30 Jahre Schweizer Start-up-Szene

M&S: Sozialversicherung

von - 21.01.2021
Jürgen athys (l.) und Hans-Jörg Scheitlin von M&S
Gründer: Jürg Mathys (l.) und Hans-Jörg Scheitlin 1991 vor dem Firmensitz von M&S in Bern Bümpliz.
(Quelle: Mathys & Scheitlin)
Jürg Mathys und Hans-Jörg Scheitlin lernten sich während des Betriebswirtschaftsstudiums an der Universität Bern kennen. Beide arbeiteten bei IBM als Werkstudenten und anschließend bei der Gruppe für Angewandte Informatik (GfAI). Dort hatten sie Ende der 1980er-Jahre alle Hände voll zu tun. Die circa 100 Angestellten hatten die Auftragsbücher voll: Kunden wollten neue Datenbanken, Netzwerke und Software. Allerdings hatte das rasche Wachstum auch Schattenseiten, erinnert sich Scheitlin, sodass Mathys und er schließlich kündigten und zum 1. Januar 1990 im Berner Vorort Bümpliz das Start-up Mathys & Scheitlin (M&S) gründeten.
Beide Gründer waren schon einige Jahre in der Schweizer IT-Szene tätig und besaßen ein gutes Netzwerk. So startete die neue Firma mit fast vollen Auftragsbüchern. Zunächst machten sie dort weiter, wo sie bei GfAI auf­gehört hatten: Sie entwarfen Anwendungsarchitekturen mit CASE (Computer-Aided Software Engineering) und Datenmodelle vor allem mit Oracle. Einer der Aufträge sollte richtungsweisend für das Start-up sein: die Projektleitung für das „Ausgleichskassen-Informationssystems“ (AKIS) für den damaligen Verein „Interessengemeinschaft Ausgleichskassen“ (IGAK).
Das Vorhaben - wie viele in diesen Jahren - wurde in Zeiten des Umbruchs lanciert. Die Ära des Host-Computings sowie der „Vierte-Generation-Sprachen“ neigte sich dem Ende zu. Es kamen nun Client-Server-Architekturen, Unix und Windows sowie objektorientierte Programmiersprachen auf. Als Microsoft im Juli 1993 das 32-Bit-Betriebssystem Windows NT einführte, stiegen Mathys und Scheitlin ein. Sie setzten auf die Technologie aus Redmond mit Windows, SQL Server und der Programmiersprache C++. Auf dieser Grundlage wurde mit dem neu gegründeten IGAK-Dienstleistungszentrum eine erste Erwerbsersatz-Anwendung realisiert. Im März 1996 gingen die ersten Module des AKIS bei der Sozialversicherungs­anstalt Baselland live, die übrigen rund 30 Ausgleichskassen der IGAKIS folgten. Zwischen 1998 und 2000 wurden weitere Module realisiert und implementiert - weiter in C++, obwohl alle Welt von Java, Linux und Open Source sprach.
Als Microsoft kurz nach dem Jahrtausendwechsel .NET und C# lancierte, stieg M&S ein. Als eine der ersten Firmen baute M&S ihre Software durchgängig browser- und prozess­orientiert. Parallel fusionierte am 1. Mai 2000 die siebenköpfige M&S mit dem doppelt so großen IGAK-Dienstleistungszentrum. Ziel war, „führender Hersteller von Sozialversiche­rungs­lösungen in der Schweiz“ zu werden. Diese Vorgabe sollte M&S im neuen Jahrtausend erreichen. Die Meilensteine: Ab 2004 wurde für die Proparis-Stiftung eine Pensionskassen­lösung realisiert. 2007 gewann M&S die Eidgenössische Ausgleichkasse als AKIS-Neukunden. In der Folge entschieden sich auch die großen kantonalen Kassen von Aargau und Luzern für die Lösung. Mit Übernahme des Basler Software-Herstellers Güntert 2013 kamen 60 weitere Pensionskassen, die Lösung antecura, sechs Mitarbeiter, Büros in Basel und Lausanne sowie eine Niederlassung in Chennai (Indien) hinzu. Die Ressourcen nutzte M&S unter anderem für die Migration von antecura nach M&S Pension und den Aufbau der M&S Cloud ab 2015. Nun standen interne Veränderungen an: 2016 übergaben die Gründer ihre Firma im Rahmen eines Management-Buy-outs an fünf langjährige Angestellte. Drei Jahre später wurden weitere zehn Mitarbeiter zu Partnern befördert.
Die Gründer sind aber noch nicht raus aus dem Geschäft: Mathys ist weiter in der Beratung und Kundenbetreuung im Bereich Pensionskassen engagiert, Scheitlin verantwortet das Business Development sowie die Themen Innovationen und Marketing. Über den endgültigen Ausstieg spricht (bisher noch) keiner von beiden.
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