KI macht smarte Sprachanwendungen möglich

Im Gespräch mit Kristin Strauch KI-Referentin beim Bitkom

von - 15.05.2019
Zu den Gebieten, auf denen Künstliche Intelligenz in jüngster Zeit die größten Fortschritte gemacht hat, zählt die Sprachverarbeitung. Kristin Strauch, KI-Referentin beim Digitalverband Bitkom, erklärt die wichtigsten Innovationen und welches Potenzial sie den Unternehmen eröffnen.
com! professional: KI-basierte Sprachverarbeitung hat bedeutende Fortschritte gemacht. Woran liegt das?
Kristin Strauch: Dafür sind mehrere Entwicklungen verantwortlich. Erstens kann die Hardware - Prozessoren und Chips - immer mehr Datenmengen immer schneller verarbeiten und damit sprachbasierte KI-Systeme immer besser trainieren. Zweitens sind die Algorithmen und die Software deutlich stärker geworden. KI-Verfahren wie Deep Learning verhelfen auch der Sprachverarbeitung zu besseren Resultaten. Und drittens: Der Riesenfortschritt in der Erkennung von natürlicher Sprache selbst - das sogenannte Natural Language Processing (NLP) - ist der wesentliche Grund dafür, dass Gesprochenes und Geschriebenes als User Interface zwischen Mensch und Maschine genutzt werden kann.
com! professional: Worin sehen Sie die speziellen Herausforderungen bei Sprachsystemen?
Strauch: Sprachsysteme müssen nicht nur erkennen, was der Sprecher sagt oder schreibt. Sie müssen auch den Kontext berücksichtigen, in welchem die Kommunikation erfolgt. Diese Problematik haben Sprachassistenten wie Alexa, IBM Watson oder Google Home schon recht gut gemeistert - ansonsten hätten sie gar nicht den Massenmarkt erreicht.
com! professional: Was sind für Sie aktuell die wichtigsten Innovationen bei sprachverstehenden Systemen?
Strauch: Ich sehe die wichtigsten Innovationen im maschinellen Übersetzen, bei Textgenese-Tools und Sprachassistenten. Ein sehr schönes Beispiel für den erreichten Fortschritt sind Übersetzungsdienste. Syntax und Wortwahl der produzierten Texte wurden in den letzten zwei Jahren immer besser; es ist erstaunlich, was die Maschinen mittlerweile leisten.
Google Translate ist der wohl bekannteste Übersetzungsdienst, aber es gibt inzwischen auch ein deutsches Start-up namens DeepL. Die Gründer haben sehr viel mediale Aufmerksamkeit bekommen, weil deren Übersetzungsalgorithmus teilweise sogar bessere Ergebnisse liefert als der von Google Translate. Und das, obwohl sie vermutlich gar nicht so viele Daten haben wie Google.
com! professional: Was bringen Textgenese-Tools?
Strauch: Solche Systeme werden mit Big Data gefüttert, man kann sie dann befragen und das System generiert eigenständig Antworten auf die Fragen. GPT-2 von OpenAI - einem Nonprofit-Forschungsunternehmen in den USA - kann beispielsweise geschriebenen Text in so hoher Qualität generieren, dass man nicht mehr unterscheiden kann, ob er von einem Menschen oder von einer Maschine geschrieben wurde. Interessant ist, dass OpenAI den Systemcode aus ethischen Bedenken nicht oder nur in einer downgegradeten Version veröffentlicht hat. Die Verantwortlichen haben befürchtet, dass der Code zur Massenproduktion von Fake News führen könnte. Eine Forschergruppe vom MIT hat nun die These aufgestellt, dass ein Textgenese-System wie das von OpenAI auch Fake News automatisiert erkennen könnte.
com! professional: Bei welchen Sprachanwendungen sehen Sie das größte wirtschaftliche Potenzial?
Strauch: Eine eindeutige Hierarchie zu erstellen ist schwierig. Chatbots, Texterkennung und Textgenerierung sind sicherlich je nach Thema alle sehr wichtig. Je nachdem in welchen Bereichen ein Unternehmen unterwegs ist, ist das eine oder das andere relevanter.
com! professional: Gibt es Branchen oder Geschäftszweige, die besonders von der Sprachverarbeitung profitieren?
Strauch: Unternehmen mit einem hohen Kommunikations­volumen haben den meisten Nutzen davon. Hier treten Kunden oft mit Mitarbeitern in Kontakt, weil sie ein bestimmtes Problem haben - beispielsweise möchten sie ihre Adresse ändern. Da sich die Probleme häufig gleichen, können die Antworten standardisiert werden, sodass Sprachsysteme oder Chatbots gut helfen können: Der Kunde nennt sein Problem und die Bots erkennen dann, was das Problem ist. Mit solchen Systemen kann der Kundenkontakt viel leichter und effizienter abgewickelt werden. Zumindest können die Anfragen vorsortiert werden, damit die Kunden schnell zum richtigen Ansprechpartner geleitet werden. Der Einsatz solcher Sprachsysteme ersetzt aber nicht Mitarbeiter, sondern die Sprachsysteme unterstützen den Mitarbeiter bei seiner Entscheidung.
com! professional: Wie beurteilen Sie die Chatbot-Technologie? Es wird gerne kolportiert, dass Menschen etwa bei schriftlichen Anfragen nicht merken, ob ein Bot oder ein Mensch antwortet.
Strauch: Bei standardisierten und einfachen Fragen ist das durchaus möglich. Bei komplexeren Fragen oder auch bei mündlichen Anfragen merkt man aber schnell, dass man es nicht mit einem Menschen zu tun hat.
com! professional: Was unterscheidet Chatbots von digitalen Assistenten?
Strauch: Für uns sind Chatbots eine Unterkategorie von digitalen Assistenten. Ein andere Unterkategorie sind Sprachassistenten wie Alexa, Apple HomePod, Google Home oder Cortana. Zwar können Chatbots theoretisch auch mit gesprochener Sprache umgehen, aber Chatbots, die schriftliche Anfragen bearbeiten, sind viel weiter verbreitet. Chatbots sind daher eher etwas textbezogenes.
com! professional: Welche Unternehmen setzen Chatbots in größerem Stil ein?
Strauch: Das sind vor allem B2C-Unternehmen mit viel Kundenkontakt wie große Telekommunikations-, Versicherungs- oder Stromkonzerne.
com! professional: Und außerhalb dieser Branchen?
Strauch: Beispielsweise in Industrie und Medizin. Wenn in der industriellen Produktion die Facharbeiter die Hände nicht frei haben und Maschinen oder Industrieroboter steuern müssen, haben Spracherkennung und Sprachbedienung viel Potenzial. Im Gesundheitswesen ist die Situation ähnlich. Hier leisten sprachbasierte Operationsassistenten gute Dienste, weil der Operateur die Hände nicht frei hat. Bei solchen Anwendungen haben Sprachsysteme einen hohen Nutzwert.
com! professional: Wie sehen Sie die weitere Entwicklung von sprachverstehenden Systemen?
Strauch: Der Markt wird wachsen. Laut unserer Consumer-Technology-Studie hat bereits jeder achte Bundesbürger digitale Sprachassistenten wie Alexa im Haus. Und die Tendenz ist steigend. Die Nutzung von Sprachassistenten und Chatbots wird auch deshalb zunehmen, weil Natural Language Processing in der Interaktion mit Menschen immer genauer und immer intuitiver wird.
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