Die Disruptions-Maschine

Der Game Changer Blockchain

von - 07.06.2016
Digitale Weltkugel und Geld
Foto: Cherezoff / Shutterstock.com
Ist die Blockchain einfach nur ein neuer Hype, der bald vergessen sein wird? Oder ist die dezentral aufgebaute Datenbanktechnologie eine bahnbrechende Innovation?
So hatte sich das der Bitcoin-Erfinder Satoshi Nakamoto (ein Pseudonym) Ende 2008 sicher nicht vorgestellt: Seine Währungstechnologie war eigentlich als subversives Gegengewicht zu den großen Playern der Wirtschaft geplant, vor allem Banken sollten überflüssig werden. Doch gerade die gehören heute zu den emsigsten Erforschern der Technologie, die auf ­Nakamotos Ideen aufbaut.
Basis von Bitcoin ist das Prinzip der Blockchain: In einer dezentralen Datenbank werden anstehende Transaktionen von angebundenen Rechnern auf ihre Legitimität hin überprüft und alle zehn Minuten in einen digitalen Block gepresst. Der wiederum wird an die Kette der anderen Transaktionsblöcke angehängt. Der Bitcoin selbst hat sich zwar nicht wirklich durchgesetzt, die Technologie hinter der Cyberwährung sorgt aber trotzdem für Furore.
Der Grund: Irgendwann wurde klar, dass sich die Blockchain für sehr viel mehr nutzen lässt als nur für Geldtransfers. Wenn man den Bitcoin als eine Art Transportwährung zweckentfremdet, lassen sich ­andere Werte via Blockchain mit der jeweiligen Bitcoin-Transaktion gleich mittransferieren. Der jeweilige Wert wird dabei mit ­einem bestimmten Coin oder einem Teil davon verknüpft. Zudem lassen sich "Smart Contracts" bauen - Computerprotokolle, die Vertragsregeln automatisch ausführen. Die Idee bei den Blockchain-Konzepten ist es stets, Intermediäre überflüssig zu ­machen, die bei vielen Transaktionen und Prozessen als vertrauenswürdige Instanz zwischen­geschaltet werden. Das können Notare und Anwälte sein, Clearing-Stellen bei Überweisungen oder zentrale Internet-Plattformen wie etwa Uber.

Banktransaktionen schneller machen

Am größten sind die Erwartungen zurzeit in der Bankbranche. Alle bedeutenden Geldinstitute haben mittlerweile eigene Labs oder Schwerpunkte zur Erforschung der Blockchain. Das New Yorker Start-up R3Cev will einen gemeinsamen Blockchain-Standard für Finanzinstitute entwickeln. Die größten globalen Akteure der Branche sind an R3Cev beteiligt: UBS ­etwa, die Deutsche Bank, Goldman Sachs und Unicredit. Im Raum steht eine Schätzung der spanischen Banco Santander, nach der die Branche mithilfe der Blockchain jährlich 20 Milliarden US-Dollar an ­Infrastrukturkosten sparen könnte.
Bernd Richter, langjähriger Branchenkenner und Banking-Experte, sieht viele Einsatzszenarien: "Potenziell jede Transaktion lässt sich über die Blockchain abwickeln. Jedes Konzept, bei dem ein Dritter in der Mitte eine Transaktion managt, könnte obsolet werden, egal ob es um Zahlungsverkehr geht, um Wertpapierhandel oder um das Akkreditivgeschäft." In den letzten 30 Jahren habe man jeweils auf schwerfällige, zentralisierte Systeme gesetzt und die kaum wirklich modernisiert. Jetzt komme eine Technologie, die das Zentralitätsprinzip ad absurdum führt.
Wertpapiertransaktionen und der normale Zahlungsverkehr könnten in wenigen Sekunden oder gar in Echtzeit abgewickelt werden, glaubt Richter. Er denkt auch an den Einsatz von Smart Contracts für das Akkreditivgeschäft - durch Banken abgesicherte globale Handelsgeschäfte, bei denen die Partner eine Kontrollinstanz ­benötigen. Üblicherweise fließen hier Teilbeträge, wenn eine Lieferung eine ­definierte Zwischenstation passiert. Dabei laufe vieles noch manuell ab, so gebe es ­etwa Banken, die per Telex mitteilen, dass eine Ware X den Hafen Y erreicht hat. Mit Smart Contracts ließe sich das automatisiert und deutlich eleganter lösen.

Ein anderes Rechtemanagement für die Musikindustrie

Die Musikindustrie gilt als ähnlich verschlafen, gefangen zwischen den Ansprüchen großer Rechteinhaber-Instanzen. Das vor einigen Jahren mit großen Erwartungen gestartete Projekt einer Global-­Repertoire-Datenbank war 2014 an eben diesen Partikularinteressen von Labels, Musikverlagen und Verwertungsgesellschaften gescheitert.
Das US-Start-up Ujo will eine Blockchain-basierte Repertoire-Datenbank aufbauen, in die Musiker ihre Songs mit allen nutzungs- und lizenzierungsrelevanten Metadaten einpflegen. Es wird festgelegt, wie viel ein Download oder ein Stream durch einen User kostet, ein Remix durch einen Kollegen, und welche Konditionen für die Verwertung durch andere Streaming- oder Download-Plattformen gelten. Zudem werden stets "Revenue Splits" definiert. Sobald Erlöse auflaufen, werden sie in Echtzeit anhand des vorgegebenen Schlüssels ausgeschüttet.
Ujo befindet sich noch in einer ­geschlossenen Alphaphase. Bisher gibt es eine Pilotnutzerin, die technikbegeisterte britische Sängerin Imogen Heap hat einen Song eingestellt. Das Geld, beispielsweise 0,60 US-Dollar-Cent für einen Download ­ihres Lieds "Tiny Human", würde an sie ­gehen, an den Tonmeister und die Streicher der jungen Deutschen Philharmonie, die ihren Song untermalt haben.
In diesem Revenue Split tauchen klassische Intermediäre wie Labels oder Musikverlage gar nicht mehr auf. Mit der Blockchain lassen sich die Kräfteverhältnisse in der Musikbranche grundsätzlich verändern, meint Jesse Grushack, Projektleiter von Ujo. "Die Blockchain-Technologie wird die Branche stark verändern, denn sie wird die überflüssig machen, die mehr Wert abziehen, als sie selbst bereitstellen." Wenn Musiker über die Blockchain direkter und effizienter mit ihren Fans interagieren können, lasse sich so dafür sorgen, dass sie fairer als bisher an den Erlösen ihrer Werke beteiligt werden, meint Grushack. "Wir sind der Meinung, dass Künstler nicht hungern sollten, und die Produktionsfirmen sollten nicht mehr verdienen als die Künstler selbst. Wir glauben an eine faire und transparente Musikindustrie."
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