Kann Software den CEO ersetzen?

Grundsätzliches Dilemma

von - 23.04.2020
Das skizzierte Kultur-Panorama zeigt ein Hauptdilemma der digitalen Transformation: Der Paradigmenwechsel verlangt - von wenigen Ausnahmen abgesehen - von der Geschäftsleitung Härte und Durchgriffstärke gegen das antiagile Alte. Die digitale Veränderung ist aber langfristig absolut inkompatibel mit einer klassischen Top-down-Führung. Oder: Mit Methoden von gestern muss die alte Welt transformiert werden. Die künftige Welt verlangt hingegen nach modernen Spielregeln. Die entstehende neue Welt entspricht im Idealfall der geschilderten ersten prototypischen IT-Kultur, ergänzt mit einer hohen Business-Affinität. Die diszipliniert agilen Informatiker sollten nämlich Innovationen für das Geschäft nicht nur umsetzen, sondern idealerweise selber dem Business vorschlagen.
Das Dilemma ist der Weltgeschichte immanent. Historiker, Ökonomen und Theologen haben es ausführlich beschrieben: Zivilisation lässt sich nur eingeschränkt mit zivilen Mitteln etablieren. Die eigentliche Herausforderung ist daher eine andere: Die digitale Transformation stellt unsere Denklogik in vielen Bereichen auf den Kopf - oder je nach Sichtweise vom Kopf auf die Füße. Wir alle müssen das sehr schnell begreifen lernen.
Ein typisches Beispiel: Früher sammelte man Daten für ein fundiertes Anwendungsdesign, um eine Software zu entwickeln. Heute baut man Apps so, dass sie brauchbare Daten für die Weiterentwicklung liefern. Aus Datensammeln für das App-Design wurde App-Design fürs Datensammeln. Mit dem durch DevOps stark vereinfachten Durchführen von Hypothesentests wird Bauchgefühl situativ überprüfbar. Weitere IT-getriebene Entwicklungen, mit denen sich Top-Managerinnen und Firmenlenker auseinandersetzen müssen, heißen deshalb „hypothesenbasiertes Management“ und „Governance mit eingebauter Wirkungsüberprüfung“.

Neue Führungsprinzipien

Die digitale Transformation macht auch vor dem Fundament guter Führung nicht halt: dem Vorleben eines guten Beispiels. Durch die Digitalisierung wird die Arbeitswelt heterogener, transparenter, aber auch reicher an Regelbrüchen. Selbstverständlichkeiten erodieren, allerdings geschieht das meist unsichtbar. Weil Vorgesetzte andere Herausforderungen als ihre Mitarbeiter haben, wird es notwendig, die Vertrauenswürdigkeit als kulturellen Wert in den Fokus vorbildlichen Verhaltens zu rücken.
Chefinnen und Chefs sollten das Einhalten von Deals und das Geben von Feedback in Bezug auf eingehaltene Vereinbarungen diszipliniert vorleben. Wenn sie zusätzlich auch noch für alle sichtbar ernsthaft neugierig sind, schadet das nicht - ganz im Gegenteil. Ansonsten aber müssen sich CEOs von sehr vielen Ratschlägen unserer Führungslehrbücher und TED-Talker verabschieden. Wir leben in einer Welt, in der das Brechen von Regeln zur Norm wird und Machtspiele zunehmend dominieren. Dem kann man nur mit agiler, disziplinierter Kreativität entgegentreten. Und genau deshalb kann man CEOs auch in Zukunft kaum durch Software ersetzen.
Adaptierung von Agilität auf andere Handlungsfelder
  • Beispiel: Fokussiertes 360-Grad-Feedback
  • Kernidee: Alle sagen allen im Team, ob die Abmachungen aus ihrer/seiner Sicht eingehalten wurden
  • Zweck: Erhöhung der Vertrauenswürdigkeit aller (verstärkt das gegenseitige Vertrauen im Team)
  • Wissenschaftliche Belege: Forschung zum Beispiel des Ökonomen Ernst Fehr
  • Richtige Umsetzung: Beschränkung des Feedbacks auf Abmachungen – das beschleunigt die digitale Transformation
  • Falsche Umsetzung: Volles 360-Grad-Feedback (bremst die Innovationsgeschwindigkeit)
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