Die hohe Kunst des Omnichannels

Digital und analog verknüpfen

von - 02.08.2019
Omnichannel-Nutzer
(Quelle: Bitkom Research )
Aber was heißt konsistentes Kundenerlebnis in der Praxis? Nutzer erwarten heute, dass Unternehmen Inhalte, Angebote und Interaktionen auf einheitliche Weise bereitstellen. Ein Beispiel: Ein Interessent findet auf der Webseite eines Anbieters ein bestimmtes Produkt, etwa eine stylishe Lampe fürs Wohnzimmer. Ein Kauf im Webshop des Unternehmens scheidet aus, weil er sich zuvor selbst ein Bild vom Beleuchtungssystem machen möchte. Über eine App auf seinem Smartphone findet er heraus, wo das nächstgelegene Ladengeschäft des Anbieters zu finden ist. Eventuell ermöglicht es die App sogar, mit einem Berater in der Filiale einen Beratungstermin zu vereinbaren. Zudem erhält der Interessent Hinweise, welche Lampenmodelle für ihn noch in Betracht kommen könnten.
Nach der Beratung im Geschäft möchte der Kunde die Lampe erwerben. Ist das Modell vorrätig, greift er zu und bezahlt bargeldlos per Smartphone. Ist die gewünschte Version nur im Online-Shop oder in einer anderen Filiale vorhanden, ordert der Kundenberater sie online und lässt sie zum Kunden liefern. Oder der Kunde bestellt die Lampe selbst online mit seinem Tablet oder Smartphone und holt sie später im Laden ab.
Für den Händler bedeutet dies, dass er analoge, physische und digitale Services und Prozesse so gestalten muss, dass für den Kunden keine Brüche erkennbar sind. Ein einheitliches Look-and-feel von Online-Auftritten, Webshops und Einkaufserlebnissen in einem stationären Geschäft reichen dafür allein nicht aus. Vielmehr müssen Prozesse im Hintergrund angepasst werden.
So gilt es zum Beispiel, eine Vielzahl von Varianten des Bestellens, Abholens und Bezahlens von Waren zu berücksichtigen, etwa Click and Collect mit Online-Bezahlung oder mit dem Entrichten des Kaufpreises im Ladengeschäft. Zudem ist aus Sicht des Händlers zu berücksichtigen, wo die Ware gelagert wird (im Laden, in einem Zentrallager, beim Hersteller) und wie sie zum Kunden kommt (per Versand, direkt im Laden). Das heißt, Omnichannel erfordert einen beträchtlichen Aufwand und gut aufeinander abgestimmte Abläufe innerhalb eines Unternehmens und im Zusammenspiel mit Lieferanten, Herstellern, Franchise-Partnern und Filialen.

Große Firmen forcieren

Diese Komplexität ist ein Grund dafür, dass derzeit in Deutschland vor allem größere Firmen mit Online-Shops und einem großen Netz an stationären Filialen auf Omnichannel setzen. Das hat das Marktforschungshaus EHI Retail Institute in Köln im Rahmen der Studie „Omnichannel Commerce 2019“ ermittelt (siehe nebenstehendes Interview).
Daher ist es nicht verwunderlich, dass vor allem Konzerne wie Tchibo, die Heimwerkermärkte Bauhaus und Obi oder der Buchhändler Thalia zu den Firmen zählen, die den Omnichannel-Ansatz am besten umgesetzt haben. Alle verfügen sie über eine starke Online-Präsenz und über mehrere Hundert Filialen. Dennoch: Laut Lewe Zipfel sind auch kleine Familienbetriebe und Mittelständler dabei, eine Omnichannel-Strategie zu entwickeln - vom Handwerker-Portal bis zum Online-Shop.

Umdenken hat begonnen

Ein Umdenken in Richtung Omnichannel beobachtet auch Susanne Zander, geschäftsführende Partnerin beim Digitalisierungsspezialisten Syskoplan Reply: „Meine Erfahrung ist, dass für Kunden mit einer klar definierten Digitalisierungsstrategie das Thema Omnichannel einen hohen Stellenwert besitzt und Bestandteil ihrer Strategie ist. Kein Kunde, der heute in eine Digitalisierungsoffensive investiert, verzichtet auf eine Omnichannel-Plattform. Er will Omnichannel-fähig werden, um seinen Nutzern über die gesamte Customer Journey hinweg ein positives Kundenerlebnis zu bieten.“ Das betreffe alle Unternehmensbereiche und gehe über Marketing hinaus.
Jan Saan
Jan Saan
CTO bei CM.com
www.cm.com
Foto: CM.com
„Unternehmen werden bald in der Lage sein, über Messaging-Lösungen (…) Kunden auf der ganzen Welt anzusprechen und ein maßgeschneidertes Kauferlebnis zu bieten.“
Eine ähnliche Tendenz hat Alexander Henss ausgemacht, Senior Principal Consultant und Retail-Experte bei Namics: „Immer öfter stehen in der Markt- und Marketing-Bearbeitung die Kunden im Zentrum - und nicht das Produkt. Jedoch gibt es unterschiedliche Reifegrade: Der Retail-Sektor und die Anbieter von emotionalen Produkten sind hier weiter als das B2B-Gewerbe.“
Als größte Herausforderung sieht Henss neben dem Erarbeiten und Umsetzen einer Omnichannel-Strategie die Technologie. „Mehrere Kanäle miteinander zu vernetzen, verlangt nach einer fundierten Analyse der Technologielandschaft und der Erarbeitung einer Roadmap, auf die sich alle Beteiligten einigen müssen, etwa IT, Marketing und Kundenservice.“
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