Der deutsche Mittelstand im digitalen Wandel

Interview mit Markus Humpert von Bitkom

von - 05.05.2017
Markus Humpert
Markus Humpert: Bereichsleiter Digitale Transformation bei Bitkom
(Quelle: Bitkom )
Die digitale Transformation ist für mittelständische Unternehmen eine Herausforderung. Mit Markus Humpert, Bereichsleiter Digitale Transformation beim Digitalverband Bitkom, spricht com! professional darüber, was die größte Hürden sind und wie Unternehmen vom Wandel profitieren.
com! professional: Herr Humpert, wie stellt sich die digitale Transformation im Mittelstand aus Ihrer täglichen Praxis dar?
Markus Humpert: Die deutsche Wirtschaft bietet auf den ersten Blick das gewohnte Bild. International werden wir beneidet um unsere Autoindustrie, Logistikunternehmen und Maschinenbauer sind weltweit führend, wir haben innovative Elektronikunternehmen. Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass sich in den vergangenen Jahren alles verändert hat. Beim Auto zum Beispiel geht es längst nicht mehr nur darum, das beste Getriebe zu bauen, es geht um digitale Fahrassistenten und die Einbindung des eigenen Fahrzeugs in intelligente Verkehrskonzepte. Und erfolgreiche Logistiker setzen auf intelligente Software, die Probleme auf Routen schon lange vor dem Menschen erkennt. Diese Veränderungen sind der Kern der digitalen Transformation.
com! professional: Herrscht bei den traditionell operierenden Unternehmen überhaupt Klarheit darüber, was Digitalisierung ist?
Humpert: Gerade im Mittelstand haben wir kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. So sehen nach einer Bitkom-Umfrage fast drei Viertel der mittelständischen Unternehmen in Deutschland die Digitalisierung als zentrale Herausforderung für ihr Unternehmen an. Doch mehr als die Hälfte gibt zugleich an, keine zentrale Digitalisierungsstrategie zu haben. Wichtiger als Begrifflichkeiten zu verstehen, ist es, neue Technologien praktisch zum Vorteil des eigenen Unternehmens einzusetzen.
com! professional: In der IT-Branche gab es doch schon immer neue Entwicklungen. Was macht die digitale Transformation so besonders?
Humpert: In der Vergangenheit hat die Digitalisierung für die Unternehmen in erster Linie eine Veränderung von Geschäftsprozessen bedeutet. Diese wurden schneller, günstiger, effizienter. Heute verändert die Digitalisierung die Geschäftsmodelle – und zwar in allen Branchen. Die Adaption neuer Technologien durch Kunden erfolgt deutlich schneller. Das Smartphone ist dabei nur das prominenteste Beispiel.
com! professional: Und aus welcher Richtung kommt der Druck zu Veränderungen – eher von der Kundenseite oder von Mitbewerbern?
Humpert: Sowohl als auch. Zukünftig werden sich Unternehmen nicht durch den Einsatz von neuesten Technologien differenzieren können, das wird eine Selbstverständlichkeit sein. Über den Erfolg entscheiden Service, Kundenerlebnis und generierter Nutzen. Neben den veränderten Kundenerwartungen senkt die Digitalisierung in vielen Bereichen auch die Makteintrittsbarrieren für branchenfremde Wettbewerber, die zusätzlich die Innovationsgeschwindigkeit erhöhen können.
com! professional: Das Geschäft vieler Mittelständler läuft bestens. Warum sollten sie sich eigentlich überhaupt um das Thema Digitalisierung sorgen?
Humpert: In der digitalen Welt gibt es eigentlich nur eine Konstante: Veränderung. Wer heute Global Player ist, kann morgen schon vom Markt verschwunden sein. Und wer gestern als Start-up angefangen hat, kann heute schon Weltmarktführer sein. Wer die Digitalisierung aus einer Position der Stärke angehen kann, der kann sie gestalten. Wer erst einmal mit dem Rücken zur Wand steht, weil die Geschäfte nicht mehr laufen, für den ist es womöglich schon zu spät.
com! professional: Was sind die größten Herausforderungen für Mittelständler? Wie kommen sie bei diesem Tempo mit und profitieren vom Wandel?
