Digitale Transformation in der HR

Ist ein Kandidat integer?

von - 14.09.2017
Der Firmenchef stellt seinen Golfpartner oder seinen Neffen ein, auch wenn andere besser für die Stelle geeignet wären. Ein Mitarbeiter läuft den ganzen Tag durchs Büro und prahlt mit seinen großartigen Leistungen fürs Unternehmen, während die Kollegen seine Arbeit erledigen. Andere schreiben Überstunden auf, die sie gar nicht geleistet haben, frisieren Spesenabrechnungen, reden schlecht über Kollegen und manch einer macht Homeoffice mit Betonung auf Home. Und natürlich gibt es auch immer wieder Mitarbeiter, die der Konkurrenz Firmengeheimnisse verraten, Daten verkaufen oder sich bestechen lassen. Auf der anderen Seite können manche nicht Nein sagen oder führen ohne Eigeninitiative nur Dinge aus, die der Vorgesetzte von ihnen verlangt, und mögen sie noch so sinnentleert erscheinen.
Wer kennt in seinem beruflichen Umfeld nicht solche oder ähnliche Situationen? Hinzu kommt, dass sich die unkollegialsten Leute häufig selbst für ausgesprochen sozial kompetent und für ethisch-moralisch einwandfrei oder gar überlegen halten. Im harmlosesten Fall sorgen derartige Arbeitskollegen oder Führungskräfte für schlechte Stimmung und Frustration, schlimmstenfalls entsteht dem Unternehmen messbarer finanzieller Schaden.
Wer sich nicht integer verhält, vergiftet das Arbeitsklima und letztlich auch die Firmenkultur. Auch wenn beim Recruiting neuer Mitarbeiter noch mehrheitlich die Fachkompetenz im Aufmerksamkeitsfokus steht, gewinnt der Integritätsgrad, also Werthaltungen und Prinzipienorientierung potenzieller Kandidaten, zunehmend an Bedeutung. Doch wie und woran erkennt man, ob ein Job-Kandidat integer ist? Lässt sich ethische Kompetenz überhaupt beurteilen?

20 Prozent fallen durch

„Die Integrität eines Menschen lässt sich nicht wirklich messen“, sagt Eva Häuselmann vom Beratungsunternehmen Despite. Allerdings kann man mit Hilfe eines ausführlichen Assessments herausfinden, ob ein Kandidat den Anforderungen bezüglich Integrität einer Stelle gewachsen ist, und zwar sowohl menschlich als auch der jeweiligen Unternehmenskultur entsprechend. Dafür hat Häuselmann zusammen mit Carmen Tanner von der Universität Zürich und der Zeppelin Universität Friedrichshafen, die zu Moral Intelligence forscht, ein Konzept entwickelt. Damit werden in ausgedehnten Assessment-Sitzungen potenzielle Kandidaten auf Herz und Nieren geprüft und beurteilt.
Je nachdem welche Anforderungen bei der ausgeschriebenen Stelle im Fokus stehen, kommen auch verschiedene Rollenspiele zum Einsatz, in denen die Bewerber mit moralischen Grenzsituationen konfrontiert werden, die sich im Arbeitsalltag tatsächlich ereignen könnten. Despite ist vor allem auf Fachkräfte aus der Informatik spezialisiert.
150 Assessments hat Häuselmann schon durchgeführt. Ihr Fazit: Knapp 20 Prozent der Kandidaten bestehen den Test nicht. Denn die praxisnahen Übungen, in denen der Kandidat beispielsweise die Rolle eines Abteilungsleiters und ein professioneller Schauspieler die des Vorgesetzten übernimmt, sind eine stressige Gratwanderung zwischen Richtig und Falsch. „Wir sagen nie, der Kandidat handelt falsch oder könnte, wenn sich ihm Gelegenheit bietet, kriminell werden. Aber sein Verhalten birgt mitunter ein Risiko in sich, das der potenzielle Arbeitgeber nicht eingehen will“, erklärt Häuselmann.
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