Globaler „Internet-Computer“ auf Blockchain

Quelloffen und „unzerstörbar“

Einig ist sich Lubin mit Dfinity-Chef Williams, wenn es um die Abhängigkeit von den großen Plattformen geht. Das Problem werde durch die Konflikte zwischen den Big Playern des Internets und den kleineren Unternehmen, die von ihnen abhängig sind, im Lauf der Zeit weiter verschärft.
Das Bewusstsein der Öffentlichkeit für die Nachteile pro­prietärer Social-Media-Dienste hat in den letzten Jahren zugenommen. Auslöser dafür war nicht zuletzt die Weitergabe von Nutzerdaten durch Facebook an Cambridge Analytica. Die Verbraucher mögen sich über den Verlust an Kontrolle über ihre Daten und über deren Missbrauch ärgern, doch für Anwenderunternehmen, die sich auf „Big Tech“-Companys verlassen, seien die Risiken sogar existenzbedrohend, zeigt sich Williams überzeugt.
Denn die Schwergewichte können die Regeln für den Zugang zu unternehmenskritischen Ressourcen und Infra­strukturen - sprich zu den APIs - jederzeit nach eigenem Gutdünken verwalten. Williams führt das Beispiel des Spiele­entwicklers Zynga ins Feld, der sich auf Facebooks APIs verlassen hatte und 80 Prozent des Umsatzes über das Social Network erwirtschaftete. Als Facebook dann die „Spielregeln“ unerwartet geändert hatte, erlitt Zynga einen massiven wirtschaftlichen Rückschlag. Zwar wird Zynga heute wieder als Anlagetipp gehandelt, damals jedoch brach sein Aktienkurs um rund 40 Prozent ein. „Wir bauen die Infrastruktur für ein offenes LinkedIn, ein offenes Ebay, ein offenes AirBnB - der gleiche Service, aber offen“, so Dominic Williams. Linked­In etwa habe nach der Übernahme durch Microsoft unzähligen Software-Schmieden die Nutzung seiner APIs verweigert und die betroffenen Entwickler hängen gelassen, erinnert der Software-Spezialist. Das werde mit Dfinity niemals passieren, verspricht Williams.
Joseph Lubin
Joseph Lubin
Mitgründer von Ethereum
https://ethereum.org/de
Foto: Coinrevolution.com
„Sollte ein Drittel der Knoten des Dfinity-Netzwerks zeitweise für die übrigen Knoten nicht mehr erreichbar sein, könnte das gesamte Dfinity-Netzwerk zum Stillstand kommen.“

