GAIA-X soll zur Europa-Cloud werden

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von - 13.01.2020
Doch es gibt auch lebhafte Kritik an ­GAIA-X. Bemängelt wird, dass das Konzept noch sehr schwammig sei. Stefan Ried, Principal Analyst & Practice Lead IoT beim Beratungsunternehmen Crisp Research, befürchtet, dass GAIA-X ein Flop werden könnte. Die drei Hyper­scaler Amazon Web Services, Microsoft Azure und Google Cloud Platform hätten heute schon so einen großen Vorsprung, dass es wenig sinnvoll sei, gegen sie in den Wettbewerb zu treten. Ried ist der Ansicht, dass GAIA-X nicht ­lokale, kleine Rechenzentren unterstützen sollte, weil das unwirtschaftlich sei. „Grundsätzlich sprechen die GAIA-X-Macher viel zu wenig mit den Cloud-Experten der Branche“, kritisiert Crisp-Research-Analyst Ried. Er bemängelt zudem, dass man bei GAIA-X „nichts aus den Deutschland-Cloud-Flops gelernt“ habe. Kunden seien offenbar nicht bereit, für den Schutz ihrer Daten nach europäischem Recht mehr zu bezahlen. Hintergrund: Microsoft hatte Ende 2015 das Modell einer Deutschland-Cloud vorgestellt. Im August 2018 hatte der Konzern in einem Blog-Post mitgeteilt, diesen Service einzustellen. 
Nico Lumma, Managing Partner des Next Media Accelerators in Hamburg, kommentiert auf Gründerszene.de, dass eine europäische Cloud eine Kopfgeburt sei, die nicht überleben werde. Er erinnert an das Projekt Theseus, das im Dezember 2006 beim ersten deutschen IT-Gipfel als semantische Suchmaschine angekündigt worden war. Es seien viele Fördergelder geflossen, um eine europäische Antwort auf Google an den Start zu bringen - ­jedoch mit wenig Erfolg.
GAIA-X werde es ähnlich ergehen, lautet seine Prognose: „Auf dem nächsten ­Digital-Gipfel der Bundesregierung werden wir von zwei, drei Umsetzungen aus der Praxis erfahren, von denen noch niemand gehört hat und die für die beteiligten Unternehmen kaum relevant sind. Danach wird GAIA-X keine Rolle mehr spielen.“
Es gibt aber auch Befürworter einer europäische Cloud- und Dateninfrastruktur. Der Internet-Verband eco hat sich dazu bei rund 500 Unternehmen umgehört. Das Ergebnis der repräsentativen Umfrage: 80 Prozent der Manager sind der Ansicht, dass digitale Souveränität in Form einer leistungsfähigen und sicheren digitalen Infrastruktur entscheidend für die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland sei. Oliver Süme, eco-Vorstandsvorsitzender, betont, dass Europa einen „intelligenten Mix an digitalen Infrastrukturanbietern“ brauche: „Datensouveränität und Datenzugang sind ­wesentliche Erfolgsfaktoren für eine datengetriebene Wirtschaft.“ Der Schlüssel dafür seien leistungsfähige Rechenzentren.
Der Digitalverband Bitkom bezieht in einem Eckpunktepapier Stellung zu einer souveränen Cloud- und Datenstruktur in Deutschland und Europa.  Im Kern gehe es bei der Diskussion um GAIA-X um die Frage, „wie wir uns in der digitalen Welt die Fähigkeit zu selbst­bestimmtem Handeln bewahren“, so Bitkom. Souverän heiße, in zentralen Technologiefeldern und Diensten über eigene Fähigkeiten auf Spitzenniveau zu verfügen und selbstbewusst zwischen ­Alternativen entscheiden zu können. ­Lukas Klingholz, Bitkom-Referent Big Data & Künstliche Intelligenz, findet es gut, dass die Bundesregierung die Datensouveränität als Handlungsfeld identifiziert hat, meint aber: „Die eigentliche Arbeit beginnt jetzt erst.