Wir führen Firmen zu mehr Diversität
Problematische Stellenausschreibungen
von George Sarpong - 22.10.2019
com! professional: Wie erklären Sie sich problematische Stellenausschreibungen?
Vuillerat: In vielen Fällen fehlt es HR-Verantwortlichen schlicht an Zeit und an einer vom Unternehmen vorgegebenen Vision. Sie haben keine Zeit, sich mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zu beschäftigen. HR-Leute - so zeigt es unsere Erfahrung - werden oft nur als Kostenstelle gesehen. Obwohl wir wissen, dass es eine Kunst ist, die richtigen Menschen für ein Unternehmen zu finden. Wenn man hier etwas unternehmen will, muss man die Rekrutierungs- und Betreuungsprozesse im HR gemeinsam mit der Geschäftsleitung und den HR-Verantwortlichen auf den Prüfstand stellen.
com! professional: Was fehlt in den Recruiting-Prozessen?
Fischer: Die heutigen Rekrutierungsprozesse enthalten in den meisten Unternehmen ein Bias - unbewusste Denkmuster, die sich auf die Schritte im Prozess auswirken und dadurch Frauen - vor allem jene im Tech-Bereich - benachteiligen. Dabei ist es egal, ob es Männer oder Frauen sind, die die Kandidatinnen beurteilen - wir alle unterliegen diesem Bias. Diese unbewusste Voreingenommenheit ist durch unsere Sozialisierung gegeben, die besagt: Männer machen Karriere, Frauen bleiben zu Hause. Dabei ist es sehr wichtig zu verstehen: Auch wenn wir dies bewusst nicht wollen und auch sogar gegensteuern möchten, ist es doch so, dass unser Verhalten unbewusst so gesteuert wird. Dementsprechend werden Männer eher eingestellt und eher befördert als Frauen. Wir können diese unbewussten Denkmuster nicht auf persönlicher Ebene bekämpfen. Bewusstsein hilft, aber vor allem können wir Rekrutierungsprozesse so gestalten, dass die unbewussten Bias nicht oder nur begrenzt spielen können.
com! professional: Wir sprechen also von einem tief greifenden strukturellen Problem?
Fischer: Ja, es ist ein systemisches Problem. Darum ist ein Teil davon, den Firmen klarzumachen, dass es nicht an den Frauen oder an einzelnen Personen im Unternehmen liegt. Eine Firmenkultur wird ja nicht von einer Person allein bestimmt.
Vuillerat: Unternehmensvertreter, mit denen wir uns unterhalten, betonen meist, dass sie sich mehr Frauen im Team wünschen, aber nicht bekommen. Dann lesen wir die Job-Inserate, die männliche Schreibweisen enthalten, auf der Website sehen wir das Klischeebild eines Nerds. Auf dem Instagram-Kanal sieht man Bilder von Männern an Hackathons. Auf einen Job in einer Firma, die sich derartig präsentiert, würde ich mich auch nicht bewerben. Hier wird eine andere Welt gezeigt. Irgendwie erinnert mich die Debatte an die Diskussion um die Digitalisierung.
com! professional: Inwiefern?
Vuillerat: Noch vor gut zehn Jahren sprach kaum jemand über Digitalisierung. Sie galt als Marketing-Topic. Doch auch damals war klar, dass wenn das Thema nicht als Top-Priorität auf der Agenda der Geschäftsleitung steht, auch keine Geschäftsprozesse digitalisiert werden. Ähnliches erleben wir heute wieder. Es braucht viel Aufklärung. Die Entscheider wissen praktisch nichts darüber, welche Chancen Unternehmen vergeben, wenn sie sich für Homogenität entscheiden in der Rekrutierung. Unternehmen, die über alle Führungsebenen divers sind, machen bis zu 25 Prozent mehr Umsatz mit Innovationen. Führungskräfte wissen, dass wir zu wenig Frauen in der Wirtschaft haben, meinen aber, es liege an den Frauen und weil die einfach nicht wollen. Das ist grundfalsch! Richtig ist, dass Frauen die (Berufs-)Welt anders erleben als Männer. Ich glaube, dass es schwierig ist, diese eingefahrenen Strukturen einer männlich geprägten Wirtschaft aufzubrechen, da diese historisch so gewachsen ist. Aber der Wandel zu einer Wirtschaft, die für beide Geschlechter und Minoritäten attraktiv ist, ist ein wichtiges gesellschaftliches und wirtschaftliches Thema. Denn Firmen, die einen hohen Grad an Diversität aufweisen, haben einen höheren wirtschaftlichen Erfolg, wie kürzlich wieder eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group bewies. Mittelfristig geht es nicht nur darum, mehr Frauen in die Wirtschaft zu bringen, sondern das gesellschaftliche Bild insgesamt zu verändern.