Verschiedene Wege führen mit SAP in die Cloud

Im Gespräch mit Constantin Hellweg und Jörg Blom von Deloitte

von - 22.04.2021
Constantin Hellweg
Constantin Hellweg: Direktor im Bereich Enterprise Performance SAP und Market Offering Lead für SAP Cloud Transformation bei Deloitte
(Quelle: Deloitte )
Constantin Hellweg und Jörg Blom sind Direktoren im Bereich Enterprise Performance SAP beim Beratungsunternehmen Deloitte. Im Interview mit com! professional erklären sie, welche Vorteile SAP-Systeme in der Cloud bringen und wie Firmen die Cloud-Migration am besten meistern.  
com! professional: Herr Hellweg, Herr Blom, warum sollten Firmen ihr SAP-System in die Cloud migrieren?
Constantin Hellweg: Lange wurden cloudbasierte SAP-Systeme oder Systemlandschaften von vielen mit Skepsis betrachtet. Mittlerweile sind diese Systeme aus den Unternehmenslandschaften nicht mehr wegzudenken. Sie befähigen Firmen, ihre Marktpräsenz mit immer schnelleren Schritten auszubauen und so mit aktuellen Marktentwicklungen Schritt zu halten. Cloud-Applikationen sind heute zentrale Elemente für die Unterstützung der Geschäftsprozesse geworden.
Viele Unternehmen setzen dabei auf SAP-Lösungen - SAP S/4HANA als zentrales ERP, SAP Ariba als Einkaufsplattform, SAP C/4HANA für die Customer Experience und SAP SuccessFactors für das Personalmanagement. Alle Lösungen haben eines gemeinsam: Mit Ausnahme von einzelnen S/4HANA-Varianten sind alle Lösungen cloudbasierte Applikationen, die über ihre Modularität eine agile Plattform für zukünftige Marktanforderungen bieten.
com! professional: Welche weiteren Vorteile bringt SAP in der Cloud?
Jörg Blom: SAP-Cloud-Umgebungen haben den Vorteil einer fast unbegrenzten Skalierbarkeit. In der Vergangenheit war die Hardware-Investition und deren Betrieb neben den Investitionen in
Jörg Blom
Jörg Blom: Direktor im Bereich Enterprise Transformation und verantwortlich für SAP-Technology & Platform bei Deloitte
(Quelle: Deloitte )
Software und Implementierung ein wesentlicher Kostentreiber. SAP-Cloud-Lösungen verfügen über eine bedarfsorientierte Skalierung. Die als Service gemietete Plattform kann entsprechend den Anforderungen skaliert werden, ohne das „eigene Blech“ ausbauen und die Verfügbarkeit in eigenen oder ausgelagerten Rechenzentren sicherstellen zu müssen.
com! professional: Wie ist die Ausgangssituation in den Firmen? Wie sieht deren SAP-Landschaft im Regelfall aus?
Hellweg: In der Regel sind SAP-Landschaften von Firmen sehr heterogen. Sie bestehen meist aus mehreren einzelnen SAP-Systemen mit sehr vielen Eigenentwicklungen und über die Jahre gewachsenen komplexen Prozess- und Datenstrukturen. Oft wurde dabei lediglich die technische System- und Datenplattform an die spezifischen Prozessanforderungen der Fachbereiche angepasst, anstatt das übergeordnete Ziel der Standardisierung und Harmonisierung der Daten- und Prozessstrukturen zu verfolgen.
Als Resultat werden die Aufwände für Wartung, Release-Wechsel und Änderungen immer größer. Damit wird es für viele Unternehmen immer schwieriger, sich marktseitigen Änderungen schnell anzupassen und etwa ein transparentes, übergeordnetes Reporting zu ermöglichen. Hinzu kommt, dass viele Unternehmen aufgrund des Wartungsendes für SAP ECC 6.0 zum 31. Dezember 2027 einen Release-Wechsel von SAP ECC 6.0 zu SAP S/4HANA planen.
com! professional: Wie können sich Firmen grundsätzlich für die Migration von SAP in die Cloud vorbereiten?
