Von Reisebüros bis Kaffeemaschinen

Die Digitalisierung ist nicht aufzuhalten

von - 12.01.2016
Digitalisierung
Foto: Wichy / Shutterstock.com
com! professional diskutiert im Interview mit André Schieck, Chief Digital Officer und Deputy CEO der GREY Gruppe, die digitale Transforma­tion und ihre Auswirkungen.
André Schieck treibt die digitale Transforma­tion der GREY Gruppe voran, einem internationalen Verbund von Kommunikationsagenturen. Im com!-professional-Interview spricht er über die Zukunft von Buchläden, Kaffeemaschinen und Zielgruppenadressierung.
André Schieck
André Schieck, CEO, GREY Düsseldorf: „Wir glauben, dass man als Unternehmen in Zukunft nicht mehr alles selber machen kann.”
(Quelle: Knut Zielinski )
com! professional: Sie sind Deputy CEO und zugleich CDO. Wie passt das zusammen?
André Schieck: Ich bin sowohl Chief Digital Officer der GREY Gruppe und parallel als Deputy CEO verantwortlich für die Beratung unserer Hauptgesellschaft GREY Düsseldorf, die unter dem Dach der Gruppe angesiedelt ist. Von meiner Ausbildung her bin ich diplomierter Kaufmann, habe aber zusätzlich eine hohe technische Affinität. Nach meinem Studium habe ich ein Jahr lang im IT-Consulting gearbeitet, bevor es mich zu GREY geführt hat. Für GREY kümmere ich mich seit fünf Jahren, neben meiner Tätigkeit als einer der Geschäftsführer der GREY Düsseldorf, unserer Marketing-Organisation, um die Strategie und Ausgestaltung der digitalen Transformation.
com! professional: Die IT ist ja von Anbeginn „digital“. Was bedeutet nun „digitale Transformation“ in Ihren Augen?
Schieck: Das Digitale ist für uns der Strom, der durch alles fließt. Es ist kein separierter Kanal. Meine Aufgabe ist es, die digitale Transformation der GREY Gruppe voranzutreiben – das schließt neben der Weiterentwicklung der IT die Änderung und Anpassung der Geschäftsprozesse ein. Um dies effektiv ausführen zu können, wurde die Position eines CDO für die gesamte Organisation geschaffen.
Es gehört zu meinen Aufgaben, die Teilfirmen zu beraten und ihnen beizubringen, worauf sie bei der Digitalisierung achten müssen. Das ist notwendig, weil unser ganzes Leben immer digitaler wird. Diese Prozesse darf man nicht nur auf die Kommunikation beziehen, sondern man muss ganzheit­licher denken.
com! professional: Ohne IT ist fast kein Unternehmen mehr denkbar.
Schieck: Richtig.
com! professional: Was muss noch hinzukommen? Was fehlt?
Schieck: In ihrem klassischen Sinn ist die IT auf das Rechenzentrum bezogen. Wir stehen aber inmitten einer neuen industriellen Revolution: Das Internet stellt unser ganzes Leben auf den Kopf, wie zuvor die Erfindung des Buchdrucks. So wie damals verändert sich unsere Welt komplett: Ein klassischer Buchladen, wie es ihn noch vor zwanzig Jahren gab, der sich nicht wandelt, wird keine Zukunft haben. Der Grund für diese Entwicklung liegt darin, dass es Amazon geschafft hat, durch eine digitale Prozessveränderung die bisherigen eingefahrenen Methoden und Verhaltensweisen einer gesamten Branche infrage zu stellen.
Amazon: Den Erfolg des Online-Händlers führt Schieck auf den Algorithmus „Kunden, die dieses Buch gekauft haben, kauften auch“ zurück.
Amazon: Den Erfolg des Online-Händlers führt Schieck auf den Algorithmus „Kunden, die dieses Buch gekauft haben, kauften auch“ zurück.
com! professional: Wie hat Amazon das Ihrer Meinung nach hingekriegt?
Schieck: Letztlich durch eine ganz einfache Mechanik. Auf der Webseite des Online-Händlers kann man zwischen Millionen von Büchern herumsuchen oder mit dem cleveren Algorithmus „Kunden, die dieses Buch gekauft haben, kauften auch“ neue Buchvorschläge erhalten. Und damit kann man sich, auf seinem Sofa sitzend, den Ladenbesuch und womöglich inkompetente Beratung ersparen. Man bekommt Zugang zur weltweiten Angebotspalette – auch kleinere Verlage erhalten eine Chance.
com! professional: Buchketten wie Hugendubel, Thalia oder Barnes & Noble haben es teilweise durch eine Umstrukturierung und den Ausbau des Erlebniseffekts geschafft, Amazon Paroli zu bieten. Das widerspricht doch Ihrer These.
Schieck: Ganz im Gegenteil. Diese Buchketten haben ja nur auf die neue Situation reagiert und sind dem Beispiel Amazons gefolgt, was positiv ist. Barnes & Noble hat mit Nook beispielsweise auch einen eigenen E-Reader. Aber Amazon hat es als Erster geschafft, eine neue Form der Beziehung zwischen Interessenten, Lesern, Autoren und Verlagen herzustellen.
Das hat es so vorher nicht gegeben und ist ein gutes Beispiel für die möglichen Effekte der Digitalisierung traditioneller Wirtschaftszweige. Solche evolutionären Veränderungen sind nicht direkt auf der IT-Ebene auszumachen, sondern haben mit gedanklichen Impulsen zu tun, die durch IT nur möglich gemacht werden, aber nicht zwingend aus ihr folgen. Die Aufgabe eines Chief Digital Officers ist es, solche neuen Dimensionen zu erschließen und in den Unternehmen zu verankern, solange diese Funktion nicht vom CEO gefüllt werden kann
com! professional: In allen Unternehmen?
Schieck: Nein, das sollte man nicht erwarten. Es muss passen, sonst hat es wenig Sinn. Es geht um strategische, zukunftsorientierte Veränderungen von Geschäftsmodellen. Andere Beispiele für neue Wege sind die Musikindustrie, die Reisebranche, etwa Booking.com oder Trivago, Retail-Unternehmen oder die Automobilindustrie. Wir müssen weitere Unternehmen aus den jeweiligen Branchen erst einmal darauf aufmerksam machen, was es bei den Geschäftsmodellen für neue Möglichkeiten geben könnte. Die verantwortlichen Manager müssen dann selbst entscheiden, ob sie solche neuen Wege gehen wollen.
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