testen. Dieses Produkt muss gerade so „überlebensfähig“ (viable) sein, dass es Kunden präsentiert werden kann.
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