Automatisierung und KI im Handel mit Finanzdaten

Vollumfängliche Speicherung der Daten

von - 21.03.2019
com! professional: Können Sie uns eine Idee von der IT-Infrastruktur hinter einer Lösung wie SIX Flex geben?
Jeanbart: Wenn wir allein die 27 Millionen Datenpunkte multiplizieren mit den 3.000 Attributen, dann sind wir bei 81 Milliarden Byte. Diese Menge generieren wir täglich. Sie wird verarbeitet, zum Teil für weitergehende Kalkulationen verwendet und täglich an Kunden übertragen.
com! professional: Müssen Sie die Daten speichern?
Jeanbart: Ja, wir speichern sämtliche Daten vollumfänglich. Nur so können wir eine lückenlose Historie generieren mit allen finanzrelevanten Ereignissen.
com! professional: Wie lang ist die Historie bereits? Reicht sie vielleicht sogar bis zur Ticker AG zurück?
Jeanbart: Offen gesagt weiß ich das nicht so genau. Wir haben einige Migrationen unserer IT-Systeme hinter uns, sodass möglicherweise nicht mehr alle Datensätze verfügbar sind. Aber trotzdem ist der Datenbestand sehr groß. Spannend ist, wie die Daten entstehen: Ich habe die 80 Prozent automatische und 20 Prozent manuelle Erfassung erwähnt. Um den Anteil der manuellen Arbeiten zu verringern, setzen wir seit zwei Jahren in einem Schweizer Pilotprojekt auf Machine Learning und Künstliche Intelligenz. Die Computerintelligenz erreicht heute einen Automatisierungsgrad von 75 Prozent bei den manuellen Tätig­keiten. Denn der Rechner kann selbstverständlich beispielsweise Jahresbilanzen, Webseiten oder Zeitungen genauso zuverlässig studieren wie ein Mensch.
com! professional: Welches wäre nach Ihrer Meinung ein ideales Einsatzgebiet für Künstliche Intelligenz?
Jeanbart: Eine exzellente Anwendung für Künstliche Intelligenz wären Schutzmaßnahmen im Wertpapierhandel. Wenn eine Aktie typischerweise für 15 Franken gehandelt wird, können Anleger definieren, dass der Wert zum Beispiel nicht unter 11 Franken fallen und über 18 Franken steigen darf. Alle anderen Veränderungen in diesem Bereich sind akzeptabel.
Als im Januar 2015 die Schweizerische Nationalbank SNB den Mindestkurs von Franken und Euro aufhob, stoppten alle Datenvendoren - sowohl Bloomberg und Thomson Reuters als auch wir - die Informationsübermittlung. Denn die Märkte spielten plötzlich verrückt. Dabei gab es überhaupt keine wirtschaftliche Grundlage für die Kursausschläge, sondern lediglich eine Ankündigung der SNB. Als die Ausschläge nach dem SNB-Entscheid während einer definierten Anzahl Sekunden und mit einer bestimmten Toleranz zu groß wurden, griffen die Schutzmaßnahmen. Der Handel betroffener Wertpapiere wurde automatisch gestoppt und die Experten gewarnt. Sie unterbrachen das Trading manuell und verschafften sich anschließend einen Überblick über die Situation.
Heute könnten Maschinen mit moderner Technologie und Künstlicher Intelligenz innerhalb von Millisekunden Millionen von Finanzdaten gleichzeitig verarbeiten. Anhand dieser Informationen wäre der Computer in der Lage zu erkennen, dass es sich um eine „normale“ Marktentwicklung handelt, bei der ein Handel weiterhin möglich ist.
com! professional: Wäre SIX heute besser vorbereitet?
Jeanbart: Ja. Ausgeklügeltere Eskalationsprozesse würden in einem vergleichbaren Fall viel schneller warnen. Zudem sind die Systeme heute noch besser örtlich verteilt, sodass von Anfang an mehr Informationen zur Verfügung stehen würden. Aber der letzte Entscheid, ob der Handel tatsächlich gestoppt wird oder nicht, liegt beim Menschen, damals wie heute. Dieser Entscheid bleibt der schwierigste - aber auch der wichtigste.
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