XXL-Projekte mit agilen Methoden bewältigen

Weitere Frameworks

von - 11.06.2019
Auf dem Weg zur Agilität
Agil oder Wasserfall? Meist kommen in Unternehmen beide Methoden oder Mischformen vor.
(Quelle: Micro Focus: "Developing Software: Methodologies, Design Principles, and Technology Adoption", n= mehr als 800 )
Neben SAFe, LeSS, Nexus und DA gibt es eine ganze Reihe weiterer Frameworks und Methoden, um agile Projekte zu skalieren. Zu nennen wäre zum Beispiel das Modell des Streaming­anbieters Spotify, das etwa bei ING DiBa und Deutscher Telekom Anwendung findet. Es definiert vier Stufen der Organisation: „Squads“ entsprechen in etwa den Feature Teams in Scrum und bestehen aus nicht mehr als acht Personen. Mehrere Squads, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten, bilden einen „Tribe“. Innerhalb eines Tribes schließen sich Spezialisten mit gemeinsamen Kenntnissen und Fähigkeiten zu Squad-übergreifenden „Chapters“ zusammen.
Und dann gibt es in diesem System auch noch „Gilden“, informelle Zusammenschlüsse von Mitarbeitern verschiedener Tribes, die gemeinsame Interessen verfolgen. Über allem wacht der „Chief Architect“, der die Architektur des Systems definiert und Abhängigkeiten im Blick behält. Obwohl das Spotify-Modell auf den ersten Blick kompliziert wirkt, gilt es als sehr flexibel, weil es Abhängigkeiten und komplexe Prozesse weitgehend vermeidet und die Autonomie der Mitarbeiter stärkt. Diese Autonomie kann laut Experte Vollmer allerdings auch zum Problem werden: „Ich brauche sehr erfahrene Leute, um ein solches offenes Konzept zum Erfolg zu führen.“
Scrum@Scale schließlich wurde von Jeff Sutherland entwickelt, der wie Ken Schwaber zu den Begründern von Scrum gehört. Das Framework verspricht die effiziente Koordina­-tion einer unbegrenzten Zahl von Scrum-Teams durch eine „scale-free“ Architektur, die keine starren Regeln vorgibt, sondern ein organisches Wachstum ermöglichen soll. Wie bei Scrum wird die Definition, was produziert werden soll, von der Frage, wie es produziert wird, getrennt betrachtet. Dabei wacht ein „Chief Product Owner“ über das Was, ein „Chief Scrum Master“ über das Wie. Ein Executive Action Team (EAT) steht im Zentrum der Entwicklung. Es besteht aus höherrangigen Managern, die Probleme lösen und Schwierigkeiten aus dem Weg räumen. Peter Vollmer bezweifelt allerdings, dass sich große Projekte so einfach in einem skalierten
Scrum-System abbilden lassen: „Skalierung ist nicht so rekursiv wie es in Scrum@Scale dargestellt wird.“

Garantie für Misserfolg?

