Auf dem Weg zur richtigen Blockchain-Strategie

Im Gespräch mit Martha Bennert von Forrester Research

von - 17.08.2020
Martha Bennert
Martha Bennert: Vice President und Principal Analyst bei Forrester Research
(Quelle: Forrester Research )
Martha Bennett, Vice President und Principal Analyst bei Forrester Research, erklärt im Gespräch mit com! professional, warum immer noch so viele Blockchain-Mythen existieren und wo sich der Einsatz von Blockchain wirklich lohnt.
com! professional: Von der Neuordnung der Finanzmärkte über die Revolution der Supply Chain bis hin zur fälschungssicheren Identität - die Blockchain soll so ziemlich jedes Problem lösen, das mit Transaktionen und Vertrauen zu tun hat. Was halten Sie von solchen Versprechungen?
Martha Bennett: Keine Technologie kann alle Probleme lösen und auch Blockchain ist keine Wunderdroge. Ich vergleiche die aktuelle Situation bei Blockchain gerne mit der von Internet und Mobilfunk Mitte der 1990er-Jahre. Die Aufregung um diese Technologien war damals groß, aber keiner wusste so recht, welches Potenzial wirklich in ihnen steckt. Das Handy, so lächerlich uns sein Funktionsumfang im Vergleich zu einem heutigen Smartphone erscheint, hat uns vom Schreibtisch befreit. In so einem frühen Stadium befindet sich Blockchain heute.
com! professional: In Ihrem Report „Blockchain In 2020: A CIO’s Guide To The 10 Most Prevalent Myths“ gehen Sie auf die häufigsten Irrtümer ein, die im Bezug auf Blockchain bestehen. Was hat Sie bewogen, dieses Dokument zu verfassen?
Bennett: In vielen Unternehmen herrscht immer noch die Vorstellung, die Blockchain-Technologie hätte bestimmte vorgegebene Eigenschaften, die man sich quasi einkaufen könne. Das ist aber mitnichten so. Man muss diese Eigenschaften sorgfältigst planen und hineinprogrammieren. Es ist beispielsweise ein Irrglaube, dass Blockchain-Technologie per se sicher ist. Es ist sehr einfach, eine Blockchain zu übernehmen, die beispielsweise nur aus zwei Knoten besteht. Wenn ich jemandem richtig Angst einjagen will, dann zeige ich ihm, wie viel - oder besser - wie wenig Rechenleistung man dafür braucht.
com! professional: Ein Vorteil der Blockchain, der immer wieder genannt wird, ist die verteilte, dezentrale Struktur. Müssen denn Blockchains prinzipiell dezentralisiert sein?
Bennett: Nein, das ist nicht zwingend notwendig. Man experimentiert auch schon mit firmenübergreifenden Smart Contracts, bei denen die Datenbank nur von einem Unternehmen gehostet wird, einfach weil man gemerkt hat, dass die Verwaltung einer Blockchain doch recht kompliziert ist. Eine komplette Dezentralisierung gibt es im Übrigen ohnehin nicht - und sie ist auch gar nicht wünschenswert. Es gibt immer Fälle, wo eine Zentralpartei eingreifen muss, etwa bei technischen Störungen oder Sicherheitsproblemen. Ob sie es nur mit Zustimmung und unter Aufsicht des gesamten Ökosystems tun darf oder selbstständig entscheiden kann, ist eine Frage des vereinbarten Regelwerks.
com! professional: Nach Ansicht des Autors und Technikexperten George Gilder wird Blockchain die Internetwirtschaft komplett umkrempeln und Geschäftsmodelle wie das von Google „hinwegfegen“. Macht die Blockchain auch Vermittler wie Airbnb oder Uber überflüssig?
Bennett: Ich möchte die genannten Firmen nicht verteidigen. Wenn ein Mittelsmann keinen Mehrwert mehr liefert, wird er nicht mehr gebraucht. In vielen Fällen wird man aber feststellen, dass es doch nicht so einfach ohne Vermittler­instanz geht. Nehmen wir das Beispiel Uber. Wenn ich ein Fahrzeug über den Dienst nutze und das Auto ist schmutzig oder der Fahrer unfreundlich, kann ich mich bei Uber beschweren. Was mache ich in so einem Fall bei einem dezentralen System? Es gibt wunderbare Szenarien von „Self-owned Cars“, autonomen, selbstfahrenden Autos, die über Smart Contracts gebucht und abgerechnet werden. Aber wen rufe ich an, wenn das Fahrzeug schmutzig ist? Den Vormieter? Und wenn der mir erklärt, er hätte es bereits in diesem Zustand übernommen? Auch wenn das jetzt ein simples Beispiel ist, so zeigt es doch das Grundproblem: Diese Nutzungsszenarien setzen voraus, dass alles gut läuft und alle Beteiligten ehrlich sind. Was passiert aber, wenn sich ein Betrüger einschleicht oder sich Teilnehmer nicht an die Regeln halten?
