Die USA beherrschen die ­digitale Wirtschaft

Steuerschlupflöcher

von - 14.08.2018
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Top 5: China führt die Exportprofiteure an. Gemessen am Handelsvolumen hat Deutschland den höheren Überschuss.
(Quelle: WTO / Statista)
Natürlich ist die Steuervermeidung kein Privileg amerikanischer IT-Unternehmen. So entschloss sich etwa der italienisch-amerikanische Autokonzern Fiat Chrysler Automobiles (FCA) 2014, seinen Firmensitz in die Niederlande und seine opera­tive Firmenzentrale nach Großbritannien zu verlegen. FCA unterhält zwar rund um den Globus über 100 Produktionsstätten, keine davon befindet sich jedoch in den Niederlanden oder gar in der City of London. Dort werden auch keine Autos entwickelt, das findet nach wie vor in Turin oder in Detroit statt. Dem Vernehmen nach spricht Firmenchef Sergio Marchionne noch nicht einmal Holländisch.
Dass sich der in Kanada aufgewachsene Manager und sein Hauptaktionär Gianni Agnelli dennoch für die Niederlande als Firmensitz entschieden, hat steuerliche Gründe. Schlupflöcher in der niederländischen Finanzgesetzgebung erlauben es Konzernen, ihre Gewinne über das Land der Polder an ausländische Gesellschaften zu verschieben – weitgehend unversteuert.
An der Ausarbeitung dieses Systems – gelegentlich als „Dutch Sandwich“ bezeichnet –war pikanterweise der ehemalige niederländische Finanzminister und Ex-Chef der Euro-Gruppe in der EU, Jeroen Dijssel­bloem, beteiligt. In den „Para­dise ­Papers“, jenen spektakulären Dokumenten, die 2017 die Steuervermeidungstricks internationaler Konzerne öffentlich machten, werden die Niederlande deshalb als ­eines der führenden Steuerschlupflöcher innerhalb der EU bezeichnet.

Enorme Summen geparkt

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Top 5: Die USA haben ein gewaltiges Handelsdefizit. 2016 war es doppelt so hoch wie der deutsche Bundeshaushalt.
(Quelle: WTO / Statista)
Hat das Unternehmen seinen Sitz außerhalb der EU, geht „Dutch Sandwich“ auch noch einen Zacken schärfer. „Double Irish with a Dutch Sandwich“ tauften Finanzexperten das Modell, mit dem Google in den vergangenen Jahren seine europäischen Profite kleingerechnet hat.
Und das geht so: Googles Werbekunden innerhalb der EU bezahlen ihre Rechnung an die irische Google-Niederlassung in Dublin. Von dort fließen Lizenzgebühren an die ­Google Netherlands Holdings BV, ein ­kleiner Rest wird in Irland mit vergleichsweise mageren 12,5 Prozent besteuert. Die Lizenz­gebühren wandern von Holland ­zurück nach Irland an eine Holding, deren Eigner Google-Tochtergesellschaften auf den Bermudas sind: Sie unterliegen deshalb nicht dem irischen Steuerrecht.
Diese Bermuda-Gesellschaften wurden von Google USA bevollmächtigt, die Technologien des Konzerns außerhalb der USA zu vermarkten. Deshalb fließen die Gewinne aus ­Europa nicht in die USA zurück, sondern landen auf den Bermudas. Die „Zeit“ rechnete 2013 vor, dass Google auf diese ­Weise bereits 2011 knapp 10 Milliarden Dollar steuerfrei auf die Bermudas verfrachtet hatte – gut 80 Prozent des weltweiten Konzerngewinns. 
Google ist weder der erste noch der einzige Digitalkonzern, der dieses Modell nutzt. Auch Facebook, Apple, Adobe und Oracle parken gewaltige Geldmengen in Steueroasen, wo sie liegen und auf bessere Zeiten warten. Denn die US-amerikanischen Gewinnsteuern von 35 Prozent werden erst fällig, wenn das Geld tatsächlich in die Vereinigten Staaten transferiert wird. 
Wie schnell diese besseren Zeiten anbrechen können, zeigte sich Anfang des Jahres. Apple-Chef Tim Cook kündigte überraschend an, in den nächsten fünf Jahren 20.000 Jobs in den USA schaffen und dafür 30 Milliarden Dollar investieren zu wollen. Der in Steueroasen geparkte ­Gewinn von 250 Milliarden Dollar solle in die USA transferiert werden – zu einem Steuersatz von 15 statt 35 Prozent.
Der EU, die Apple durch aberwitzige Steuerkonstruktionen dabei geholfen hatte, so viel Geld fast steuerfrei zu erwirtschaften, bleibt nur das Nachsehen. Anfang 2017 hatte EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager die irische Praxis, ausländische Firmenzentralen von der Besteuerung auszunehmen, als ­illegale Subvention eingestuft und die Iren dazu verdonnert, von Apple 13 Milliarden Euro Steuern nachzufordern.
Ob dieses Geld ­jemals gezahlt wird, ist nach den jüngsten Entwicklungen völlig offen. Deshalb planen die EU-Finanzminister jetzt eine standortbezogene Umsatzsteuer für Internetunternehmen, die Steuern dort fällig werden lässt, wo die Umsätze anfallen.
Klaus Hommels
Klaus Hommels
Mitgründer der Wagniskapitalgesellschaft Lakestar
www.lakestar.com
„Gerade bei den großen Unternehmen vermisse ich Mut.“
Doch dagegen regt sich bereits Widerstand seitens der europäischen Internetindustrie. Sie befürchtet eine Doppel­belas­tung und abermals Nachteile gegenüber den US-Konzernen.
Für Star-Investor Klaus Hommels ist der zögerliche Umgang Europas mit den ­immensen Gewinnen der US-Konzerne nur eine Seite der Medaille. Hommels, der zu den frühen Investoren bei Skype, Spotify und Auto 1 zählt, findet sogar die Milliardenstrafe, die EU-Kommissarin Vestager 2017 gegen Google verhängte, viel zu lasch. Dem „Tagesspiegel“ rechnet er vor, dass die geforderten 2,4 Milliarden Euro nur 0,3 Prozent des Google-Firmenwerts seien und dem Reingewinn von 31 Tagen entsprächen. Hingegen sei die deutsche Bank während der Finanzkrise mit einer Strafe in ­Höhe von 30 Prozent des Firmenwerts ­belegt worden – während sie Verluste schrieb. Hommels fordert ganz klar eine mehr an europäischen Interessen ausgerichtete Industriepolitik.
Auf der anderen Seite müsse der Staat stärker als Auftraggeber auftreten. Unter Insidern ist es ein offenes Geheimnis, dass das Silicon Valley erst mit massiven Aufträgen der US-Regierung zu seiner heutigen Größe wachsen konnte.
Außerdem vermisst der Investor bei der heimischen Industrie Mut zum Gasgeben. Beispiel: General Motors war 2009 pleite und investierte zwei Jahre später 500 Millionen Dollar in den Uber-Konkurrenten Lyft. Daimler verdiente 2010 mehr als 7 Milliarden Euro – und ließ sich den Einstieg in die Mobilitätsplattform Mytaxi gerade einmal 10 Millionen Euro kosten.
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