Zentrale versus dezentrale IT-Infrastruktur

Der goldene Mittelweg an Stelle von Patentrezepten

von - 20.08.2015
Es gibt auch andere Gründe, die für eine dezentrale Organisation beziehungsweise den goldenen Mittelweg sprechen. Peter Dümig von Dell kennt einen Fall, bei dem ein großes Unternehmen den im Prinzip richtigen Schritt unternommen hatte, die Hauptapplikation für alle Niederlassungen zu zentralisieren. Dabei wurde jedoch versäumt, vorher einen Test zu fahren.
Letztlich hätten sich durch die vielen Datenbankabfragen im zentralen Server die Latenzen so hochgeschaukelt, dass die Geschwindigkeit der Anwendungen immer geringer und das System unbrauchbar wurde. Ergebnis: Das Unternehmen startete ein neues Projekt, um die Hauptapplikation wieder zu dezentralisieren.
In der Fertigung oder an Universitäten würden von Fachabteilungen oder einzelnen Instituten mitunter Anschaffungen wie HPC-Cluster für aufwendige Berechnungen getätigt, die von der zentralen IT gar nicht beurteilt und mit eigenem Know-how auch gar nicht betrieben werden können, führt der Dell-Manager weiter aus. Es gebe durchaus Abteilungen, die aufgrund spezieller Anforderungen 40-Gigabit-Ethernet-Switches einsetzen, während normal im Unternehmen mit 10 Gigabit gearbeitet werde.
In dezentralen Strukturen und in Fällen, die ein spezielles Know-how erfordern, haben die Abteilungen oder Niederlassungen eigene IT-Teams. Laut Rainer Hoppe von A’Pari Consulting muss dabei dafür gesorgt sein, dass das Wissen immer bei mehr als einem Mitarbeiter liegt.

Trends fördern die zentrale IT

Abgesehen von unternehmenskritischen Anwendungen kann vieles ebenso gut dezentral gemanagt werden. Es gibt aber auch eine Reihe von neuen starken Argumenten, die mehr für eine Zentralisierung sprechen. Dazu gehören Trendthemen wie die fortschreitende Digitalisierung, Big Data, Industrie 4.0, das Internet der Dinge sowie Bring beziehungsweise Choose Your Own Device (BYOD/CYOD), die wachsende Anforderungen an die Vernetzung und Sicherheit der IT-Systeme stellen. Dezentrale Systeme könnten im Kontext von Industrie 4.0 laut Hoppe nur fortbestehen, wenn ein durchgängiger Echtzeit-Datenaustausch über entsprechende Bus-Systeme und andere Middleware sichergestellt sei. Bei den genannten Themen einschließlich Big Data können ihm zufolge die Fachabteilungen nicht „im Lead“ sein. Vielmehr sei hier eine zentrale Business-IT gefordert, die abteilungsübergreifend unterstützend tätig ist.
Als „starken Fall“ für die zentrale IT sieht Dell-Manager Dümig die Private Cloud, weil man so wichtige Skaleneffekte erzielen könne. Bei der Nutzung einer externen oder Pu­blic Cloud sei es hingegen „gar nicht mal schlecht“, mit Außenstellen dezentral zu arbeiten, weil diese dann auch direkt darauf zugreifen könnten. In den Fachabteilungen gebe es viele innovativ denkende Menschen, aber Skepsis gegenüber Veränderungen sei dort ebenfalls weit verbreitet und mitunter auch angebracht – zum Beispiel, wenn der Vorstand die Cloud anstrebt, die IT-Mitarbeiter aber entsetzt zu überlegen anfangen, wie das überhaupt realisiert werden könnte, von sicherheitstechnischen und juristischen Fragen ganz abgesehen.
„Denn wenn nicht sichergestellt werden kann, dass die Daten in Deutschland bleiben, dann dürfen manche Dinge gar nicht in die Cloud gegeben werden“, so Dümig. Das wiede­rum kann ein starkes Argument für den CIO im Vorstand sein, setzt aber voraus, dass sich bei ihm strategisches Denken mit Sachverstand paart und er nicht schon zu weit weg von der operativen IT-Basis ist.
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