Supply Chain Management (SCM)

Im Gespräch mit Dr. Stefan Penthin von BearingPoint

von - 05.07.2019
Dr. Stefan Penthin
Dr. Stefan Penthin: Globaler Leiter Operations bei BearingPoint
(Quelle: BearingPoint)
Stefan Penthin ist globaler Leiter Operations beim Beratungsunternehmen BearingPoint und berät Firmen bei der Optimierung ihres Supply Chain Managements. Im Interview mit com! profes­sional beschreibt er Use-Cases für digitale Technologien in der Lieferkette und zeigt, welche Herausforderungen Firmen auf dem Weg zu einer vernetzten Supply Chain noch meistern müssen.
com! professional: Herr Penthin, wo steht SCM heute? Wie stark nutzen Unternehmen in ihren Lieferketten bereits Digitalisierungstechnologien?
Stefan Penthin: Digitalisierung ist das Thema schlechthin in der Supply Chain. In der Logistik gibt es hier eine unglaubliche Bandbreite. Manche Firmen haben noch nicht alle Geschäftsprozesse digitalisiert und miteinander verknüpft, andere Unternehmen sind schon viel weiter. Die Automotive-OEMs sind mit ihrer Just-in-time-Strategie bei der Anlieferung der Bauteile in ihre Fabriken die Vorreiter. Sie haben oft sogar einen digitalen Zwilling für ihre komplette Supply Chain erstellt, um mit Hilfe von Simulationen den Beschaffungsprozess und das Lieferantenmanagement zu verbessern.
com! professional: Der digitale Zwilling soll ja in Form von Daten und Algorithmen die Eigenschaften und das Verhalten realer Objekte und Prozesse unter bestimmten Bedingungen beschreiben.
Penthin: Es geht um ein möglichst reales Abbild der Lieferkette mit Echtzeitdaten in einer Simulationsumgebung. Welche Bauteile oder Materialien kommen in welchem Zustand in richtiger Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort an? Ein Automobil-Hersteller beispielsweise bekommt jeden Tag sehr viele Bauteile just in time geliefert, um seine Lagerbestände zu minimieren und Geld zu sparen. Er will natürlich genau wissen, wo auf dem Transportweg sich die Bauteile gerade befinden. In Verbindung mit den Wetterdaten und maschinellem Lernen lässt sich dann die Realtime-ETA (Estimated Time of Arrival) prognostizieren, sprich die Zeit, wann die Lieferung ankommt.
com! professional: Was bringen diese Daten und Prognosen?
Penthin: Durch die Transparenz können die Hersteller bei Problemen rechtzeitig reagieren und die Bauteile etwa bei einem anderen Zulieferer bestellen, damit die Bänder in der Fabrik weiterlaufen. Die Anlieferungszeiten sind ja teilweise minutengenau abgestimmt. Früher flogen die Automotive-OEMs das Material relativ häufig mit Hubschraubern ein, um einen Stillstand der Produktion zu verhindern. Durch die Datenanalyse und Prognosen lassen sich diese Kosten drastisch reduzieren. Mit Hilfe von IoT-Sensoren lässt sich auch tracken, ob Elektronik-Bauteile während des Transports feucht wurden oder etwa durch Werfen der Kartons beschädigt sind. Durch dieses Condition Monitoring können Firmen rechtzeitig reagieren und für Ersatz sorgen, wenn sich diese Teile nicht mehr verbauen lassen. Die Daten laufen in einem zentralen Cockpit zusammen, das bei Ausnahmen Alarm schlägt.
com! professional:  Welche weiteren Use-Cases gibt es für Technologien wie KI oder Blockchain in der Supply Chain?
Penthin: Ein wichtiger Trend beim SCM ist das Thema Nachhaltigkeit. Immer mehr Firmen wollen ihren CO2-Footprint messen und reduzieren. BearingPoint hat dafür das Tool LogEC entwickelt, den Logistic Emission Calculator. Damit können Firmen den CO2-Verbrauch jedes Produkts auf dem Frachtweg simulieren, vom Verlassen des Werks über das zentrale Depot und den Transport bis in den Point-of-Sale im Laden. Wir analysieren dafür mit Hilfe von lernenden Algorithmen sehr große Datenmengen und prognostizieren beispielsweise die Auslastung von Lkw auf bestimmten Strecken. Firmen erhalten detaillierte Emissionsberechnungen für Sendungen, Transportrouten und Einzelprodukte sowie integrierte Track-&-Trace-Funktionalität. Durch das Scannen von Barcodes mit einem mobilen Gerät lassen sich alle produktbezogenen Informationen wie Herkunft, Transportfluss und CO2-Emissionen anzeigen.
com! professional:  Und wie sieht es mit der Blockchain aus?
Penthin: Bei der Blockchain gibt es im Bereich Supply Chain Management viele Prototypen und Insellösungen, aber noch sehr wenige Use-Cases, die vollständig end-to-end umgesetzt sind. Wir befinden uns noch in der Lernphase. Das große Potenzial für den Einsatz der Blockchain im internationalen Handel und der Logistik ist aber bereits ersichtlich. Mit ihr lassen sich Prozesse in der Lieferkette digitalisieren, automatisieren und absichern.
com! professional: Welche Herausforderungen müssen Firmen bei der Digitalisierung ihrer Lieferketten meistern?
Penthin: Das größte Thema ist die Harmonisierung von Prozessen und Systemen. Unternehmensintern existieren vielfältige Datenquellen, Schnittstellen und IT-Systeme, die aufwendig miteinander verbunden sind. Durch Übernahmen oder Fusionen kommen stetig neue IT-Systeme und Datenquellen hinzu, oft mit anderen Datenformaten. Auch die Geschäftsprozesse unterscheiden sich dann häufig. Viele Firmen räumen gerade ihren Datenmüll auf, sie standardisieren oder harmonisieren ihre Daten, Geschäftsprozesse und ihre IT. Ziel ist eine komplett verknüpfte Supply Chain auf Basis von Digital Twins.
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