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Open Source als Motor der Digitalisierung

von - 10.02.2020
Software-Code
Foto: klss / shutterstock.com
Der Einsatz quelloffener Software bietet viele Chancen, ist aber nicht ohne Risiko. Nur der Umstieg auf Open-Source-Lösungen reicht nicht. Auch die Firmenkultur muss sich ändern.
Open-Source-Software (OSS) wie Linux, MySQL oder Open Office galt lange Zeit als Spielzeug für IT-Nerds. Das hat sich in den vergangenen Jahren drastisch geändert. Heute finden sich quelloffene Programme in beinahe jeder IT-Infrastruktur.  „Alle Top-500-Supercomputer laufen mittlerweile unter GNU/Linux“, weiß Matthias Kirschner, Präsident der Free Software Foundation Europe (FSFE). Auch drei Viertel aller Webserver basieren auf Open Source, das quelloffene mobile Betriebssystem Android hat einen Marktanteil von 80 Prozent, Content-Management-Systeme, Entwickler-Tools und Cloud-Umgebungen nutzen quelloffenen Code, ebenso Router, Smart-Home-Produkte und IoT-Geräte. „Open Source bildet heute die Basis nahezu aller digitalisierten Geschäftsprozesse“, erklärt Jan Wildeboer, EMEA Evangelist des Open-Source-Spezialisten Red Hat - dessen Erwerb sich IBM 2018 rund 34 Milliarden Dollar kosten ließ.
Auch in deutschen Unternehmen ist Open Source längst Alltag. Laut „Open Source Monitor 2019“ des Branchenverbands Bitkom setzen mehr als zwei Drittel der befragten Firmen auf offene Betriebssysteme, Datenbanken und Applikationen. „Vermutlich nutzen sogar noch viel mehr Unternehmen Open-Source-Lösungen, ohne es zu wissen - sei es als Smartphone-Betriebssystem oder als Software-Basis für Webserver“, spekuliert Bitkom-Präsident Achim Berg. „Der Krieg ist vorbei - und wir haben gewonnen“, resümiert Red-Hat-Evangelist Wildeboer.
Jan Wildeboer
Jan Wildeboer
EMEA Evangelist Red Hat
www.redhat.com/de
Foto: Red Hat
„Open Source ist heute die Basis nahezu aller ­digitalisierten ­Geschäftsprozesse.“
Wie umfassend der Sieg von Open Source ist, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Microsoft. 20 Jahre lang kämpfte das Unternehmen mit aller Macht gegen quelloffenen Code und lizenzfreie Programme. In den als „Halloween-Dokumente“ bekannt gewordenen Strategiepapieren formulierte es Ende der 1990er-Jahre Abwehrmaßnahmen - unter der Formel „Embrace, Extend and Extinguish“: Offene Standards sollten aufgenommen, um proprietäre Elemente erweitert und dann als neue, nicht offene De-facto-Standards in den Markt gedrückt werden, um die Open-Source-Konkurrenz auszu­löschen. Unternehmenschef Steve Ballmer bezeichnete Linux gar als „Krebsgeschwür“, das mit seiner Open-Source-Lizenzphilosophie sämtliche Produkte kontaminiere, mit denen es in Berührung komme.

Microsofts Bekehrung

Einen der letzten großen Siege gegen freie Software kann Microsoft derzeit in München verbuchen: Die bayerische Landeshauptstadt beerdigt ihr Open-Source-Prestige-Projekt LiMux und kehrt zu „marktüblichen Standardprodukten“ zurück, wie es im Stadtratsbeschluss von 2017 heißt. Bis Ende dieses Jahres ist eine Migration der Linux-Clients auf Windows 10 geplant, das offene LibreOffice wird nach und nach durch Microsoft-Software ersetzt. Die Windows-10-Migra­tion wird die Stadt fast 90 Millionen Euro kosten, für die Office-Umstellung werden weitere 20 Millionen veranschlagt.
Wesentlich positiver als der derzeitige Stadtrat bewertet Jan Wildeboer das Münchner Open-Source-Projekt: „LiMux hat 13 Jahre lang ganz gut funktioniert. Man hat bei dem Projekt viel gelernt und diese Erfahrungen stehen nun anderen Städten zur Verfügung.“
Matthias Kirschner von der Free Software Foundation Europe macht neben organisatorischen Mängeln vor allem die veränderten Machtverhältnisse nach der Stadtratswahl 2014 für die Kehrtwende verantwortlich: „Es gab eine politische Entscheidung, dass man wieder proprietäre Software nutzen will - auch wenn die Begründung dafür nicht nachvollziehbar ist.“ Mit dieser Strategie stelle sich München außerdem gegen den allgemeinen Trend zu mehr Open Source in der öffentlichen Verwaltung, so Kirschner weiter.
Immerhin profitiert nun die Open-Source-Community von dem in 13 Jahren aufgebauten Know-how. Unter „Wollmux.org“ stellt die Landeshauptstadt München das im LiMux-Projekt entwickelte Briefkopf- und Formularsystem als Open Source zur Verfügung, weitere Komponenten sollen folgen. Der gesamte Linux-Basis-Client könne jedoch aus rechtlichen Gründen nicht zur Nutzung bereitgestellt werden, da er auch proprietäre lizenzpflichtige Bestandteile enthalte, heißt es in einer Antwort des IT-Referats auf eine Anfrage der Linken.
Microsoft hat in München eine Schlacht in einem Krieg gewonnen, den das Unternehmen gar nicht mehr führt. Aus dem Open-Source-Feind ist längst einer der größten Befürworter geworden. „Microsoft liebt Linux“, erklärte Ballmer-Nachfolger Satya Nadella auf dem „Microsoft Cloud Briefing 2014“ in San Francisco. „Bereits 20 Prozent von Microsoft Azure ist Linux.“
Der Software-Hersteller beteiligt sich heute an zahlreichen Open-Source-Projekten und hat 2018 sogar die Entwicklerplattform GitHub übernommen. Diese 180-Grad-Wende in Redmond stieß in der Open-Source-Community zunächst auf Skepsis: „Wir konnten das gar nicht so recht glauben“, berichtet Wildeboer. „Plötzlich klingt Microsoft so, als ob sie Open Source erfunden hätten.“ Für Steffen Illium, Wissenschaftlicher Assistent an der LMU München und Organisator der Open-Source-Konferenz „OpenMunich“, ist die Kehrtwende des Unternehmens nur folgerichtig: „Microsoft hat erkannt, welche großen Vorteile Open Source einem Software-Unternehmen bringt.“
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