IT-Entscheider spüren die Abhängigkeit

Schwierigkeiten mit Cloud-Lösungen

von - 29.05.2019
com! professional: Gibt es noch weitere Schwierigkeiten mit Cloud-Lösungen?
Ganten: Ein ebenso massives Probleme bei Cloud-Anwendungen ist, dass diese oft nicht nur nicht im Quellcode, sondern nicht einmal als unabhängig vom Cloud-Angebot einsetzbare Lösung vorliegen. Die Abhängigkeit ist damit noch einmal deutlich höher als bei klassischer, pro­prietärer Software, die wenigstens auf unterschiedlichen Servern oder in unterschiedlichen Rechenzentren betrieben werden kann.
com! professional: München und andere Städte wechseln in der öffentlichen Verwaltung zurück zu Microsoft. Was ist Ihr Standpunkt dazu?
Ganten: Der Abbruch einer jahrelangen SAP-Migration bei Lidl zeigt, dass das Scheitern von aufwendigen Projekten keinesfalls von der Lizenzierung einer Software abhängt. Über die Gründe für das Scheitern des Projekts LiMux der Stadtverwaltung München will ich nicht spekulieren.
Über die Jahre hat unsere Erfahrung jedoch gezeigt, dass IT-Projekte in der öffentlichen Verwaltung oft deutlich länger dauern und teurer werden als ursprünglich geplant. Die Gründe reichen von unrealistischen Planungen mit viel zu niedrig angesetzten Gesamtkosten über mangelnde Koordination der Behörden bis hin zu mangelnder Akzeptanz bei den Anwendern.
Mittlerweile gibt es aber einen neuen Trend: Schleswig-Holstein hat im vergangenen Jahr als erstes Bundesland den Umstieg auf Open-Source-Software beschlossen. Einen ähnlichen Beschluss gibt es in Thüringen, und Baden-Württemberg hat seine Vergaberichtlinien so aktualisiert, dass Open-Source-Lösungen zukünftig der Vorzug zu geben ist.
com! professional: Inwieweit untergräbt der Einsatz proprie­tärer Software die digitale Souveränität von staatlichen Institutionen und Unternehmen?
Ganten: Für den Staat, aber auch für viele Unternehmen, ist digitale Souveränität, also die Möglichkeit zu Selbstbestimmung und autonomer Kontrolle, zunehmend wichtig. Staaten, die den Code, mit dem ihre Daten verarbeitet oder transportiert werden, nicht prüfen können, können auch nicht sicher sagen, wer auf diese Daten zugreifen kann. Sie müssen immer damit rechnen, dass schützenswerte Daten in unbefugte Hände geraten. Hinzu kommt, dass derjenige, der den Code kontrolliert, auch in der Lage ist, wesentliche Funktionen abzuschalten. Durch beides werden Staaten und Unternehmen abhängig und erpressbar. Sie sind zudem bei Verwendung proprietärer Software nicht in der Lage, die von ihnen betriebenen Systeme eigenständig mit neuen Schnittstellen zu versehen, was oft die Grundvoraussetzung dafür ist, IT-Infrastrukturen agil und innovativ weiterzuentwickeln.
com! professional: Was tut die Open Source Business Alliance, um die Verbreitung freier Software zu fördern?
Ganten: Mit rund 160 Mitgliedern ist die Open Source Business Alliance der Verband der Open-Source-Industrie in Deutschland. Wir sorgen dafür, dass mit Open-Source-Software arbeitende Anbieter und Anwender von Informationstechnologie noch erfolgreicher sind. Wir unterstützen die Vernetzung, führen gemeinsame Projekte durch und geben dem Thema eine Lobby. Gerade Letzteres ist zwingend
notwendig, um auf politischer Ebene ein Gegengewicht zu den millionenschweren Lobby-Aktivitäten der Cloud-Giganten zu schaffen und damit die Chancen und Potenziale von Open-Source-Software vermitteln und verbessern zu können.
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