Die Landwirtschaft wird digital

Die gläserne Kuh

von - 16.09.2019
Moocall
Moocall: Der Sensor am Schwanz einer trächtigen Kuh gibt per SMS oder E-Mail Bescheid, wenn die Geburt losgeht.
(Quelle: Moocall)
Schon seit Längerem sammeln Milchviehhalter alle verfügbaren Daten zur Milchleistung, der Abstammung der Tiere und zu ihrem Gesundheitszustand. Neu ist, dass diese Daten mit der Digi­talisierung verstärkt zusammengeführt und ausgewertet werden können.
Außerdem kommen durch moderne Sensoren neue Daten hinzu, die bislang überhaupt nicht erfasst werden konnten. So ist es heute beispielsweise möglich, mit Hilfe eines speziellen Abkalbsensors namens Moocall die Bewegungen des Kuhschwanzes zu messen. Die Kontraktionen vor der Geburt eines Kalbs lösen bestimmte Schwanzbewegungen aus. Etwa eine Stunde vor der voraussichtlichen Kalbung sendet Moocall eine SMS auf das Mobiltelefon des Landwirts. Alternativ kann auch eine E-Mail verschickt oder eine App genutzt werden, in der dann eine Meldung erscheint.
So kann der Bauer anderen Tätigkeiten nachgehen oder auch nachts ruhig schlafen. Wenn eine Geburt bevorsteht, wird er informiert und kann selbst Hilfestellung leisten oder gegebenenfalls den Tierarzt anrufen.
Andere Sensoren erkennen automatisch, ob sich eine Kuh in der Brunst befindet. Wenn es so weit ist, kann sie besamt werden. Ohne eine solche Besamung bekommt die Kuh kein Kalb und liefert keine Milch. Schon lange wird die Befruchtung in der Landwirtschaft nicht mehr von männlichen Tieren übernommen. Stattdessen beziehen die Bauern tiefgekühltes Sperma von Hochleistungsstieren, das dem weiblichen Tier mit einer Pipette zugeführt wird.
Auf dem Markt gibt es Sensoren, die zum Beispiel am Fuß, am Hals, im Ohr oder auch im Pansen des Tieres arbeiten. Die Sensoren messen die Aktivitäten der Kuh, also etwa wie viele Schritte sie macht, wann sie frisst und wann sie wiederkäut, welche Körpertemperatur sie hat und wie hoch der pH-Wert im Pansen ist.
Joachim Rukwied
Joachim Rukwied
Präsident des Deutschen Bauernverbands
www.bauernverband.de
Foto: Gero Breloer / DBV
„Wir Bauern brauchen dringend ein flächendeckendes, hochleistungsfähiges Breitbandnetz.“
Die dabei anfallenden Daten werden in einer Datenbank gesammelt und grafisch aufbereitet. Da­raus lassen sich dann Einschätzungen über den Beginn der Brunst, eine bevorstehende Kalbung und insgesamt über den Gesundheitszustand der vernetzten Kuh ableiten. Ein Tier, das sich zum Beispiel deutlich weniger bewegt als normalerweise und eine erhöhte Temperatur aufweist, hat sich eventuell eine Infektion an einer Klaue zugezogen. Sämtliche Abweichungen vom Normalzustand können als Indikatoren verwendet werden. Mit einer Leitfähigkeitsmessung der erzeugten Milch im Melkstand lassen sich sogar Kühe mit Euterentzündung erkennen.
Aber nicht nur am oder im Tier werden heutzutage Daten erhoben. Nach Aussage von Karen Gralla nutzen bereits mehr als 15 Prozent der Landwirte mindestens eine Stall­kamera, um das Geschehen im Stall etwa mit einem Live-Feed auf ihrem Smartphone beobachten zu können. Gralla ist Global Key Account Manager bei der Kleffmann Group, einem Unternehmen mit Sitz im nordrhein-westfälischen Lüdinghausen, das auf Marktforschung und Consulting-Dienstleistungen im Agrarsektor spezialisiert ist.
Delaval-BCS-Kamera
Schwanzwurzel und Hüfthöcker: Kameras für den Body Condition Score (BCS) erkennen, ob die Kuh in einem guten Zustand ist.
(Quelle: DeLaval)
Betriebe mit mehr als 200 Rindern nutzen laut Gralla sogar schon zu knapp 28 Prozent Kameras in ihrem Stall. Diese werden entweder per WLAN oder integrierter SIM-Karte mit dem Internet verbunden, sodass sie ihre Daten drahtlos übertragen können.
Weitere Maßnahmen, die allerdings noch keine sehr weite Verbreitung gefunden haben, sind vernetzte Waagen zur kontinuierlichen Gewichtsüberwachung. 7,6 Prozent der Betriebe benutzen laut Gralla derzeit eine solche Waage, weitere 2,3 Prozent planen deren Einsatz. Diese Zahlen wurden auf der „Digital Farming Conference“ im Mai dieses Jahres in Berlin vorgestellt und entstammen der aktuellen „Smart Farming“-Studie der Kleffmann Group.
Ebenfalls noch wenig verbreitet sind nach Grallas Angaben Techniken zum automatisierten Erfassen des sogenannten Body Condition Scores (BCS). Nur 0,6 Prozent der Landwirte setzen etwa schon 3D-fähige TOF-Kameras (Time of Flight) für diesen Zweck ein, weitere 1,5 Prozent erwägen immerhin eine Investition in diesem Bereich. BCS ist eine Methode, mit der bestimmte Körperregionen der Tiere zum Beispiel durch Abtasten und Betrachten beurteilt werden. Das Ergebnis wird in einem BC-Score angegeben, der sich zwischen 1 und 5 bewegt. Ein Wert von 1 bedeutet, dass das Tier extrem abgemagert ist und über keine Körperfettreserven verfügt. Am anderen Ende der Skala befinden sich Tiere mit einer Bewertung von 5. Sie bedeutet, dass sie viel zu fett sind. Der BC-Score hat eine direkte Auswirkung auf die Fütterung, die so an den tatsächlichen Bedarf der Tiere angepasst werden kann. Der Body Condition Score ist damit ein wichtiger Wert für ein automatisiertes und effizientes Management des Viehbestands.
Verwandte Themen