com! professional: Das heißt, ein Smart Contract kann die Nutzung regeln, versagt aber bei den Begleitfaktoren?
Bennett: Und bei der Nutzung selbst kann der Smart Contract nur die Regeln berücksichtigen, die in ihn hineinprogrammiert wurden. Nehmen wir wieder das Beispiel „Self-owned Car“: Was geschieht, wenn der Smart Contract nicht mehr erfüllt werden kann, etwa weil mein Konto leer ist oder die Verbindung zum Transaktions-Server abbricht? Bleibt das Auto dann einfach stehen - mitten auf der Autobahn, einer Kreuzung oder in einem unsicheren Stadtteil? Wer kümmert sich, wenn der Smart Contract nicht korrekt abgewickelt werden konnte? Wer ist verantwortlich? Solche Fragen müssen auf jeden Fall vorab geklärt werden.
com! professional: Wo ist der Einsatz von Blockchain Ihrer Ansicht nach am sinnvollsten?
Bennett: Wenn in verteilten Systemen mit vielen Beteiligten das bereits vorhandene Vertrauen zwischen den Vertragsparteien gestärkt werden soll, hat Blockchain Vorteile.
com! professional: Aber heißt es nicht immer, Blockchain brauche kein Vertrauen?
Bennett: Das ist der Bitcoin-Mythos, der sich leider hartnäckig hält. Transaktionen zwischen wildfremden Menschen ohne jede zusätzliche Sicherheit mögen funktionieren, solange sie sich wie bei Bitcoin rein auf der Blockchain abspielen. Sobald aber Güter oder Dienstleistungen ins Spiel kommen, braucht man Struktu­ren - und unter Umständen Drittparteien, die sowohl die Integrität der Daten als auch der Güter sicherstellen. Die Transaktionsdaten auf der Blockchain beweisen ja letztlich nur, dass ein Paket von A nach B geliefert wurde. Das heißt noch lange nicht, dass es auch tatsächlich das enthält, was der Empfänger bezahlt hat.
com! professional: Welche Faktoren entscheiden über den Erfolg eines Blockchain-Projekts?
Bennett: Ich sage immer gerne: „Blockchains are a team sport.“ Das heißt, nur wenn alle an einem Ökosystem Beteiligten wirklich bereit sind, ihre Daten zu teilen, hat das Projekt Chancen auf Erfolg. Man sollte sich immer Gedanken darüber machen, wie alle Teilnehmer von der Blockchain profitieren können. Wenn etwa Rechnungsläufe in einer Supply Chain automatisiert sind, kann die Rechnungsstellung einer Lieferung automatisch bei Übergabe der Fracht ausgelöst werden. Für die Transportfirma ist das ein Riesenvorteil, sie muss keine Rechnungen schreiben und kann sich sicher sein, zum vereinbarten Zahlungsziel das Geld zu erhalten. Die Bereitschaft, bei einem solchen System mitzumachen, dürfte ausgesprochen groß sein. Ein zweiter wesentlicher Faktor ist die Qualität der Daten. Bei Blockchain heißt es nicht „Garbage in, Garbage out“, sondern „Garbage in, Garbage forever“.
com! professional: Wie bewerten Sie eigentlich die Blockchain-Strategien Deutschlands und Europas?
Bennett: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, wenn sich staatliche Organisationen mit Zukunftstechnologien beschäftigen. Wenn man nicht weiß, wie etwas funktioniert, kann man sich kein eigenes Urteil über Sinn und Unsinn einer Technologie bilden. Ich halte es aber für unklug, sich zu sehr auf eine Technik wie Blockchain einzuschießen. Viel wichtiger wäre es, die vorhandenen Hürden auf dem Weg zur Digitalisierung zu beseitigen. Was nützt die schönste Blockchain-Initiative, wenn die Behörden digitale Dokumente nicht anerkennen und man alles auf Papier nachliefern muss?
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