Wenn Unternehmen zum Selbstläufer werden

Warum automatisieren?

von - 06.11.2020
Automatisierungsinitiativen werden von den Mitarbeitern häufig kritisch gesehen. Sie befürchten, dass ihre Jobs von Robotern übernommen werden. Tatsächlich entwerfen Studien düstere Szenarien für den Arbeitsmarkt. McKinsey pro­gnostiziert, dass bis 2030 weltweit rund 400 Millionen Arbeitsplätze durch Automation verloren gehen könnten, PwC erwartet, dass 37 Prozent aller Jobs in Deutschland bis Mitte der 2030er-Jahre überflüssig werden.
Personaleinsparungen stehen allerdings bei Automatisierungsprojekten nur in den wenigsten Fällen im Fokus. Viel wichtiger ist es, Mitarbeiter von lästigen und zeitraubenden Routineaufgaben zu entlasten, sagt Signavio-SVP de Veer: „Die meisten Unternehmen leiden unter Ressourcenengpässen. Sie haben zu wenig Personal, um geplante Projekte in der gewünschten Geschwindigkeit umzusetzen.“ Das bestätigt auch eine Umfrage unter fast 600 Unternehmensleitern durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und das Marktforschungsinstitut HfS Research. Nur 1 Prozent der Befragten nannte eine Kostenreduktion durch Personalabbau als Ziel. Weit vorne standen dagegen Verbesserung des Kundenservice (30 Prozent), Umsatzsteigerung (24 Prozent), Verschlankung von Frontoffice-Prozessen (23 Prozent) und Effektivitätssteigerungen bei Datenanalysen (18 Prozent).
Mit Hyperautomatisierung kommen Unternehmen diesen Zielen einen entscheidenden Schritt näher, verspricht Walter Obermeier, Area Vice President of Sales Central Europe beim Automation-Plattformanbieter UiPath: „Mit Hilfe von Hyperautomation können Unternehmen auch unstrukturierte Inputdaten bearbeiten und so eine zunehmend KI-gestützte Entscheidungsfindung erreichen. Die Kombination der unterschiedlichen Technologien sorgt dabei für rapide Fortschritte.“ Die bessere Einbindung der Mitarbeiter in Automatisierungsprozesse, wie sie Low- und Now-Code-Plattformen und Human-Bot-Schnittstellen bieten, könnte zudem die Akzeptanz von Automatisierungsprojekten erhöhen: „Mitarbeiter arbeiten nicht nur Seite an Seite mit der Technologie, sondern mit ihr“, sagt Obermeier. „Dementsprechend trägt die Hyperautomation zu einer höheren Produktivität im Unternehmen bei.“
Milad Safar
Milad Safar
Managing Partner der Weissenberg Group
https://weissenberg-solutions.de
Foto: www.felixalbertin.de
Hyperautomation ist mehr als nur die Automatisierung einzelner Prozesse und reiner Routineaufgaben.“
Die durchgängige Automatisierung ermöglicht laut Milad Safar von der Weissenberg Group zudem eine kontinuierliche Überwachung und Messung des Return on Investment (RoI): „Hyperautomation hilft Unternehmen dabei, ihre Geschäftsprozesse digital zu transformieren, indem sie mit Hilfe von KI eine End-to-End-Automatisierung ermöglicht und wichtige Einblicke in den RoI der Automatisierung gibt“, erklärt der Managing Partner. Darüber hinaus profitierten Unternehmen von den Möglichkeiten einer Echtzeitanalyse, die tiefe Einblicke in die Prozessqualität ermögliche. Daraus resultiere eine erhöhte Produktivität, eine geringere Fehlerwahrscheinlichkeit, bessere Compliance, reduzierte Risiken und eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit. „Alles mit dem Ziel, die Geschäftsprozesse effizienter zu gestalten“, so Safar.
Elemente der Hyperautomatisierung
Die Kombination dieser Bestandteile führt zum hyperautomatisierten Unternehmen:
Business Rules Engine: Software-System, das eine oder mehrere Geschäftsregeln ausführt. Dabei kann es sich um gesetzliche Bestimmungen, Unternehmensrichtlinien, Workflow-Definitionen und andere vorgegebene betriebliche Abläufe handeln. Eine Business Rules Engine ermöglicht es, Entscheidungswege unabhängig von konkreten Anwendungen zu implementieren, auszuführen und zu pflegen.