Humpert: Mittelständler stehen häufig ratlos vor dem Thema Digitalisierung. Die Digitalisierung ist so allumfassend, dass es vielen schwerfällt, sie zu durchblicken. Man müsste an so viele Stellen gleichzeitig handeln, dass man es am Ende lieber gleich ganz sein lässt. Dagegen hilft, nicht alles auf einmal zu wollen - dafür aber einfach anzufangen. Loslegen. Schritt für Schritt. Dabei kann der Mittelstand seine Stärken ausspielen: Flexibilität und Kundennähe.
com! professional: Viele Firmen haben keine große eigene IT-Abteilung im Haus. Wie sollen diese Unternehmen die Digitalisierung stemmen?
Humpert: Die digitale Transformation ist auch nicht die Aufgabe einer IT-Abteilung. Ganz am Anfang muss die Entscheidung stehen, die Digitalisierung im Unternehmen zur Chefsache zu machen. Was getan wird und was nicht, wie es getan wird, wer es macht – das alles sind strategische Entscheidungen, die auf oberster Ebene getroffen werden müssen.
Nur: Wie trifft man solche Entscheidungen, wenn man vielleicht selbst nicht so ganz weiß, wo die Chancen der digitalen Zukunft liegen und wo ihre Risiken? Denn viele Chefs im Mittelstand kennen sich in ihren bestehenden Absatzmärkten hervorragend aus, wissen über Konkurrenten und Zulieferer bestens Bescheid, aber neue Technologien, die erst morgen für die Unternehmen relevant werden, haben sie nicht so sehr auf dem Schirm. Dafür gibt es eine einfache Lösung: ein Team bilden und falls nötig externe Unterstützung einbeziehen. Die IT-Abteilung sollte dabei ein Spieler unter vielen sein.
com! professional: Die Digitalisierung erledigt sich nicht von heute auf morgen. Welches sind die wichtigsten Schritte?
Humpert: Es ist wichtig, geplant und Schritt für Schritt vorzugehen – ein Digitalisierungs-Team einrichten, eine Digitalstrategie entwickeln, den Mitarbeitern Digitalkompetenz vermitteln, moderne Technologien einsetzen, sich mit Kunden und Partnern austauschen und voneinander lernen, die Zusammenarbeit mit Start-ups suchen.
com! professional: Was meinen Sie – muss alles, was digitalisiert werden kann, auch digitalisiert werden?
Humpert: Es muss und kann vor allem nicht alles auf einmal digitalisiert werden. Deshalb braucht jedes Unternehmen eine individuelle Digitalstrategie, in der genau diese Entscheidungen getroffen werden. Digitalisierung darf nie Selbstzweck sein, sondern muss in einem klaren Nutzen für das Unternehmen, die Mitarbeiter und Kunden begründet sein.
com! professional: Welche Veränderungen stehen den Unternehmen beim Dauerthema digitaler Wandel noch bevor?
Humpert: In den kommenden Jahren werden uns die Themen Künstliche Intelligenz und autonome Systeme sicherlich stark beschäftigen. Auch das Thema Plattform-Ökonomie wird auf jeden Fall in vielen Branchen große Bedeutung haben. Wenn man bedenkt, dass wir vor etwas mehr als zehn Jahren noch nicht wussten, was ein Smartphone ist, wird aber auch eines deutlich: Wirklich vorhersagen lässt sich die digitale Zukunft nicht. Eine Digitalstrategie wird daher für jedes Unternehmen ein kontinuierlicher Prozess sein, keine einmalige Checkliste, die es abzuarbeiten gilt.
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