Hellweg: Viele Unternehmen bereiten den Wechsel in die SAP-Cloud mit einem sogenannten Phase-0-Projekt vor. Im Rahmen eines solchen Vorprojekts wird zusammen mit Beratungsunternehmen die richtige Strategie unter anderen für einen Wechsel in die Cloud vorbereitet. Bei diesem Vorgehen wird auch die aktuelle Cloud-Strategie der Unternehmen, falls vorhanden, berücksichtigt und entsprechend ausgebaut.
Die zentralen Fragestellungen für einen Wechsel in die Cloud sind: Möchte ich eine reine Migration der bestehenden Systemlandschaft in die Cloud durchführen, möglicherweise verbunden mit einem Release-Wechsel? Oder geht es um ein Re-Design meiner Prozesse hin zu standardisierten und harmonisierten Prozessen? Welches SAP- und gegebenenfalls Hyperscaler-Lizenzmodell ist das richtige? Wie möchte ich zukünftig den Betrieb und die Wartung organisieren?
com! professional: Wie sollten Firmen bei der Migration von SAP in die Cloud vorgehen? Welche Ansätze gibt es?
Blom: Viele Firmen müssen mit dem Wechsel nach S/4HANA ihre Infrastruktur an die In-Memory Technologie anpassen. Dies ist ein guter Zeitpunkt für den Wechsel von ihrer heutigen SAP-Infrastruktur in die Cloud. Dieser Wechsel kann in einem Schritt erfolgen, zum Beispiel durch den Aufbau des neuen S/4HANA-Systems nach einem Greenfield-Ansatz in der Cloud, aber auch schrittweise. Erfolgt der Wechsel nach S/4HANA in einzelnen Schritten, ist eine Option, zuerst das heutige SAP-System in die Cloud zu migrieren.
Hellweg: Ist der Weg in die Cloud mit einem Release-Wechsel auf SAP S/4HANA verbunden, stellt sich die zentrale Frage, ob man eine reine Migration des bestehenden Systems in das neue SAP S/4HANA in der Cloud umsetzen möchte oder eine komplette Neuimplementierung mit anschließender Datenmigration anstrebt. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es den Weg der selektiven Transformation, in der das Zielsystem in Teilen neu aufgesetzt wird und anschließend eine Datenmigration erfolgt.
Mit den Ansätzen der vollständigen Neuimplementierung oder der selektiven Transformation lässt sich die Systemlandschaft in der Regel von Altlasten bereinigen, Prozess- und Datenmodelle lassen sich standardisieren. Das wirkt zwar auf den ersten Blick komplexer und aufwendiger, hat aber den Vorteil, dass sich spätere Weiterentwicklungen oder die Nutzung von intelligenten Applikationen wie Machine Learning oder Predictive Analytics einfacher in die bestehende Landschaft einbetten lassen. Der Grund: Sie setzen auf standardisierten Prozess- und Datenmodellen auf und reduzieren somit den notwendigen Entwicklungsaufwand.
com! professional: Was sind die größten Herausforderungen bei einem Wechsel von SAP in die Cloud? Welche Fallstricke gibt es?
Hellweg: Der Wechsel in die Cloud erfordert Spezialkenntnisse, die heute nicht notwendigerweise in den eigenen IT-Abteilungen vorhanden sind. Voraussetzung ist eine Cloud-Strategie, die nicht nur den ersten Schritt in die Cloud umfasst, sondern das gesamte Zielbild für die zukünftige Cloud-Architektur. Welche Cloud-Form wird gewählt? Wie sichere ich meine Systemlandschaft ab, wie bette ich mobile Applikationen in mein Sicherheitskonzept ein, wo werden meine Daten gespeichert? Geht mit dem Wechsel von SAP in die Cloud ein Release-Wechsel zu SAP S/4HANA einher, kommt dazu noch die zentrale Frage nach dem Lizenzmodell. Soll das zukünftige SAP-System als SaaS-Modell aufgesetzt werden? Kommen die Varianten SAP S/4HANA in der Public und Private Cloud in Betracht? Neben den technischen Unterschieden kann eine steuerliche Betrachtung notwendig sein, da sich das gewählte Lizenzmodell unterschiedlich auf die Bilanzierung der SAP-Implementierung/Migration in die Cloud auswirkt.
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