Nicht alle Experten sind vom Sinn der Frameworks überzeugt. „Ich habe bisher noch keinen Kunden gesehen, der ein solches Framework out of the box eingesetzt und damit den gewünschten Erfolg erzielt hat“, berichtet Fabian Schiller, Agiler & Scrum Coach beim Beratungsunternehmen Agile Elevation. Allenfalls eigneten sich die Frameworks als Methodenbaukasten für die Lösung organisatorischer Probleme, die in großen agilen Projekten auftreten können. Schiller warnt daher davor, sich zu dogmatisch an ein Framework zu halten: „Das ist fast schon eine Garantie für den Misserfolg.“
Christian Kabelin
Christian Kabelin
Consultant bei Ventum ­Consulting
www.ventum-consulting.com/de
Foto: Ventum Consulting
„Viele verfolgen agile Prinzipien mit nahezu religiöser ­Überzeugung, ohne einen Blick für die Herausforderungen und Bedürfnisse der Gesamt­organisation zu haben.“
Christian Kabelin von Ventum Consulting sieht das ähnlich: „Viele verfolgen agile Prinzipien mit nahezu religiöser Überzeugung, ohne einen Blick für die Herausforderungen und Bedürfnisse der Gesamtorganisation zu haben“, kritisiert der Consultant. „Das führt zu großen Spannungen und frustriert letztendlich alle.“ Wichtiger als die Wahl eines Frameworks seien eine Veränderung der Denkweise, ein agil handelndes Management, Kompetenzentwicklung und Änderungsbereitschaft. „Das sind aus meiner Erfahrung die größten Hebel, um ein Unternehmen agil zu transformieren.“
Vorbehalte gegenüber den Frameworks gibt es auch bei vielen Unternehmen. Laut dem eingangs erwähnten „12th State of Agile“-Report setzen viele Befragte auf alternative Ansätze. So nutzen 19 Prozent das Scrum-Paradigma auch in großen Projekten und erweitern es lediglich um ein zusätzliches Meeting mit Mitgliedern der einzelnen Scrum-Teams, das „Scrum of Scrums“. Bei weiteren 10 Prozent kommen selbst entwickelte Methoden zum Einsatz. Beliebt sind auch Ansätze wie Lean Management und Agile Portfolio Management (APM), das klassische Methoden des Portfolio-Managements mit agilen Ansätzen kombiniert.
Die neun Prinzipien des Scaled Agile Frameworks (SAFe)
1. Wirtschaftlichkeit: Bei allen Entscheidungen müssen Aspekte wie Entwicklungs-, Herstellungs- und Betriebskosten sowie Liefer- und Produktionszeiten berücksichtigt werden. Jeder Beteiligte muss die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Entscheidung verstehen und nachvollziehen können.
2. Systemisches Denken: Organisationen werden als ein System von Systemen verstanden. Die Teammitglieder müssen die Grenzen des Systems und seine Interaktion mit anderen Systemen berücksichtigen und verstehen, dass die Optimierung einer Komponente nicht notwendigerweise das Gesamtsystem optimiert. Besonders wichtig sind Schnittstellen, denn jedes System ist nur so schnell wie sein langsamster Integrationspunkt.
3. Variabilität voraussetzen, Optionen bewahren: Die Entwicklung neuer Produkte ist immer mit Unsicherheit behaftet. Während des Entwicklungsprozesses können sich technische Voraussetzungen und Marktanforderungen verändern. Alternativen und Varianten sollten nicht verfrüht verworfen werden.
4. Inkrementelle Entwicklung, häufige Integration und schnelle Lernzyklen: Die Komponenten einer Lösung sollten während der Entwicklung in kurzen Abständen integriert und das Produkt auf Funktionsfähigkeit überprüft werden. Aus dem Ergebnis dieser Tests werden die nächsten Schritte geplant.
5. Objektive Bewertung funktionierender Systeme: Im Wasserfallmodell werden Phasen wie Design, Entwicklung, Test und Auslieferung nacheinander abgearbeitet. Erst am Ende zeigt sich, ob das Produkt funktioniert und wirtschaftlich sinnvoll ist. In SAFe enthält jeder Meilenstein alle Bestandteile der Projektplanung. Nach jedem Schritt wird objektiv gemessen, ob die Lösung machbar ist und die angestrebten Ziele erfüllt.
6. Arbeitsbelastung visualisieren und reduzieren: Überlastung macht Teams unproduktiv. Sie springen zu oft zwischen Aufgaben hin und her, setzen falsche Prioritäten und erledigen das Naheliegende statt das Notwendige. Um realistisch planen zu können, sollten alle Aufgaben visualisiert, der Umfang einzelner Schritte begrenzt und die Warteschlange reduziert werden.
7. Intervalle und Synchronisierung: Aufeinanderfolgende Intervalle mit festgelegten, sich wiederholenden Arbeitsschritten schaffen Prozesssicherheit. Über Entwicklungsteams hinweg sollten diese „Kadenzen“ synchronisiert werden, sodass Komponenten zum selben Zeitpunkt für Tests zur Verfügung stehen.
8. Intrinsische Motivation fördern: Mitarbeiter sollten so autonom wie möglich arbeiten. Die Führungskräfte sollten nicht mehr Arbeit anweisen und deren Erledigung überwachen, sondern den Kontext und das Verständnis dafür liefern, wie die eigene Arbeit mit den Unternehmenszielen zusammenhängt.
9. Entscheidungen dezentralisieren: Alltagsprobleme, die zeitkritisch sind und die lokale Informationen benötigen, sollten vor Ort in den Teams gelöst werden.
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