Bessere Entscheidungen mit People Analytics

Quantitative Analysen für mehr Fairness

von - 01.04.2016
Prof. Dr. Torsten Biemann
Prof. Dr. Torsten Biemann
Lehrstuhl für ABWL, Personalmanagement und Führung
www.uni-mannheim.de

Interview

Torsten Biemann leitet den Lehrstuhl für Allgemeine BWL, Personalmanagement und Führung an der Universität Mannheim. Im Interview erklärt er, warum die meisten Personalabteilungen noch längst nicht so weit sind, People Analytics sinnvoll einsetzen zu können.
com! professional: Herr Professor Biemann, Sie beschäftigen sich mit der Wirksamkeit von Methoden im Personalmanagement. Welchen Anteil da­ran haben Algorithmen und Big-Data-Analysen?
Torsten Biemann: Den größten Einfluss haben solche Methoden auf die Personalsuche. Sie erlauben es, geeignete Kandidaten in der Masse von Bewerbern  schneller und sicherer zu identifizieren. Im nächsten Schritt, der Personalauswahl, können quantitative Analysen für mehr Fairness sorgen. Ein ausländisch klingender Name verringert etwa die Chance, zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, das zeigen zahlreiche Studien. Ein Algorithmus schaut dagegen nicht auf das Foto oder den Namen des Kandidaten.
com! professional: Haben Kandidaten mit nicht geradlinigen Lebensläufen dann überhaupt noch eine Chance?
Biemann: Wenn Bewerber mit ungewöhnlichen Lebensläufen für die Stelle geeignet sind, würde der Algorithmus auch das erkennen. Der Fachkräftemangel zwingt Unternehmen ohnehin schon, Kandidaten nach anderen Kriterien als nur nach Noten zu bewerten. Ein kluges Programm, das versteckte Talente aus den scheinbar weniger leistungswilligen und -fähigen Bewerbern herausfiltert, würde einen Wettbewerbsvorteil bedeuten.
com! professional: Welchen Vorteil bietet Big Data nach der Einstellung von Mitarbeitern, also etwa in der Personalentwicklung?
Biemann: In den meisten mittelständischen Unternehmen hat man gar nicht die Datenmengen, um Big Data in der Personalentwicklung sinnvoll einzusetzen. In der Regel ist die Zahl der Mitarbeiter ja wesentlich kleiner als etwa die der Kunden. Deshalb wird Big Data auch in absehbarer Zukunft dort kaum eine große Rolle spielen. Die Unternehmen legen außerdem Wert darauf, die Privatsphäre der Beschäftigten nicht zu verletzen. Datenschutz ist ihnen äußerst wichtig und die Personalabteilungen sind deshalb entsprechend vorsichtig.
com! professional: Ein Ziel von People Analytics ist es auch, Personalentscheidungen transparenter und deren Wirksamkeit besser messbar zu machen. Erfüllen die neuen Analysemethoden diese Erwartungen?
Biemann: Die meisten Unternehmen haben weder die relevanten Daten noch die Analysekenntnisse, um überhaupt festzustellen, ob eine Maßnahme wirkt oder nicht. Wir haben zum Beispiel für einen großen Betrieb die Wirksamkeit einer HR-Maßnahme getestet. Das Unternehmen hatte Morning Meetings eingeführt, bei denen sich die Mitarbeiter eine Viertelstunde lang über Probleme austauschen sollten. Wir haben gemessen, wie sich die Produktivität durch die Einführung der Maßnahme verändert hat. Das war für das Unternehmen das erste Mal, dass es überhaupt ein HR-Instrument auf seine Wirksamkeit geprüft hat. Aus meiner Sicht ist das aber der erste wichtige Schritt, bevor man über Big-Data-Analysen und Mustererkennungen in Profilen nachdenkt.
com! professional: Vielleicht wollen die Personalabteilungen sich ja gar nicht so gern überprüfbar machen?
Biemann: Die Angst, dass sich dann Maßnahmen als unwirksam herausstellen, ist durchaus vorhanden. Bisher reichte das Argument „Die Mitbewerber machen das auch“ als Rechtfertigung. Andererseits wird die Personalabteilung oft nicht für voll genommen, weil sie keine Zahlen liefern kann. Mehr Transparenz könnte also die Position der Personalabteilung im Unternehmen stärken.
Allerdings ist es viel schwieriger, den Erfolg einer Personalmaßnahme, etwa eines Führungskräftetrainings, zu messen, als den einer Marketingaktion. Das Einkaufsverhalten einer Zielgruppe ändert sich binnen Tagen oder Wochen. Ob ein Vorgesetzter die Erwartungen erfüllt, ob Auswahl und Coaching also erfolgreich waren, lässt sich oft erst Jahre später feststellen.
com! professional: Es gibt Anwendungen, die automatisiert Stellenanzeigen optimieren oder die Kündigungswahrscheinlichkeit von Mitarbeitern messen. Sind das sinnvolle Einsatzszenarien für People Analytics?
Biemann: Solche Anwendungen übersehen oft, dass die andere Seite ihr Verhalten an die neue Situation anpassen kann. Das ist wie mit Google und der Suchmaschinenoptimierung. Genauso werden Stellensuchende oder Mitarbeiter ihr Verhalten verändern, wenn sie erfahren oder mutmaßen, dass bestimmte Algorithmen zur Anwendung kommen. Wenn ein Unternehmen zum Beispiel die Kündigungswahrscheinlichkeit daran misst, ob ein Mitarbeiter auf Stellenbörsen surft, dann könnte ein Angestellter das bewusst ausnutzen, obwohl er vielleicht gar nicht gehen, sondern nur eine Gehaltserhöhung herausschlagen möchte.
com! professional: Es läuft also auf einen Wettlauf zwischen Unternehmen und Mitarbeiter beziehungsweise Bewerber hinaus?
Biemann: Im Prinzip ja, allerdings sind wir davon noch meilenweit entfernt. Die Personalabteilungen fangen überhaupt erst an, Daten zu sammeln.
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