Starke Forschung

Dfinity hat ein starkes Forschungsteam in Zürich, zusätzlich zu je einem in Palo Alto und San Francisco in Kalifornien, in Deutschland und in Tokio. Zürich sei ein großartiger Standort für bestimmte Computing-­Bereiche und für Kryptografie, kommentiert Williams. Viele der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Dfinity in Zürich haben zuvor bereits bei etablierten IT-Schwergewichten wie IBM und Google ein bleibendes Erbe ihrer Innovationskraft hinterlassen.
Andreas Rossberg beispielsweise, Alumnus eines Post-Doc-Programms des Max Planck Institute for Software Systems, zeichnete zuvor bei Google Deutschland verantwortlich für die Entwicklung von V8, einer quelloffenen High-Performance-JavaScript- und WebAssembly-Engine, verfasst in C++. Die Engine wird im Browser Chrome und in Node.js eingesetzt. In seiner Rolle als Senior Staff Researcher & Engineer bei Dfinity habe Rossberg ein „Entwicklerteam von Superstars der Weltklasse“ aufgebaut, berichtet Jelena Djuric, ehemalige Community Managerin bei Dfinity in Palo Alto.
Für Dfinity ist das Blockchain-Öko-System im Crypto Valley rund um Zug ein idealer Nährboden. „Ohne das Privileg, mit Talenten aus der Schweizer Crypto-Valley-Community zu arbeiten, wäre die Erschaffung des Internet-Computers von Dfinity keinesfalls möglich gewesen“, ergänzt Dfinitys Senior Research Engineer Movahhedi. „Das Crypto Valley ist eine wirklich einzigartige Umgebung für technische Innovationen.“
Auch die Nähe von EPF Lausanne und ETH Zürich spielten für Dfinity bei der Wahl des Standorts eine wichtige Rolle. Das Zürcher Forschungslabor von Dfinity leitet Jan Camenisch, mehrfach preisgekrönter Computerwissenschaftler. Camenisch ist für seine wissenschaftlichen Pu­blikationen zu Kryptografie und Datenschutz sowie für mehrere Patente bekannt. Außerdem ist er Fellow des Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE), einem weltweiten Berufsverband von Ingenieuren hauptsächlich aus der Elektro- und Informationstechnik. Der Verband definiert beispielsweise Parameter für Schnittstellen wie den USB-Anschluss.
Dfinity hat die Latte sehr hoch gelegt. Den Internet-Stack komplett neu zu erfinden, ist sicherlich keine leichte Aufgabe. Die Rückendeckung durch Investoren wie die Venture-Capital-Firma Andreessen Horowitz, Polychain Capital und SV Angel verspricht jedenfalls ein gewisses Durchhaltevermögen. Noch vor Vorstellung finaler Produkte wurde der Marktwert von Dfinity auf etwa 2 Milliarden Dollar taxiert.
Die Plattform von Dfinity soll langfristig die IT-Kosten der Unternehmen senken. Denn IT-Systeme und ihre Wartung verschlingen aus Sicht des Start-ups viel zu viel Geld. Für die Big-Tech-Konzerne gebe es „absurde“ Anreize, IT-Systeme „überzukomplizieren“, um die betroffenen Nutzer in diesen komplexen Systemen zu halten.
Sein Internet-Computer könne eine Alternative zum 3,8 Billionen Dollar teuren Legacy-IT-Stack sein, warb sein Gründer gegenüber dem Medium „TechChrunch“ für seine Technologie-Vision und fügte an, das werde die nächste Generation an Entwicklern fördern, die neue manipulationssichere Software auf Enterprise-Niveau und offene Web-Services entwickeln wollen. Wenn es nach Dominic Williams geht, könnte Dfinity Anwender­unternehmen im KMU-Segment kaum schnell
genug mit einer quelloffenen Alternative zu althergebrachten Modellen der Software-Entwicklung und -Bereitstellung befreien. Die ersten großen Dfinity-Anwendungen „made in Switzerland“ avisiert das Unternehmen für die kommenden zwei Jahre.
Hintergrund
Nach der Welle der Kryptowährungen schafft eine neue Generation von Start-ups neuartige Architekturen auf Basis von Kryptotechnik. Zu ihnen zählt Dfinity. Das Team um Gründer Dominic Williams entwickelt eine dezentrale webbasierte Compute-Plattform, den Internet-Computer. Auf ihm sollen neuartige Applikationen betrieben werden, die unter anderem sicherer sind als heutige Software.
Basis bilden Kryptotechnologien und das selbst entwickelte Internet Computer Protocol (ICP), ähnlich dem TCP/IP-Protokoll. Das ICP soll kompatibel mit heu­tigen Web-Protokollen und Standards sein. Damit der Internet-Computer läuft, benötigt er zudem eine Grundmenge an Rechenzen­tren, die als Nodes dienen. Fachleute zeigen sich von Dfinitys Ansatz begeistert, sehen aber auch hohe Hürden.
Anwenderunternehmen stellt das Start-up weniger Abhängigkeiten von großen Tech-Anbietern in Aussicht. Dfinity spricht von Legacy-IT im Wert von 3,8 Billionen Dollar, die man ablösen will. Sollten die Konzepte von Firmen wie Dfinity, Polkadot und anderen praxistauglich werden und Anklang am Markt finden, dürfte der IT-Welt ein Paradigmenwechsel ungeahnten Ausmaßes bevorstehen.
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