KI-Strategie für Deutschland

Im Gespräch mit Dr. Dirk Hecker vom IAIS

von - 05.03.2021
Dr. Dirk Hecker
Dr. Dirk Hecker: Stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS
(Quelle: Fraunhofer IAIS / Philippe Ramakers )
Die Künstliche Intelligenz steht in Deutschland in vielen Branchen noch ganz am Anfang, insbesondere in den Industriebereichen, konstatiert Dirk Hecker. Er sieht aber durchaus Chancen, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern aufholen.
Dirk Hecker ist stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer-Instituts für Intelligente Analyse- und Informationssysteme IAIS. Zudem ist er Geschäftsführer der „Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz“, einem Verbund von über 30 Fraun­hofer-Instituten zur branchenüber­greifenden Forschung und Technologieentwicklung im Bereich Big Data. Heckers aktuelle Arbeitsschwerpunkte liegen bei Big Data Analytics, Predictive Analytics, Deep Learning und Mobility Mining.
com! professional: Herr Hecker, können Sie uns ein Beispiel für eine richtig gelungene KI aus Deutschland nennen?
Dirk Hecker: Tatsächlich habe ich heute einen KI-Service aus Nordrhein-Westfalen genutzt, den ich mit dem Romanklassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“ verbinde. Damals war ich fasziniert von der Figur des Babelfischs, einer kleinen Kreatur, die sich im Ohr befindet und dem Träger eine direkte Übersetzung aller gesprochenen Sprachen ermöglicht. Kommunikationsschranken der Galaxis wurden so auflöst. DeepL aus Köln ist ein KI-basierter Übersetzungsdienst, den ich regelmäßig nutze, um meine ganz persönlichen Sprachbarrieren zu überwinden. Das Start-up schafft es, eine qualitativ sehr hochwertige Übersetzung durch den Einsatz von neuronalen Netzen anzubieten. Formulierungen in der Zielsprache können so treffsicherer übersetzt werden.
Dieses Beispiel sollte uns allen Mut machen, denn es zeigt, dass auch ein zunächst kleines Team mit viel Kreativität und Know-how den großen Internetgiganten erfolgreich Konkurrenz machen kann.
com! professional: Sprachtechnologie ist auch bei Ihnen am Fraunhofer-Institut ein Thema …
Hecker: Am Fraunhofer IAIS arbeiten wir intensiv am Thema Sprachtechnologien. So nutzt zum Beispiel die ARD unsere Sprach­erkennung, damit Journalistinnen und Journalisten audiovisuelle Inhalte wie Zitate und Redebeiträge schneller im hauseigenen Medienarchiv recherchieren können. Im sächsischen Landtag kommt unsere Spracherkennung zum Einsatz, um Live-Übertragungen aus Plenarsitzungen in Echtzeit zu unter­titeln. Sie sehen, dass Thema des Babelfischs lässt mich auch in meinem eigenen Entwicklungskontext nicht los.
com! professional: Dennoch, wenn man an Künstliche Intelligenz denkt, dann fallen einem vor allem die großen US-amerikanischen Firmen ein …
Hecker: In der öffentlichen Wahrnehmung sind amerikanische Unternehmen ziemlich präsent, ja. Leider haben wir vorerst das Rennen um die großen Internetplattformen im B2C-Bereich verloren. Die Technologie steht jedoch noch in vielen Branchen ganz am Anfang, insbesondere in den Industriebereichen, wo Deutschland und Europa seine Stärken hat.
com! professional: Das klingt jetzt nicht ganz so optimistisch. Welche Rolle spielen wir in der KI-Forschung?
Hecker: Wir haben die Chance aufzuholen, bestehende Märkte zu stärken und neue aufzubauen. In Deutschland sind wir auf der Forschungsseite gut aufgestellt, was sich auch durch die Anzahl der wissenschaftlichen Publikationen belegen lässt. Was wir brauchen, ist ein effizienter Transfer der Forschung in die Praxis.
Überall dort, wo sich KI-Ökosysteme aus Industrieunternehmen, Universitäten, Start-ups und Einrichtungen aus der angewandten Forschung gebildet haben, sehen wir Fortschritte in der Umsetzung. So zum Beispiel mit unserer Kompetenzplattform KI.NRW in Nordrhein-Westfalen. Die Zusammenarbeit fördert die Lust an der neuen Technologie und inspiriert die gemeinsame Kreativität.
