Mensch und KI arbeiten Hand in Hand

Hürden

von - 05.03.2021
Doch es gibt auch einige Hürden bei der Nutzung von Augmented Intelligence. Professor Thomas Davenport vom Fachbereich Technology, Operations and Information Management des Babson College, Massachusetts, ist ein Vordenker in Sachen maschineller Intelligenz. Er prognostiziert, dass Datenwissenschaftler künftig vorrangig nicht analytische Aufgaben übernehmen, sondern Datenquellen finden und Daten bereinigen müssen. Die Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Ausgangsdaten sei „ein Hauptproblem“ für fast alle Arten von KI.
„Wir haben ein Problem mit der Genauigkeit und Effizienz [der Dateneingabe]“, bestätigt beispielsweise der Kardiologe Eric Topol. Der erste Schritt auf dem Weg zu besseren Ergebnissen besteht seiner Meinung nach darin, „Tastaturen und Computerbildschirme“ aus der Arzt-Patient-Beziehung zu verbannen. „In den kommenden Jahren sollten wir in der Lage sein, das medizinische Personal von der Pflicht zur Dateneingabe zu entlasten“, glaubt er. Die Datenerfassung ist aus seiner Sicht eine Aufgabe für Maschinen.
Doch ist die Expertise hochspezialisierter Datenwissenschaftler insbesondere für den Mittelstand nur schwer zu finden und noch schwerer zu halten. Schlüsselfertige Augmented-Intelligence-Lösungen externer Anbieter müssen daher die Inhouse-Expertise ersetzen.
Einen Transfer visionärer KI-Vorsätze ins täg­liche Geschäft sollten die meisten Firmen erst gar nicht versuchen, rät Professor Davenport. Wer nicht gerade zur globalen ersten Liga zähle, solle besser „auf dem Teppich bleiben“, so der Experte. Nur sehr große und technisch außergewöhnlich versierte Unternehmen seien zur Umsetzung ambitionierter „Moon­shot“-Projekte im Bereich KI in der Lage, und selbst dann hätten sich Vorreiter wie Amazon auf dem Weg zum Erfolg arg abmühen müssen.
Im Fall von Augmented Intelligence seien nicht jene Projekte von Erfolg gekrönt, die sich große Ziele gesteckt hätten, argumentiert Davenport, sondern vielmehr diejenigen, die es auf die sprichwörtlichen „low-hanging fruits“ abgesehen hätten. Selbst Amazon befolge diesen Ansatz, so Thomas Davenport in seinem Vortrag „Stellt KI die beste Form der Augmented Intelligence dar?“ im Mai 2020 unter Berufung auf Amazon-Chef Jeff Bezos. Auf einer Aktionärsversammlung soll Bezos enthüllt haben, maschinelles Lernen verbessere die Prozesse bei Amazon „fast schon klammheimlich“. Stark auffallende, „bombastische“ Einsätze Künstlicher Intelligenz seien bei Amazon eher die Ausnahme.
Als ein Beispiel für die möglichen Konsequenzen eines misslungenen „KI-Moonshots“ nennt Davenport das MD Anderson Cancer Center des Uni-Klinikums der University of Texas. In einem stolzen KI-Projekt sollte Watson Cognitive System, die weltberühmte KI-Engine von IBM, Krebserkrankungen dia­gnostizieren und Behandlungspläne entwickeln. Trotz einer vierjährigen Anlaufphase und 62 Millionen Dollar Kosten hat sich das Projekt als krasser Fehlschlag entpuppt.
Zeitgleich hatte die IT-Abteilung desselben Krebsklinikums einen eigenen kleinen KI-Versuch auf die Beine gestellt. Bescheidenes Ziel hier: Mit Unterstützung kognitiver Technologien wollte das Personal Familienmitgliedern der stationären Krebspatienten bei der Wahl von Hotels und Restaurants beratend zur Seite stehen. Das Projekt war ein voller Erfolg. Auch bei elektronischen Zahlungsvorgängen und anderen IT-Problemen konnte sich die KI nützlich machen, indem sie unter anderem den Aufwand der Dateneingabe drastisch reduzierte.
„Ich bin Optimist“, erklärt Thomas Davenport. „Augmentation, also die Zusammenarbeit von Maschinen und Menschen, ist in Zukunft wahrscheinlicher als [rein KI-getriebene] Automatisierung.“

Fazit & Ausblick

Der Bedarf an KI-gestützten Entscheidungshilfen ist enorm. Gerade der Mittelstand steht unter Druck, Reserven an Produktivität freizusetzen und neue Wege der Entscheidungsfindung zu gehen. Doch konventionelle Ansätze der Business Intelligence sind vielen zu trocken, nicht anpassungsfähig und nicht „smart“ genug. Augmented Intelligence könnte Abhilfe schaffen.
Dr. Dirk Stenkamp
Dr. Dirk Stenkamp
Präsident des TÜV-Verbands und CEO TÜV Nord AG
www.vdtuev.de
Foto: CEO TÜV  Nord AG
„Gerade im Mittelstand herrscht noch viel Unkenntnis und Verunsicherung.“
Bekannte Analystenhäuser sehen für die Technologie beste Aussichten. Der globale Markt für Augmented Intelligence erreicht beispielsweise laut einer Gartner-Prognose von 2019 bereits im laufenden Jahr 2021 einen Geschäftswert von 2,9 Billionen Dollar. Hier sind auch Systeme mit dazugerechnet, denen zwar KI zugrunde liegt, die aber selbst keine KI sind, etwa Chat­bots, die zur Entscheidungsfindung beitragen. Zum Vergleich: Der weltweite Markt für kognitive Systeme soll laut IDC 2024 mehr als 110 Milliarden Dollar Umsatz erreichen.
Und dem Beratungshaus Accenture zufolge dürfte die verstärkte Anwendung von KI-Lösungen die Unternehmensgewinne bis 2035 um durchschnittlich 38 Prozent anheben. Umso bedauerlicher ist es, dass sich viele Unternehmen noch nicht an die Technologie herantrauen. Laut der VdTÜV-Studie „Künstliche Intelligenz in Unternehmen“ setzen erst 11 Prozent bereits KI in ihrem Untenehmen ein, weitere 19 Prozent planen oder diskutieren das. Dirk Stenkamp, Präsident des TÜV-Verbands und CEO der TÜV Nord AG, resümiert: „Gerade im Mittelstand herrscht noch viel Unkenntnis und Verunsicherung.“
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