Zeitenwende für Rechenzentren

Im Gespräch mit Holger Nicolay von Interxion

von - 10.06.2020
Holger Nicolay
Holger Nicolay: Business Development Manager bei Interxion
(Quelle: Interxion )
Der Diplom-Informatiker Holger Nicolay ist Business Development Manager beim Rechenzentrumsbetreiber Interxion. Sein Fokus liegt auf den Bereichen digitale Transformation sowie Connectivity- und Infrastruktur-Konzepte.
Im Interview erklärt er, wie sich die Rechenzentrumslandschaft momentan verändert und was Unternehmen bei der Auswahl eines Data-Center-Anbieters beachten sollten.
com! professional: Herr Nicolay, immer mehr Unternehmen setzen auf die Cloud. Was bedeutet das für die Betreiber von Rechenzentren?
Holger Nicolay: Tatsächlich nutzen immer mehr Unternehmen große Public-Cloud-Provider wie Amazon Web Services. Das hat den Markt verändert, und Hosting-Provider müssen jetzt neben Rechenzentrums-Infrastruktur und Anbindung an das Internet auch direkte Vernetzungen zu den Public-Cloud-Anbietern offerieren.
Die Integration der Public-Cloud-Services in ihre Angebote eröffnet aber auch viele neue Geschäftschancen für Hosting-Unternehmen. Zum Beispiel bieten zahlreiche Anbieter eine Anpassung von Standardservices der Hyperscaler. Andere setzen auf deren Infrastruktur eigene Plattform- oder Software-Services auf, statt selbst den gesamten Infrastruktur-Stack zu betreiben. Anbieter, die ihre Angebote konsequent am Bedarf des Marktes ausrichten, werden von dieser Entwicklung sicher profitieren.
com! professional: Und wie verändert sich der Data-Center-Markt speziell in Deutschland?
Nicolay: Der Bedarf an Rechenzentren sowie an Highspeed-Netzen und -Leitungen für den Austausch von Daten wächst rasant. Auch aufgrund der aktuellen Steigerung an Homeoffice-Mitarbeitenden hat der Datendurchsatz am Internetknoten DE-CIX in Frankfurt erstmals einen Spitzenwert von 9 Terabit pro Sekunde erreicht. Prognosen schätzen die jährliche Datenmenge im Jahr 2025 auf 175 Zettabyte weltweit - das ist eine Zahl mit 21 Nullen.
Dabei beobachten wir ein starkes Wachstum in allen Feldern, also Cloud-, Hosting-, Rechenzentrums- und Netzwerk-Dienstleistungen sowie -Equipment. Zudem verschwinden die Grenzen zwischen klassischem Hosting und (Private-)Cloud-Angeboten. Denn viele Anbieter - ob Systemhaus, System-Integrator, Hosting-Anbieter oder Cloud-Provider - positionieren sich mit hybriden Formen am Markt.
com! professional: Wie beeinflusst der aktuelle Cloud-Trend das Co-Location-Geschäft? Je mehr Daten in die Cloud wandern, desto weniger benötigt man eigene Server?
Nicolay: Ganz so einfach ist das nicht. Natürlich können Unternehmen nach einer Cloud-Migration eigene Server abbauen. Klar ist aber auch, dass nach wie vor viele Prozesse On-Premise laufen - im eigenen Rechenzentrum oder bei einem Co-Location-Anbieter. Marktführende Co-Location-Provider profitieren von der steigenden Cloud-Nachfrage. Denn die Public-Cloud-Provider selbst bauen ja nicht nur eigene Rechenzentren, sondern mieten sich auch in großem Stil in die Data-Center der Top-Co-Location-Anbieter in Frankfurt, Amsterdam und Paris ein. Sie „veredeln“ gewissermaßen deren Basisinfrastruktur wie Stromversorgung, Kühlung und Netzwerkanbindungen mit ihren Cloud-Services. Einige Unternehmen haben den Vorteil einer direkten Cloud-Anbindung bereits erkannt. Sie nutzen Public-Cloud-Services und mieten in unmittelbarer Nähe - idealerweise auf demselben Data-Center-Campus - Co-Location-Services. So optimieren sie ihre Netzwerkkosten, Latenz und Datensicherheit.
com! professional: Ist das Geschäft aufgrund der Hyperscaler Amazon, Microsoft oder Google härter geworden?
Nicolay: Der Nachfrage-Boom durch Amazon, Microsoft oder Google, aber auch globale Social-Media- und Streaming-Anbieter, hat sicherlich dafür gesorgt, dass sich die Rechenzentrumsbranche konsolidiert hat und globaler aufgestellt ist. Für klei­-ne Co-Location-Provider besteht die Chance darin, ihr Profil mit regionalem Touch und zusätzlichen Managed Services zu schärfen.
com! professional: Was sind eigentlich Ihrer Erfahrung nach die üblichen Aufgaben und Workloads, die mittelständische Unternehmen an ein externes Rechenzentrum auslagern?