Oftmals spüren wir jedoch noch eine Zurückhaltung in der deutschen Industrie, da die Künstliche Intelligenz viele etablierte Prozesse durcheinanderbringt. Wir sind es gewohnt, in zahlreichen Branchen inkrementelle Optimierungen durchzuführen, an einigen Stellen müssen wir dies aufgeben, um innovativ zu sein.
com! professional: Bleiben wir kurz bei der deutschen Wirtschaft. Wir sind bekannt für innovativen Maschinenbau - die Anlagen werden auch immer intelligenter. Wie stark ist die deutsche Wirtschaft bei KI? Oder wurden wir hier auch schon längst abgehängt?
Hecker: Wir haben sicherlich in Deutschland einen Maschinenbau, um den wir weltweit beneidet werden. Seit Jahrzehnten stellen ingenieurwissenschaftlich getriebene Hidden Champions präzise Hochleistungssensorik und leistungsstarke Maschinen her. Datengetriebene Dienstleistungen waren für sie jedoch lange Neuland. Vielerorts arbeiten inzwischen Data Scientists und Ingenieure Hand in Hand. Die deutschen Maschinenbauer müssen und können ihren Datenzugang nutzen - für Predictive Maintenance, Lagerorganisation oder Warenbeschaffung. Und ich bin mir sehr sicher, dass sich der Digitalisierungsgrad unserer Unternehmen noch einmal stark nach oben schrauben lässt.
Wir machen das eben „the german way“. Unsere Maschinen stehen für eine besondere Qualität und so bauen wir auch KI-Systeme. Sie sind transparent und vertrauenswürdig, laufen robust, respektieren die Sicherheitsstandards und wahren den Datenschutz. Dies stärkt das Vertrauen in KI-Technologien und stellt ein weiteres deutsches und europäisches Gütesiegel dar. Eine große Chance für die Branche.
com! professional: Müssen wir hierzulande einfach mutiger sein, was den Einsatz von KI angeht?
Hecker: Insgesamt haben mich die vergangenen Monate durch viele Gespräche optimistisch gestimmt. Klar, wir müssen noch besser darin werden, alle Akteure beim Thema Künstliche Intelligenz abzuholen, insbesondere die Gesellschaft sowie die kleinen und mittelständischen Unternehmen.
KI-Start-ups in Deutschland gelingt es immer besser, Wagnis­kapital einzuwerben, leider noch zu wenig aus Deutschland. Die meisten Unternehmer und Unternehmerinnen verstehen aber mittlerweile, dass KI eine Querschnittstechnologie ist, die man nicht einfach ignorieren kann, die nicht mehr weggeht - sie wird bleiben. Nach ersten Erfolgen stehen wir nun bei immer mehr Unternehmen vor den nächsten Meilensteinen. KI-Systeme jedoch systematisch und großflächig einzusetzen und zu skalieren, das wird noch herausfordernd.
com! professional: Wo sehen Sie das Thema Künstliche Intelligenz in Deutschland in den kommenden Jahren?
Hecker: Die Corona-Krise hat uns vor Augen geführt, wie wichtig digitale Infrastrukturen sind, um auch in Situationen wie der jetzigen gesellschaftlich relevante Prozesse am Laufen zu halten. Egal ob in Krankenhäusern, Bildungseinrichtungen, der öffentlichen Verwaltung oder im Mobilitätssektor. Da müssen wir nachbessern und ich sehe viel Potenzial, dass KI-Systeme dazu auch einen Beitrag leisten können.
Zum Beispiel könnte überall dort, wo es um die Verarbeitung von Formularen und Akten geht, die intelligente Dokumentenanalyse zahlreiche Prozesse verschlanken und damit Arbeitskräfte für relevantere Tätigkeiten freisetzen. Die Technik dazu gibt es bereits und tatsächlich sehe ich bei jedem Behördengang neue Potenziale für deren Einsatz.
Ich wünsche mir, dass KI-Systeme aus Deutschland zum gleichen Exportschlager werden, wie die Maschinen unserer Ingenieure und Ingenieurinnen. An einem entsprechenden „Qualitäts­siegel“ arbeiten wir derzeit bei Fraunhofer mit zahlreichen Partnern aus Wirtschaft und Forschung. 
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