Der Game Changer Blockchain

Alles lässt sich über die Blockchain "sharen"

von - 07.06.2016
Andere Unternehmer glauben, dass sich die noch junge Sharing Economy mithilfe der Technologie neu aufstellen ließe. Das Start-up Slock.it mit Sitz im sächsischen Mittweida baut auf die Dienste des Blockchain-as-a-Service-Anbieters Ethereum auf. Geplant ist ein kleiner Computer, eine Art Universalzugang zur Blockchain, erzählt Christoph Jentzsch, Mitgründer und CTO von Slock.it: "Der Ethereum-Computer ermöglicht, alle denkbaren Smart Devices über die Blockchain zu steuern und über die gleiche Infrastruktur auch Geldzahlungen zu empfangen. So ließe sich ein Smart Lock einer Wohnungstür, an einem Fahrrad oder einem Schließfach steuern, ein Autoschloss oder auch eine Steck­dose." Ein im wahrsten Sinne des Wortes Internet der Dinge soll entstehen, über das lange nur geredet wurde. Alles, was sich per smartem Schloss an- und aufschließen lässt, könnte Teil einer deutlich dezentraleren Sharing Economy werden.
Für jedes Produkt, das verliehen werden soll, wären Standort und Nutzungsgebühren hinterlegt. Per Blockchain überweist der interessierte User eine Kaution auf ein Treuhandkonto und kann dann das ­smarte Schloss öffnen. Nach Ablauf der Nutzung wird die Sharing-Gebühr von der Kaution abgezogen und an den Inhaber des jeweiligen Gegenstands transferiert, der Rest des Geldes fließt zurück. Auch Slock.it steht noch am Anfang der Planung. An den Details des Geschäftsmodells wird noch gefeilt. Vom Ethereum-Computer existiert ein funktionierender Prototyp, der Anfang 2017 marktreif sein soll. Christoph Jentzsch glaubt, dass die Blockchain bestehende Machtverhältnisse in der Netzwirtschaft verändern kann: "Unternehmen wie Airbnb oder Uber, die wir heute als Disruptoren bezeichnen, sitzen auf einem Schatz an Daten und haben damit fast einen ganzen Markt übernommen. Die Vorstellung, diese Mittelsmannposition mithilfe einer dezentralen Technologie zu ersetzen, hat einen großen Reiz".

Smart Contracts statt klassischer Verträge

Sollten sich "smarte Verträge" durchsetzen, die beim Vorliegen bestimmter Parameter - per Rechner-Netzwerk auf ihre Legitimität überprüft - automatisch ausgeführt werden, könnte eine Branche verändert werden, die bisher größtenteils von der digitalen Umwälzung verschont geblieben ist: die der Anwälte und Notare.
Das US-Start-up Smartcontract.com bietet verschiedene Blockchain-basierte Vertragstypen an. Es gibt etwa einen Grundstücksvertrag, bei dem der Kaufpreis vom Blockchain-Treuhandkonto fließt, sobald der neue Eigentümer im Grundbuch vermerkt wurde. Der sonst übliche - und ­teure - Gang zum Notar wird überflüssig. Bei einem Liefervertrag wird der Weg der Ware von der Blockchain per GPS-Signal getrackt. Und auch SEO-Aufträge an Dienstleister lassen sich per Smart Contract regeln - der entsprechende Vertrag ist per Webformular mit wenigen Klicks erstellt. Ein Webseitenbetreiber nennt das anvisierte Keyword, die Google-Länderausgabe (also Google.com oder Google.de) und die Ranking-Position. Er überweist Geld auf ein Treuhandkonto. Ist das entsprechende Ranking erreicht, fließt der Betrag an die SEO-Agentur. Ein klassischer schriftlicher Dienstleistungs- oder Werkvertrag ist bei diesem Szenario nicht mehr notwendig.

"Ein radikal neuer Ansatz"

Steffen von Blumröder, Bereichsleiter Banking, Financial Services & Fintechs beim Branchenverband Bitkom, berichtet über ein immenses Interesse an der Technologie bei Bitkom-Mitgliedsunternehmen. Es gebe schon große Anwaltskanzleien, die zur Blockchain forschen. Und er schätzt, dass sich im Moment etwa 60 Prozent der Player aus der Finanzenwelt und auch der Technologieberatungen ­intensiver damit beschäftigen. Jede Branche schaue, inwiefern sie die Blockchain in ihr Geschäftsmodell integrieren kann. "Ich sehe die Blockchain einfach als ­Supertechnologie. Sie ist ein totaler Game Changer, mit einem radikal neuen ­Ansatz."
Kann die Blockchain mit ihrem dezen­tralen Ansatz tatsächlich die Dominanz der zentralen Netz-Oligopole brechen? Das wird nicht automatisch passieren, glaubt von Blumröder: "Die Marktmacht, die sich die Großen aufgebaut haben, wird nicht einfach so verschwinden. Es ist nicht so, dass sich die großen Internet-Plattformen in ihren Labs nicht darüber Gedanken machen, wie sie das adaptieren können." In den ersten Jahren waren die ­großen Firmennamen im Bitcoin/Blockchain-System nicht präsent, mittlerweile sind sie es aber schon. Microsoft arbeitet an ­einer Integration von Blockchain-Diensten in seine Cloud-Plattform Azure. Auch die Giganten IBM und Intel planen eigene Blockchain-Lösungen.
Wie genau die Technologie sich auswirken wird, lässt sich derzeit ­bestenfalls erahnen. Eigentlich alle Konzepte befinden sich noch in den Kinderschuhen. Oft ist man noch in einer ­geschlossenen Alphaphase oder einer ­Betaphase mit wenigen Pilotnutzern. Manchmal gibt es nicht mehr als ein visio­när formuliertes Whitepaper. "Es ist noch ein sehr junges Ökosystem und es professionalisiert sich aktuell. Ich gehe aber ­davon aus, dass wir in den nächsten zwei Jahren einige sehr vielversprechende ­Ansätze sehen werden", meint von Blumröder. Welche Dienste und Geschäftsmodelle es tatsächlich geben wird, sei heute noch nicht wirklich abzusehen. Aber er hält es doch für gut möglich, dass aus dem Hype - irgendwann ein wirkliches Mainstream-Thema wird.
Dieser Artikel wurde von Stefan Mey verfasst.
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