Der Miet-Commerce nach dem Hype

Mietkunde vs. Kaufkunde

von - 19.02.2020
Seit Mitte 2017 bietet der Discounter Tchibo mit Tchibo Share in Zusammenarbeit mit dem Start-up Kilenda Baby- und Kindermode sowie Spielzeug und Kinderzimmerausstattung zur Miete an „Wir erschließen uns auch neue Kundengruppen mit dem Mietangebot, die ansonsten kaum bei ­Tchibo eingekauft hätten“, so Lead Manager Sustainability Sarah Herms. „Diese Mietkunden motivieren Konzepte wie Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein. Für die Zukunft wollen wir auf jeden Fall versuchen, das Mietmodell auch ­gegenüber unseren klassischen Kunden stärker zu kommunizieren.“
Damit fasst Herms ein Pro­blem in Worte, das viele Miet-Commerce-Projekte eint: Oft passt die herkömmliche Zielgruppe des Unternehmens nicht zu einem Mietmodell. Wer bereit ist, für ein Luxusabendkleid einen vierstelligen Betrag ­auszugeben, will das gleiche Kleid nicht unbedingt mieten. Und wer die neueste Drohne einfach mal ausprobieren möchte, ist nicht unbedingt bereit, dafür den vollen Preis zu bezahlen. Das stellt die Handelsunternehmen vor ein Dilemma: Sie müssen eine ganz neue Zielgruppe ansprechen - und dafür ­andere Verkaufsargumente verwenden.
„Aus unserer Sicht gibt es verschiedene Kundenmotivationen, sich für Miet-Commerce zu interessieren. Da ist einmal natürlich der Nachhaltigkeitsgedanke. Viele Kunden wollen weniger und bewusster konsumieren und deshalb auch ­Secondhand-Produkte nutzen, um deren Lebenszyklus zu verlängern“, so Rahnaward Basar von Otto Now. „Eine andere Triebfeder ist die Neugier: Diese Kunden wollen gerne mal etwas Neues ausprobieren, ohne sich gleich durch den teuren Kauf finanziell sehr festlegen zu müssen. Auch der Wunsch nach mehr Abwechslung kann eine Motivation sein, beispielsweise im Bereich Mode.“ Da verwundert es wenig, dass es zwischen dem Kundenstamm von Otto und Otto Now bisher nur geringe Überschneidungen gibt. Daran will der Anbieter allerdings dieses Jahr verstärkt arbeiten und das Mietangebot zunehmend auch Otto-Stammkunden schmackhaft machen.
Dirk Haschke
Dirk Haschke
VP Sales DACH Descartes Systems
www.descartes.com
Foto: Descartes Systems
„Viele Händler haben Angst, mit einem Miet­angebot ihr eigenes ­Geschäft zu kannibalisieren.“
Dabei muss der Unterschied in der Zielgruppe kein Nachteil sein. „Viele Online-Händler werden beim Thema Sharing Commerce von der Vorstellung abgeschreckt, ihre Umsätze mit dem eigenen Mietmodell zu kannibalisieren“, erklärt Dirk Haschke vom Dienstleister Des­cartes. „Nehmen wir das Beispiel Werkzeuge: Natürlich brauchen die wenigsten von uns im Privatleben öfter als vielleicht zweimal im Jahr eine Bohr­maschine. Hier bietet sich also aus Konsumentensicht ein Mietmodell an. Aus Händlersicht allerdings steht natürlich unterm Strich mehr Umsatz, wenn er zehn Kunden zehn Bohrmaschinen verkauft, statt eine Bohrmaschine an zehn Kunden zu vermieten. Das Ziel für den Online-Händler muss also sein, mit dem Mietmodell eine neue Kundenklientel anzusprechen, für die ein Kauf zunächst nicht infrage kommt.“
Sarah Herms
Sarah Herms
Lead Manager ­Sustainability
www.tchibo.de
Foto: Tchibo
„Wir erschließen uns mit dem Mietangebot Kunden, die sonst kaum bei Tchibo eingekauft hätten.“
Dennoch bleibt die Frage, wie wirtschaftlich Sharing-Commerce-Konzepte betrieben werden können. „Ja, aktuell verdienen wir im Miet-Commerce an einem Produkt unterm Strich weniger“, räumt Sarah Herms von Tchibo ein. „Aber wir glauben, dass sich im ­Miet-Commerce eine gesellschaftliche Grundentwicklung ausdrückt: Immer mehr Kunden ist es wichtig, über Besitz verantwortungs­bewusst nachzudenken. Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Unternehmen möchten wir diesen gesellschaftlichen Trend mit prägen und vorne mit dabei sein.“
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