Die besten Use Cases für die Blockchain

Im Gespräch mit Dr. Dirk Siegel, Partner bei Deloitte

von - 11.03.2020
Dr. Dirk Siegel
Dr. Dirk Siegel: Partner bei Deloitte
(Quelle: Deloitte )
Dirk Siegel ist Partner bei Deloitte und Leiter des Deloitte Blockchain Institute. Im Interview mit com! professional beschreibt er eine Reihe sinnvoller Einsatzszenarien für die Blockchain und erläutert, was für eine Rolle geschlossene Ökosysteme dabei spielen können.
com! professional: Herr Siegel, was macht das Deloitte Blockchain Institute?
Dirk Siegel: Im Blockchain Institute bringen wir unsere Kunden seit nunmehr vier Jahren mit Experten zum Thema Blockchain zusammen und unterstützen bei aktuellen Fragestellungen rund um die Blockchain-Technologie. Das Portfolio reicht von strategischer Beratung, dem Beschreiben von passenden Use Cases bis hin zur Umsetzung konkreter Projekte.
Wir erarbeiten Blockchain-bezogene Lösungen für alle Branchen, und zwar vor allem in den Bereichen digitale Identität, transaktionale Prozesse, Supply Chain/Logistik und Internet of Things (IoT). Und wir kooperieren dabei mit Start-ups, die sich auf Blockchain-Use-Cases spezialisiert haben.
Bei Deloitte sind wir mit Beratern, Risikoanalysten, Wirtschaftsprüfern, Juristen und Steuerexperten sehr breit aufgestellt. Wir bündeln all diese Fähigkeiten und decken mit dieser umfassenden Sicht die technischen, fachlichen und rechtlichen Fragestellungen der Blockchain vollständig ab.
com! professional: Mit der Gründung des Blockchain Institute waren sie ja sehr früh dran. Seit der Goldgräberstimmung im Jahr 2017, als der Wert der digitalen Währung Bitcoin auf annähernd 20.000 Dollar stieg, hat sich die Euphorie um die Kryptowährung und auch um die zugrunde liegende Blockchain- oder Distributed-Ledger-Technologie stark gelegt. Wo sehen Sie die Entwicklung der Blockchain aktuell? Wird die Technologie überschätzt?
Siegel: Es gab damals tatsächlich einen großen Hype, den wir so nicht nachvollziehen konnten. Dieser Hype ist aber jetzt vorbei. Und das ist gut so. Wir dürfen grundsätzlich Bitcoin und Blockchain nicht gleichsetzen. Der Bitcoin-Kurs ist kein Indikator für den Nutzen, den Blockchain-Technologie insgesamt stiften kann. Die Technologie kann viel mehr, als Plattform für Kryptowährungen zu sein.
Im Moment trennt sich die Spreu vom Weizen. Es geht um solide, nüchterne Projekte und nicht mehr darum, schnelles Geld zu machen, wie es beispielsweise 2017 bei einigen Crowdfunding-Initiativen - Stichwort ICOs - der Fall war.
com! professional: Könnten Sie ein Beispiel für ein derartiges solides Projekt nennen?
Siegel: Ein Beispiel ist die B3i-Initiative (Blockchain Insurance Industry Initiative), mit der Erst- und Rückversicherer den Nutzen der Distribu­ted-Ledger-Technologie für die Versicherungswirtschaft aufzeigen. B3i wurde im Oktober 2016 als Konsortium gegründet und ist seit 2018 als B3i Services AG in Zürich tätig. Beteiligt - und zwar als Nutzer und Eigentümer - sind 18 namhafte globale Erst- und Rückversicherer sowie Versicherungs-Broker.
Wir haben B3i von der Erstberatung bis zur Umsetzung unterstützt. Die Initiative zeigt, wie sich mit Hilfe der Blockchain Transaktionen und Datenaustausch zwischen Erst- und Rückversicherern effizienter gestalten lassen. Ein Beispiel ist die mittlerweile umgesetzte Lösung für eine bestimmte Art von Rückversicherungsverträgen, über die beteiligte Versicherer einfach und sicher Bedingungen aushandeln, Tarife vereinbaren und Verträge abschließen und abwickeln können.
com! professional: Für welche Anwendungsszenarien ist die Blockchain wirklich sinnvoll?
Siegel: Das Beispiel B3i steht für einen sehr sinnvollen allgemeinen Use Case, nämlich die Übertragung von Rechten und Werten innerhalb eines geschlossenen Ökosystems. In diesem Fall handelt es sich um eine Gruppe von Versicherungen. Mit Hilfe der Blockchain werden Transaktionswege automatisiert, digitalisiert und somit effizienter gestaltet. Vorher liefen die Transaktionen über E-Mail, Fax oder per Brief. Die Blockchain ist eine sichere Technologie, da nicht manipulierbar. Alle Transaktionen werden verschlüsselt und unveränderlich gespeichert; die Inhalte sind nur für die jeweils beteiligten Parteien sichtbar. Jeder Teilnehmer am Ökosystem ist gleichberechtigt.
Um ein Bild zu gebrauchen: Aufgrund der genannten Eigenschaften werden Blockchain-Plattformen für die Prozesse zwischen den Unternehmen das werden, was ERP-Systeme wie SAP seit den 1990er-Jahren für die Prozesse innerhalb der Unternehmen sind.
com! professional: Transaktionen innerhalb eines geschlossenen Ökosystems würden auch auf Lieferketten zutreffen.
Siegel: Ja. Die Blockchain liefert hier Klarheit und Transparenz. Mit ihr lassen sich Lieferketten inklusive Herkunftsbeziehungen lückenlos nachweisen. Geht das Produkt von einem Lieferanten zum nächsten über, wird das unveränderlich - als Transaktion in der Blockchain - dokumentiert.
