Die hohe Kunst des Omnichannels

Im Gespräch mit Lars Hofacker vom EHI Retail Institute

von - 02.08.2019
Lars Hofacker
Lars Hofacker: Leiter des Forschungsbereichs E-Commerce beim EHI Retail Institute
(Quelle: EHI )
Omnichannel bietet Kunden eine nahtlose Einkaufserfahrung, und das über alle Kanäle hinweg. Vor allem für große Online-Händler mit überregionalem Filialnetzwerk ist dieser Ansatz von Vorteil, erläutert Lars Hofacker, Leiter des Forschungsbereichs E-Commerce beim EHI Retail Institute in Köln.
com! professional: Haben Unternehmen in Deutschland den Stellenwert von Omnichannel-Strategien bereits verstanden?
Lars Hofacker: Jährlich ermitteln wir die 1000 umsatzstärksten Online-Shops. Davon verzahnen 312 Händler den Online-Shop mit dem stationären Store und betreiben damit, je nach Qualität, Cross- oder Omnichannel. Von den Top-100-Shops setzt fast jeder zweite auf Cross- oder Omnichannel. Rund 450 Shops verfolgen eine reine Online-Strategie, 237 setzen auf klassisches Multichannel, also mehrere Vertriebskanäle ohne Verzahnungen.
com! professional: Laut Ihrer Studie „Omnichannel-Commerce 2019“ ist Omnichannel vor allem ein Thema für große Unternehmen. Haben Mittelständler keinen Bedarf?
Hofacker: Viele kleinere Online-Shops mit nur einer Handvoll Filialen bieten eine eher rudimentäre Kanalverknüpfung an. Bei wenigen stationären Standorten besteht natürlich die Gefahr, dass online Services angeboten werden, die möglicherweise erst 500 Kilometer weiter in der nächsten Filiale genutzt werden können. Es geht weniger darum, dem Kunden das volle Omni­channel-Service-Set anzubieten, sondern beim Kunden relevante, wertstiftende Services zu platzieren.
com! professional: Wie sieht das bei größeren Anbietern aus?
Hofacker: Omnichannel lässt sich bei größeren Händlern mit einem überregionalen Filialnetzwerk optimal aussteuern. Die durchschnittliche Anzahl der angebotenen Services steigt dabei tendenziell mit der Größe des Filialnetzwerks an. Es sind somit die großen Händler, die über ein dichtes Filialnetz verfügen und gleichzeitig das Kapital zu haben scheinen, um in die Omni­channel-Transformation zu investieren.
com! professional: Ist Omnichannel vorzugsweise für den B2C-Bereich relevant oder auch für Anbieter im B2B-Sektor?
Hofacker: Viele B2B-Unternehmen werden sich mit dem Thema auseinandersetzen müssen. Bisher wurden sie noch verschont, aber Amazon und andere geben in diesem Bereich Gas. Nehmen wir den Schraubenhersteller Würth. Das Unternehmen verfügt über einen sehr professionellen B2B-Shop, bei dem Handwerker ihr Material bestellen und klassische Omnichannel-Services angeboten werden. Der Einkäufer und Handwerker ist auch ein Konsument, der ein gutes Einkaufserlebnis haben möchte. Es gibt zwar viele Parallelen zum B2C-Commerce, aber einiges wird anders funktionieren. Da ist die Frage, wer sichert sich diesen Markt? Die etablierten Player, neue Wettbewerber oder chinesische Händler, die in den Markt drängen?
com! professional: Welche Vorteile bringt Omnichannel denn? Und welche Herausforderungen müssen Unternehmen überwinden, die eine solche Strategie umsetzen wollen?
Hofacker: Omnichannel stellt mit einer nahtlosen Einkaufserfahrung für Kunden über alle Kanäle hinweg eine evolutionäre Weiterentwicklung dar.
Mensch und Maschine stellen Unternehmen vor große He­rausforderungen. Um alle Mitarbeiter für das Thema zu begeistern und mitzunehmen, muss ein intensives Change-Management betrieben werden. Auf technischer Seite ist die Verknüpfung der alten und neuen Systeme die wichtigste Voraussetzung für Omnichannel.
com! professional: Werden bereits Technologien wie Machine Learning und KI eingesetzt?
Hofacker: Anwendungen von Künstlicher Intelligenz gibt es in verschiedensten Bereichen. Für die Kundenerfahrung setzen Händler bereits auf personalisiertes Marketing oder visuelle Produktsuche. Weitere Anwendungen finden sich beispielsweise bei der dynamischen Preisoptimierung, beim Bestandsmanagement und der Inventur.
Bei einer EHI-Befragung von IT-Entscheidern im Handel wurde Künstliche Intelligenz mit großem Abstand als wichtigster technologischer Zukunftstrend eingestuft. Hier wurde aber auch deutlich, wie unterschiedlich der Begriff KI gefasst ist. Für viele Händler ist schon vorausschauende Datenanalyse Künstliche Intelligenz. Auf die Frage nach dem aktuellen Einsatz von KI antworteten 32 Prozent, dass KI in ihrem Unternehmen bereits heute eingesetzt wird, weitere 36 Prozent haben konkrete Anwendungspläne für die nächsten Jahre.
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