Nicolay: Applikationen mit hohem Standardisierungsgrad - wie HR-Anwendungen, Marketing-Automation-Tools und Backup - wandern häufig in die Public Cloud. Im eigenen Rechenzentrum verbleiben eher diejenigen Applikationen, auf die die Anwender direkten und häufigen Zugriff benötigen wie ERP und CRM, obwohl es hier schon beachtliche Cloud-Angebote gibt.
Der Co-Location-Bedarf ist in vielen Bereichen vertreten - Spitzenwerte erreichen das für den globalen Zugriff betriebene Customer-Relationship-Management, Storage- und Backup-Systeme sowie Datenbanken. Also alles, was für Kunden ausgesprochen geschäftskritisch ist oder sie aus Gründen der Alleinstellung selbst und individualisiert in einer hoch­sicheren Rechenzentrumsumgebung betreiben wollen.
com! professional: Eigenes Rechenzentrum, Co-Location, Managed Services - welche Betriebsform eignet sich für welches Unternehmen?
Nicolay: Eine pauschale Antwort, die unternehmensübergreifend oder gar für ganze Branchen gilt, gibt es hier nicht. Allgemein lässt sich aber sagen: Großen Konzernen mit umfangreicher IT-Mannschaft fällt es leichter, eigene Rechenzentren zu betreiben. Der klassische Mittelständler hingegen will sich häufig auf sein Kerngeschäft fokussieren - gerade aufgrund des sich verschärfenden Fachkräftemangels - und bevorzugt deshalb häufig die Rechenzentrums-Infrastruktur von Co-Location-Providern. Mittelständler, die weite Teile der IT ganz auslagern, bedienen sich eines Managed-Services-Providers, der neben der Infrastruktur gleich die gesamte Applikation betreibt. Aber: Je individueller der eigene Bedarf ist, desto schwieriger wird es, ein geeignetes und für den selbst gesteckten Kostenrahmen attraktives Angebot zu finden.
Hinzu kommt, dass IT immer mehr vom Unterstützer des Geschäfts zum Geschäft selbst wird. Wer will sich dann schon gern bei seinem Differenzierungsmerkmal standardisieren lassen oder in die Hände eines Dritten begeben? Dieses Klientel ist bei Co-Location gut aufgehoben, denn hier wird Basisinfrastruktur hochverfügbar zugekauft, die eigene Wertschöpfung auf Applikationsebene aber in der eigenen Hand belassen.
com! professional: Welchen Rat geben Sie Entscheidern in Unternehmen, wenn es um die Wahl eines geeigneten externen Rechenzentrums geht?
Nicolay: Neben den Themen Standort und Qualität spielt die Netzwerkanbindung eine immer bedeutendere Rolle. Kaum ein Kunde sucht mehr ein Rechenzentrum ausschließlich für ruhende Daten. Die Verbindung mit Partnern des eigenen Ökosystems, die globale Netzwerkanbindung und die Vielfalt an Providern sind zu ausschlaggebenden Merkmalen geworden.
Meiner Ansicht nach sind zukunftssichere Anbindungen des Rechenzentrums an das Internet und an andere WAN-Provider sowie direkte Verbindungen zu den Public-Cloud-Hyperscalern heute die entscheidenden Kriterien für die Auswahl eines Providers.
com! professional: Blicken wir noch kurz in die Glaskugel: Wie sieht die Rechenzentrumsbetreiber- und Hosting-Landschaft in Deutschland in wenigen Jahren aus?
Nicolay: Die Landschaft der Rechenzentrumsanbieter wird sich weiter konsolidieren. Durch bedarfsgetriebene Neubauten aufgrund der zunehmenden Nutzung von Cloud- und Streaming-Angeboten werden Mega-Data-Center mit 100 Megawatt Stromverfügbarkeit und mehr entstehen. Dies ist auch wichtig, da ohne geeignete Co-Location-Rechenzentren die Digitalisierung Deutschlands scheitert.
Im Hosting- und Private-Cloud-Umfeld werden Automatisierung und Kundenportale die Antwort auf steigende Anforderungen sein. Standardlösungen kundenfreundlich und sofort bereitzustellen, wird zunehmend zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Hosting- und Cloud-Services werden sich in der Benutzerfreundlichkeit einander annähern. So verschwindet der Unterschied zwischen den heute schon unscharf gebrauchten Hosting- und Cloud-Begriffen völlig.
Doch eines bleibt gleich - unabhängig von der technischen Realisierung als Co-Location-, Hosting- oder Cloud-Service: Dienste in den Bereichen Beratung, Implementierung, Migration und Betrieb für die individuelle Anpassung standardisierter Module sind auch in Zukunft ein wichtiges Geschäftsfeld.
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