Ich sehe bei diesen „Track & Trace“-Use-Cases auch eine große Relevanz für Nachhaltigkeit und Compliance: Bei Compliance geht es ja darum, dass man sich an vom Gesetzgeber oder vom Unternehmen selbst vorgegebene Regeln hält. Das kann zum Beispiel bedeuten, nur Güter bestimmter Herkunft zu verwenden. Ob ein Produkt entlang der Lieferkette aber tatsächlich ohne Raubbau oder Kinderarbeit gewonnen beziehungsweise hergestellt wurde, lässt sich bislang nicht immer mit Sicherheit sagen. Ein Track & Trace auf Basis von Blockchain-Technologie würde hier Abhilfe schaffen.
Blockchain-basierte Lösungen können auch im Bereich Trade Finance hilfreich sein: Transaktionen über die Blockchain lösen hier ältere, wenig effiziente, teils noch auf Papier und Fax basierende Prozesse ab.
com! professional: Welche weiteren sinnvollen Einsatzszenarien für die Blockchain sehen Sie?
Siegel: Sehr wichtig ist die Blockchain natürlich als Basis für digitale Währungen und die Übertragung von Werten. Das funktioniert gut, siehe Bitcoin, Ethereum und andere Cryptocurrencies; dieser Mechanismus kann, wenn der regulatorische Rahmen dafür stimmt, auf eine Vielzahl anderer Werte/Assets ausgeweitet werden, etwa auf Wertpapiere oder nicht finanzielle Assets.
Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf Daten des Meldewesens. Dass bestimmte Daten an Aufsichtsbehörden gemeldet werden müssen, betrifft fast alle Branchen. Diese Daten können revisionssicher in der Blockchain gespeichert werden - jeder Datenverarbeitungsschritt wird dokumentiert und kann nachgewiesen werden. Das erschwert Datenmanipulationen wie sie etwa im Vorfeld der Finanzkrise stattgefunden haben.
Sehr interessant ist auch das Thema Identitätsmanagement. Personen können ihre Identitäten in ihren Rollen als Mitarbeiter oder Kunde eindeutig nachweisen, indem sie Dokumente wie Geburtsurkunden, Zeugnisse, Führerschein oder auch Bordkarten durch Blockchain-Technologie gesichert abspeichern. Über einen Private Key haben sie alleinigen Zugang zu diesen Daten und können sie gezielt teilen, das heißt, sie geben nur die in der spezifischen Situation minimal benötigten Informationen weiter.
com! professional: Wo liegen die Herausforderungen und Risiken der Blockchain?
Siegel: Bei den Prozessen, über die wir reden, geht es ans Eingemachte: Identität, die Übertragung von Werten und Rechten und so weiter. Daher stehen Vertrauen, Sicherheit und Verlässlichkeit im Zentrum aller Überlegungen. Die Messlatte liegt hoch. Noch gibt es keine Blockchain-Technologie, die quasi allgemein akzeptiert und genutzt wird. Das aber wird sich ändern, wenn eine Blockchain-Technologie über einen längeren Zeitraum nachweislich sicher funktioniert und zusätzlich in einen akzeptierten rechtlichen und regulatorischen Rahmen eingebunden ist - auch international.
com! professional: Sie haben das Thema Standards angesprochen. Es ist ja immer wieder die Rede vom Problem der 1.000 Blockchains …
Siegel: Die Blockchain-Technologie hat sich tatsächlich stark ausdifferenziert, es gibt in der Tat Hunderte Varianten. Doch es bilden sich erste Standards aus, die sich sehr gut für Ökosysteme wie das erwähnte B3i eignen, darunter R3 Corda oder Hyperledger der Linux Foundation. Ökosysteme nutzen, im Gegensatz zur Bitcoin-Blockchain, geschlossene Blockchains, denen nicht jeder beitreten kann. Stattdessen entscheiden die Teilnehmer über neue Mitglieder und geben diesen kontrolliert Zugang zum Netzwerk ihrer Blockchain. Bei B3i beispielsweise sind nur ausgewählte Teilnehmer des Versicherungsmarkts dabei; sie betreiben die dezentralen Knoten der Blockchain.
Ein Vorteil geschlossener Blockchain-Netzwerke liegt darin, dass es viele Sicherheitsprobleme nicht gibt, die bei offenen Blockchains die aufwendigen Konsensverfahren (wie das energieverzehrende Mining bei Bitcoin) erfordern. Sie sind daher schneller und haben keinen höheren Energieverbrauch als konventionelle IT.
Für die weitere Entwicklung sind Standards für die Kommunikation zwischen den geschlossenen Blockchains wichtig, damit sich die entstehenden Ökosysteme miteinander verbinden können.
com! professional: Wie profitieren Unternehmen von der Blockchain?
Siegel: Im täglichen Business bietet die Technologie außergewöhnliche Möglichkeiten, um Geschäftsprozesse zu vereinfachen und zu automatisieren, insbesondere transaktionale Prozesse, die die Grenzen von Unternehmen/Unternehmenseinheiten überschreiten und daher heute ineffizient sind. In geschlossenen Ökosystemen erfolgen die Transaktionen zwischen den Teilnehmern ohne vermittelnde Zwischeninstanzen, das heißt Peer-to-Peer. Das spart Zeit und Kosten.
Es lohnt sich also für Unternehmen, in diese Technologie zu investieren, Fähigkeiten aufzubauen und Prototypen zu entwickeln. Sie dürfen aber nicht mehr von der Technologie her denken, sondern vom Use Case und vom Ökosystem her. Ein konkreter Business-Case muss vorhanden sein. Die Zeiten des reinen Experimentierens sind vorbei.
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