Case Management: Ein Fallmanagement verbindet und koordiniert alle Menschen, Prozesse, Daten und sonstigen Ressourcen, die für einen bestimmten Anwendungsfall benötigt werden.
Ein automatisiertes Case Management kann beispielsweise die Bearbeitung von Supportanfragen, Verträgen oder Versicherungsfällen erleichtern und beschleunigen.
Enhanced Optical Character Recognition (OCR): Dokumente, die in Papierform vorliegen, müssen zunächst digitalisiert und dann per OCR auf ihren Inhalt hin analysiert werden, um sie automatisch weiterverarbeiten zu können. Enhanced-OCR-Systeme erkennen dabei nicht nur Buchstaben und Wörter, sondern auch Unterschiede in Textstil und -formatierung, etwa Überschriften, Fußnoten oder Tabellen. In Kombination mit NLU/NLP lässt sich die Genauigkeit der Texterkennung verbessern, da sich beispielsweise unleserliche Ziffern aus dem Sinnzusammenhang heraus rekonstruieren lassen.
Human/Bot Engagement: Low-Code-/No-Code-Plattformen, gestützte Automatisierung (Attended Automation) und einfache Schnittstellen ermöglichen es Mitarbeitern in den Fachbereichen, selbstständig Bots zu entwickeln oder zu verbessern.
Intelligent Business Process Management (iBPM): Weiterentwicklung traditioneller BPM-Systeme durch die Integration von KI und Machine Learning. iBPM-Lösungen erfassen und analysieren Daten weitgehend automatisch und ermöglichen es, ohne Programmierkenntnisse durchgängige Workflows zu definieren, die sich an veränderte Umgebungsbedingungen anpassen.
KI-basierte Entscheidungsfindung: Vor allem bei großen Datenmengen liefern Algorithmen schnellere und bessere Entscheidungen als der Mensch. KI-basierte Entscheidungsfindung kann zum Beispiel dafür eingesetzt werden, um Bestände in Lagern automatisiert zu verwalten oder Investitionen zu steuern.
Low Code/No Code: Low-Code- und No-Code-Plattformen ermöglichen die Erstellung neuer Applikationen mit wenig oder gar keinem Programmieraufwand. Statt Code zu schreiben, klickt der Programmierer auf einer grafischen Bedienoberfläche per Drag and Drop vorgefertigte Software-Bausteine zusammen. Low Code/No Code ermöglicht es Mitarbeitern in den Fachbereichen, als „Citizen Developer“ eigene Lösungen zu generieren.
Natural Language Processing (NLP): Computerbasierte Erkennung von Inhalten in gesprochener oder geschriebener natürlicher Sprache. Neben regelbasierten und statistischen Methoden kommt für NLP zunehmend Machine Learning zum Einsatz. In Automatisierungsprozessen lassen sich so zum Beispiel Kundenanfragen oder -eingaben klassifizieren und an das passende Bearbeitungssystem weitergeben.
Natural Language Understanding (NLU): Semantische Analyse von Nutzereingaben. Sie ermöglicht es, in sprach- oder textbasierten Dialogsystemen den Kontext und die Absicht (Intent)
des Anwenders zu erfassen und situationsgerecht zu reagieren. Natural Language Understanding gehört zu den schwierigsten Herausforderungen für Künstliche Intelligenz.
Process Discovery: Processy-Discovery-Tools analysieren die Aktivitäten von Nutzern, Applikationen und Systemen. Ziel ist es, über Abteilungs- oder Funktionsgrenzen hinweg Zusammenhänge zu identifizieren, um so eine durchgängige Automatisierung von Prozessen zu ermöglichen.
Process Mining: Analyse der Log-Dateien von Applikationen und Systemen mit dem Ziel, Muster und Trends in der Verarbeitung von Prozessen zu erkennen.
Robotics Process Automation (RPA): Automatisierung repeti­tiver Aufgaben durch Software-Roboter. Abläufe können über Skripte definiert oder als Makro aufgezeichnet und dann vom Roboter selbstständig durchgeführt werden.
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