“ Um den Aufbau von Rechenzentren und Gigabit-Netzen voranzutreiben, brauche es eine strategische Standortpolitik. Dazu zähle, die Strompreise für Rechenzen­tren zu senken. Dass sie in Deutschland höher sind als in anderen Ländern, sei ein Nachteil. „Ein wichtiger Schritt wäre, Rechenzentren von der EEG-Umlage zu befreien“, so Klingholz. Zudem müssten die Rahmenbedingungen für Wachstumsfinanzierung und Risikokapital verbessert und der digitale europäische Binnenmarkt vollendet werden. Denn er bilde die Grundlage für Wachstum und Skalierung von GAIA-X. 
Für die Teilnahme an GAIA-X müsse es klare Kriterien geben, fordert Bitkom. „Diese Kriterien sollen Datensouveränität, digitale Souveränität und die Sicherheit von Anwendungen garantieren, die im Rahmen von GAIA-X angeboten werden“, so Klingholz. Herkunft und Hauptsitz von Anbietern sollten nicht ausschlaggebend sein, solange die ­Anbieter die noch zu definierenden Kriterien einhalten und garantieren.
Rainer Sträter, Head of Global Platform Hosting beim Hosting-Anbieter Ionos, ist der Ansicht, dass vor allem kleine und mittelständische Unternehmen von GAIA-X profitieren können, weil sie selten das Know-how hätten, um eine eigene Server-Infrastruktur sicher zu betreiben. Gleichzeitig sei bei ihnen das Misstrauen gegenüber den dominanten US-Anbietern groß. Er verweist auf den US-amerikanischen CLOUD Act. Dieses Gesetz ermöglicht es US-Behörden, von US-Anbietern Zugriff auf Daten zu verlangen, die auf Servern außerhalb der USA liegen (siehe auch Kasten auf Seite 65).
Sträter geht davon aus, dass jeder Wirtschaftszweig von GAIA-X profitieren werde, auch der Online-Handel. „Beim Online-Handel geht es um den Umgang mit sensiblen Daten, den Zahlungsinformationen von Kunden. Hier hat eine Plattform, die auf europäischen Datenschutzstandards basiert, einen Wettbewerbsvorteil.“
Für den Online-Handel wäre ein Zusammenspiel aus Private und Public Cloud effektiv, meint Stefan Ried von Crisp Research: Der Katalog-Teil einer Handelsplattform, der etwa 80 Prozent der Performance braucht, sollte auf einem Public-Cloud-Hyperscaler liegen, nur die Transaktionsprozesse auf einer Infrastruktur mit hohem Datenschutz. „Damit beide optimal als hybride Multi-Cloud zusammenspielen, muss der private Teil am besten an der gleichen Location liegen, aber von einem lokalen Service-Provider betrieben werden.“

Viele ungeklärte Fragen

Grundsätzlich sei alles sinnvoll, was zu ­einer weiteren Digitalisierung des Standorts Deutschland beitrage, kommentiert Marco Revesz, Teamleiter Cloud & Automation bei InternetX, Anbieter von Domains sowie Cloud- und Server-Produkten. Bisher hätten schon viele Unternehmen versucht, sich als deutsche Alternativen zu den Hyperscalern zu positionieren, gelungen sei es bis dato aber noch keinem. Damit GAIA-X erfolgreich werde, müssten mehr Investitionen in Infrastruktur und Bildung erfolgen, meint Revesz. Denn GAIA-X werde nur möglich sein, wenn Menschen mit entsprechendem Know-how „lokale“ Innovationen entwickeln und vorantreiben. „Wir betrachten das Projekt aktuell aus einer gesunden Distanz“, erklärt Revesz. Viele Fragen seien noch ungeklärt: „Auch bei GAIA-X wird der Markt entscheiden, ob ein Bedarf dafür existiert und ob sich solch ein Projekt nachhaltig lohnen wird.“
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