Moderne Arbeitswelten

New Work erfordert ein New Office

von - 06.09.2021
Foto: Vitra
Offene Bürolandschaften für den Gedankenaustausch und Spielzimmer wie bei Google – das Büro von morgen soll inspirieren und die Mitarbeiter sollen sich wohlfühlen.
Jede Laufmasche zerrt an den Nerven. Jeder schlecht sitzende Rock wird zum Problem“. So beschwerte sich bereits im September 1965 eine Sekretärin über das Großraumbüro in der Verwaltung des ehemaligen Kaufhauskonzerns Horten. Der Artikel im „Spiegel“ mit dem Titel „Schrei der Damen“ zeigt eindrucksvoll, dass die Arbeitsumgebung schon immer einen großen Einfluss auf die Mitarbeiter ausgeübt hat. Und dass die heute weit verbreiteten großen Büroräume bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren kontrovers diskutiert wurden.
Heute sehen Büros anders aus als vor 60 oder 70 Jahren. Es sind zum Beispiel helle, offene und flexible Bürolandschaften mit geräumigen Lounges für den Gedankenaustausch entstanden, wo auch moderne Kunst ihren Platz hat. In der vor wenigen Jahren neu eröffneten Siemens-Zentrale in München etwa erinnert nur wenig daran, dass die 1200 Mitarbeiter bei einem gut 150 Jahre alten Traditionskonzern arbeiten. Zwar sind die Büros von Siemens weit entfernt von den bekannten bunten Google-Offices oder den Büros manch eines Start-ups – aber sie zeigen einen deutlichen Trend in der Arbeitswelt: Vorbei sind die Zeiten der trist-grauen Räume mit langweiligen, unergonomischen Möbeln und dem ebenso grauen Standard-Filzteppichboden, der oft über Jahre hinweg so einiges an Schmutz zu schlucken hatte.
Sieht man sich die Büros von Google, Facebook & Co. an, dann wirken diese eher wie große Spielzimmer. Neben dem obligatorischen Kicker, ohne den heute kein Büro mehr auszukommen scheint, finden sich bei Start-ups und den großen Internetfirmen Rutschen zur Zwischendurch-Bespaßung und sogar Räume, die, um zu inspirieren, aussehen wie Großmutters Wohnzimmer von anno dazumal.
„Derartige Raumdesigns sind sicherlich eine Variante der Arbeitsplatz- beziehungsweise Bürogestaltung“, so Eckhard Gerber, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Gerber Architekten. „Aber sowohl der individualisierte, auf die persönlichen Bedürfnisse und Vorlieben ausgerichtete Arbeitsplatz wird bestehen bleiben als auch flexible Arbeitsplätze im Teamverbund“, ist er sich sicher.
Auch Klaus de Winder, geschäftsführender Gesellschafter bei de Winder Architekten, glaubt nicht, dass solche Raumkonzepte in die Zukunft weisen. Er hält sie vielmehr für einen Trend der frühen 2000er-Jahre, „als daran geglaubt wurde, dass sich Arbeitsplätze als ‚Playground‘ und unbedingt anders als der Mainstream darstellen müssen“. Diese Lösungen waren seiner Wahrnehmung nach weniger für die Mitarbeiter als für die Außenwirkung gedacht. Eine echte Identifikation finde dadurch nicht statt. „Die Spielzimmer waren sicherlich ein wichtiger Impuls, anders über Arbeitsmöglichkeiten nachzudenken“, so de Winder. Sie bilden jedoch seiner Einschätzung nach nicht die Arbeitsplätze der Zukunft ab.

Corona und seine Folgen

Doch wie sieht das Büro von morgen denn nun aus? Und wie beeinflusst die Corona-Pandemie das künftige Bürodesign?
Siemens hat mittlerweile das mobile Arbeiten als „neue Normalität“ etabliert. Die Mitarbeiter des Konzerns können im sogenannten New Normal Working Model weltweit zwei bis drei Tage pro Woche mobil arbeiten – sofern es sinnvoll und machbar ist. Der Mitarbeiter soll denjenigen Arbeitsort wählen, an dem er am produktivsten ist. Dieses hybride Arbeitsmodell soll ausdrücklich Arbeitsumgebungen wie Co-Working-Büros miteinschließen. Präsenzzeiten im Büro sollen das mobile Arbeiten sinnvoll ergänzen.
Klaus de Winder, Geschäftsführender Gesellschafter bei de Winder Architekten
Foto: de Winder / Mark Seelen
Spielzimmer wie bei Google sind ein Trend der frühen 2000er-Jahre, als daran geglaubt wurde, dass sich Arbeitsplätze als ‚Playground‘ und unbedingt anders als der Mainstream darstellen müssen.
Aber nicht erst seit Corona – und dem damit einhergehenden Trend zum Homeoffice beziehungsweise mobilen Arbeiten – wird in der Architektur die Frage diskutiert, wie viel Bürofläche man jedem Mitarbeiter beimessen sollte. Da auch nach Corona Homeoffice-Konzepte in vielen Unternehmen in einem bestimmten Umfang weiterexistieren werden, steht – sofern die Büroflächen erhalten bleiben – pro Mitarbeiter mehr Raum zur Verfügung, wodurch die zumindest derzeit noch notwendigen Hygieneabstände eingehalten werden können. Viele Unternehmen werden allerdings die Lage auch nutzen, um Kosten zu senken, und den einen oder anderen Büroquadratmeter weniger mieten. „Erfolgt jedoch eine Verkleinerung der Büroflächen, entstehen wahrscheinlich flexibel nutzbare Arbeitsplatzkonzepte, sodass ein Arbeitsplatz von unterschiedlichen, zeitlich versetzt im Büro anwesenden Mitarbeitern genutzt werden kann“, erklärt Eckhard Gerber. Je nachdem, wie dicht die Belegung der Räumlichkeiten bisher schon war, sei auch bei gleichbleibender Bürofläche ein partielles Ausweichen ins Homeoffice aufgrund der Hygienevorschriften zwischen den Mitarbeitern wahrscheinlich.
Auch das gehört mittlerweile zum modernen Büro – eine Hygienestation, mit der sich die Arbeitsplätze regelmäßig desinfizieren lassen.
(Quelle: Steelcase )

