Partnerschaften für digitale Ökosysteme

Im Gespräch mit Dr. Tobias Popović und Dr. Thomas Baumgärtler (Teil 1)

von - 08.09.2020
Tobias Popović
Dr. Tobias Popović: Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT)
(Quelle: Büro für Gestaltung Baden-Baden )
Tobias Popović ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik Stuttgart (HFT), Thomas Baumgärtler ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Offenburg. Im Interview mit com! professional erklären sie, wie genossenschaftliche Werte und Ökosysteme Innovationen fördern.
com! professional: Herr Popović, Herr Baumgärtler, Sie haben gemeinsam ein Whitepaper zum Thema „Genossenschaftliche Innovationsökosysteme - Transformation aus der Kraft der Gemeinschaft“ verfasst. Welche Funktionen und Merkmale kennzeichnen genossenschaftliche Ökosysteme?
Tobias Popović: Betrachten wir zunächst den Begriff Ökosystem. Er wird gebildet aus den griechischen Wörtern Oikos (Haus) und Systema (miteinander verbunden). Ein Ökosystem besteht also grundsätzlich aus einzelnen Elementen, die vernetzt sind und miteinander in Verbindung stehen. Zudem entwickelt sich im Rahmen von Ökosystemen in der Natur in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen neues Leben. Übertragen auf die Welt der Unternehmen fördert ein Ökosystem Innovationen im Sinn von „Neues kommt in die Welt“. Daher kann man auch von Innovationsökosystemen sprechen.
Diese Ökosysteme sind offen, dynamisch, verändern sich permanent, sind komplex, vernetzt und steuern sich selbst. Zudem sind sie vielfältig und divers als Quelle für Kreativität und zeichnen sich durch eine hohe Interdisziplinarität aus. Das bekannteste Beispiel für ein derartiges Innovationsökosystem ist natürlich das Silicon Valley.
Thomas Baumgärtler: Genossenschaftliche Ökosysteme wiederum sind durch drei wesentliche Prinzipien geprägt: Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Selbstverwaltung. Die Mitglieder einer Genossenschaft sind zum einen selbst Kunde, gleichzeitig aber auch Eigentümer, die sich selbst verwalten und bei wichtigen Entscheidungen mitbestimmen. Wenn beispielsweise Volks- oder Raiffeisenbanken einer bestimmten Region fusionieren wollen, müssen die Mitglieder zustimmen. Im Endeffekt läuft das basisdemokratisch und subsidiär ab mit gleichberechtigten Akteuren, die sich gegenseitig unterstützen.
Genossenschaften sind meist regional geprägt und wollen Lösungen für lokale Herausforderungen und Mangelsituationen schaffen. Denken Sie etwa an die neuen Wohnungsbau-Genossenschaften in München, die günstigen Wohnraum schaffen, um Mietexplosionen zu verhindern. Weitere wichtige Merkmale von genossenschaftlichen Ökosystemen sind Solidarität und Fairness.
com! professional: Genossenschaftliche Ökosysteme sind also sehr stark an Werten orientiert …
Popović: Ja. Sie basieren auf einer Zielvision und verschiedenen sozialen und „grünen“ Werten als Fundament. Dazu gehört auch Nachhaltigkeit. Urvater der genossenschaftlichen Idee ist Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der als „Prototyp“ eines Sustaina­ble Entrepreneurs versuchte, Lösungen für reale gesellschaftliche und ökonomische Herausforderungen zu entwickeln. Seine konkrete Innovation damals war die Gründung einer Genossenschaft, um die Verarmung der Landbevölkerung zu stoppen.
Im Konzept von Raiffeisen war die Kraft der Gemeinschaft zentral. Er war überzeugt, dass viele schaffen können, was einer allein nicht schafft. Genossenschaftliche Innovationsökosysteme nutzen die Kreativität und das Innovationspotenzial der Gemeinschaft. Sie übertragen damit den Kerngedanken Raiffeisens auf die heutige Zeit.
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