IT in der Schweiz: Projekte und Investitionen

Mammutprojekte ERP

von - 25.07.2019
Sotax-Mitarbeiter implementiert ERP
ERP überall: Sotax, ein Spezialist für pharmazeutische Prüfgeräte, implementier zum Beispiel das ERP von IFS.
(Quelle: Sotax / IFS)
Schweizer Unternehmen setzen bereits KI ein, experimentieren mit Blockchain und finden sinnvolle Einsatzszenarien für virtuelle und erweiterte Realität. Die größten Zeit- und Kostenaufwände aber verschlingen klassische IT-Themen. Neben Cybersicherheit sind dies teils hochkomplexe Business-Software-Projekte. Finanz- und Gehaltsbuchhaltung, Lieferanten- und Kunden-Management, Big Data und Analytics, um Business-Opportunitäten zu identifizieren und den Geschäftserfolg zu steuern - das sind die Kernanliegen.
Ein Beispiel dafür ist Komax, das zurzeit auf SAP S/4HANA konsolidiert. Die weltweit tätige Technologiegruppe hat sich auf die Automatisierung der Kabelverarbeitung spezialisiert und ist damit sehr erfolgreich. Mit an Bord kamen in den letzten Jahren eine Reihe von Akquisitionen wie die österreichische Thonauer-Gruppe und die französische Laselec, die nicht nur neue Technik und Expertise, sondern auch jeweils andere Business-Software ins Mutterhaus einbrachten. „Wir haben derzeit SAP, Microsoft, Sage, Infor und einige lokale Lösungen im Einsatz. Insgesamt kommen da mehr als zehn unterschied­liche ERPs zusammen“, sagt Tobias Rölz, Vice President Global IT & Digital Business bei der Komax Gruppe.
Tobias Rölz
Tobias Rölz
VP Global IT & Digital ­Business bei Komax
www.komaxgroup.com
Foto: Komax
„Wenn sich SAP bewährt, werden wir einen ­Großteil der Systeme durch S4/HANA ablösen.“
Rölz will diese ERP-Vielfalt sukzessive harmonisieren. Zum einen entsprechen viele verschiedene ERP-Lösungen nicht mehr den Anforderungen an ein modernes ERP, zum anderen ist die Wartung und Pflege zu zeit-, personal- und kostenintensiv. „Wenn SAP sich bewährt, werden wir einen Großteil der Systeme durch S/4HANA ablösen“, gibt Rölz die Richtung für die nächsten Jahre vor. Ein Riesenprojekt, das über mehrere Jahre läuft: Sind die Migrationsprojekte in Deutschland, den USA, Japan und China erfolgreich, wird danach auch die Niederlassung in der Schweiz auf S/4HANA Cloud migrieren.
Weniger die Digitalisierung des Geschäfts als vielmehr die schlichte Notwendigkeit eines Software-Updates ist bei meh­reren Schweizer Industriekonzernen ein Hauptgrund für IT-Investitionen. Allenthalben laufen ERP-Migrationsprojekte. Der Wechsel auf die S/4HANA-Plattform von SAP muss bis 2025 abgeschlossen sein. Die Industriebetriebe Agathon, Komax, Perlen Packaging, Pi2 Process, Ricola, Rondo und Uster Technologies setzen auf die Technologie des deutschen Weltmarktführers und haben im abgelaufenen Jahr neue ERP-Lösungen eingeführt. Auf IFS Applications gewechselt haben hingegen der St. Galler Kunststoffspezialist Haka­Gerodur und der Basler Prüfgerätehersteller Sotax. Bei der Vat Group in Benken SG wird aktuell vom IT-Dienstleister BE-terna Microsofts Dynamics 365 implementiert
Hauptsitz PostFinance in Bern
Operation am offenen Herzen: Bei PostFinance in Bern läuft seit gut einem Jahr ein neues Kernbankensystem.
(Quelle: PostFinance)
Auch die Schweizerische Post möchte für budgetierte 83 Millionen Franken ihre ERP-Systeme konsolidieren. Die angestrebten Benefits sind die gleichen wie bei Komax, der Grund, jetzt aktiv zu werden und auf S/4HANA zu wechseln, ein anderer: Das alte SAP R/3 der Post wird ab 2025 nicht mehr unterstützt. Die Post schlägt gleich zwei Fliegen mit einer Klappe und konsolidiert mit der Migration auf S/4HANA auch gleich ihre heterogene SAP-ERP-Landschaft. Das riesige Gesamtprojekt ist ein schwieriges Unterfangen. „Bei laufendem Betrieb wird ein komplett neues, hochkomplexes Finanz­system für die ganze Post-Gruppe aufgebaut“, erklärte Post-Finanzchef Alex Glanzmann gegenüber dem Bankenportal „Inside Paradeplatz“. Das Projekt beginnt dieses Jahr und soll laut Plan bis 2021 über die Bühne gehen.

Banken werden digital

Hunderte Millionen hat sich die Raiffeisen ein neues Kernbankensystem kosten lassen. Die Einführung war Ende Januar 2019 abgeschlossen. Damals war zu lesen, dass „Raiffeisen und Avaloq IT-Geschichte schreiben. Erstmals in der Finanzindustrie werden 246 Raiffeisenbanken, 6 Niederlassungen und die Zentralbank auf einer Plattform betrieben“. Das Projekt ging jedoch nicht ohne Verzögerungen und Mehrkosten zu Ende. Von mindestens einem Jahr Verspätung und über 200 Millionen Franken zusätzlichem Budget ist die Rede. Damit nicht genug, wird das System von Kinderkrankheiten heimgesucht. Die Raiff­eisen-Informatik wird wohl nicht ohne weitere Investitionen auskommen.
Von größeren Störungen verschont blieb die neue Kernbanken-Software der PostFinance, die vor gut einem Jahr eingeführt worden ist. PostFinance-CIO Markus Fuhrer sprach im Vorfeld von einer „Operation am offenen Herzen“. Sie ist gelungen. Neu investiert der Finanzdienstleister in bankenferne Bereiche: ein Big-Data-Archiv, einen französischsprachigen Chatbot, ein konzernweites CRM, ein E-Sports-Team, eine Hypothekenvermittlungsplattform und ein biometrisches Login-Verfahren.
Noch keine Lösung bietet PostFinance Kunden, die sich für digitale Wertanlagen inte­ressieren. Andere Schweizer Finanzdienstleister sind diesen Schritt bereits gegangen. Den Anfang machte Swiss­quote, das seinen Kunden seit Ende 2018 die Beteiligung an Initial Coin Offerings (ICOs) ermöglicht. Der Infrastrukturbetreiber SIX baut mit Corda Enterprise eine digitale Börse. Die liechtensteinische Union Bank, die Genfer Dukascopy Bank und das Baarer Start-up Alprockz wollen demnächst eigene Kryptowährungen für Finanz­geschäfte he­rausgeben. Und die Kryptobank Seba will mit dem Kernbankensystem Finstar der Hypothekarbank Lenzburg und mit Unterstützung von Julius Bär eine Brücke schlagen zwischen traditioneller Finanzwelt und digitalen Vermögenswerten.
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