Eine Frage der Kultur

Bei allen Fragen rund um den notwendigen Platz für Mitarbeiter und das Design von Büros geht es immer auch um die Unternehmenskultur. Vielen Mitarbeitern ist eine für sie passende Unternehmenskultur nämlich wichtiger als eine schicke Arbeitsumgebung. Doch auch, wenn das Bürodesign als nachrangig angesehen wird, spiegelt es in gewisser Weise die Kultur eines Unternehmens wider.
„Die Unternehmenskultur oder heute auch vielfach ‚Purpose‘ genannt, wird einen immer stärkeren Stellenwert einnehmen“, betont de Winder. Aktuelle Studien zeigten, dass die Identifikation mit den Zielen des Unternehmens einen sehr hohen Wert bei den Mitarbeitern einnimmt. Zudem werde es für Unternehmen eine immer größere He­rausforderung, die alten und neuen Mitarbeiter für ihr Unternehmen zu begeistern. „Individuelle Raumkonfigura­tionen und Arbeitsbedürfnisse werden die Arbeitswelten stärker bestimmen, temporäres Arbeiten am zweiten und dritten Ort entscheidet zukünftig über die Ausgestaltung der Räume.“
Vorbei mit der Tristesse: Moderne Büros wirken eher wie Wohnzimmer, in denen sich Mitarbeiter gerne aufhalten.
(Quelle: Steelcase )
Laut Eckhard Gerber haben die Mitarbeiter ein Bedürfnis nach besonderen und anspruchsvollen Arbeitsplätzen bezogen auf Gebäude und Raum und auf ansprechende Raumsituationen mit einer guten Atmosphäre und schönen Ausblicken. „Es wird da­rauf ankommen, wie flexibel solche Bürokonstrukte entwickelt sind, um den unterschiedlichen Bedingungen der jeweiligen Arbeitsvorgänge zu entsprechen.“
Neben der Unternehmenskultur wird künftig einer der wichtigsten Aspekte für Unternehmen sein, wie man gute oder sogar überdurchschnittliche Mitarbeiter bekommt. Und hier liegt man im Wettbewerb mit seiner Konkurrenz. „Das bessere Arbeitsangebot eines besonders attraktiven, modernen und vielleicht avantgardistischen Arbeitsplatzes wird bei dem Kampf um die guten Mitarbeiter einen wichtigen Aspekt darstellen“, ist sich Gerber sicher.
Samir Ayoub, CEO und geschäftsführender Gesellschafter bei designfunktion
Foto: designfunktion
Effizient gestaltete Arbeitswelten stärken das Potenzial jedes Einzelnen und sollten das Vertrauen und den Respekt des Arbeitgebers vermitteln.
Samir Ayoub ist der Auffassung, dass bislang noch zu oft unterschätzt wird, welchen Einfluss die Gestaltung von Büros auf die Unternehmenskultur und die Arbeitseffizienz hat. Ayoub ist CEO des Workplace-Consulting- und Büroplanungsunternehmens designfunktion. „Effizient gestaltete Arbeitswelten stärken das Potenzial jedes Einzelnen und sollten das Vertrauen und den Respekt des Arbeitgebers vermitteln.“ Selbstverständlich spiele das Design eine große Rolle. Bei der Gestaltung der Räumlichkeiten demonstriere der Arbeitgeber seinen Anspruch an Ästhetik, an funktionale Ausstattungsmerkmale und nachhaltige Produktionsmethoden. Sein Rat: „Arbeitgeber sollten sich bewusst machen, dass sie zum Impulsgeber werden. Sie haben viele Möglichkeiten, den Identifikationsprozess zum Unternehmen sowohl im Office als auch zu Hause aktiv zu gestalten.“

Funktion vor Design

Ob modernes Spielzimmer oder gediegenes Bürodesign – oft werde nicht berücksichtigt, dass die Umgebung immer auch funktionell sein müsse, meint Fabian Mottl. Mottl ist Communications Manager bei Steelcase, einem Spezialisten für Büromöbellösungen. Er betont, dies gelte für alle Bereiche des Arbeitsplatzes – egal ob man mit Kollegen Kaffee trinkt, in Kleingruppen Brainstorming-Sessions durchführt oder konzentriert für sich allein arbeitet. Seine klare Meinung: „Mit einem Tischkicker oder einem Sofa ist es nicht getan.“ Vielmehr werde ein ganzheitliches Raumkonzept benötigt. „Ein einfacher Zugang zu Stromzufuhr, geeignete haltungsunterstützende Sitzmöglichkeiten oder Ablageflächen sind dabei einzelne Faktoren, die da­rüber entscheiden, ob diese Orte auch wirklich genutzt werden oder nicht.“

Material, Akustik und Olfaktorik

Menschen nehmen ihre Umgebung mit all ihren Sinnen wahr, daher spielen beispielsweise die Materialien, die Akustik oder auch Gerüche beim Design der Arbeitsumgebung eine nicht unbedeutende Rolle. Arbeitsplatzdesigner setzen daher zum Beispiel auf beruhigende Naturelemente und lassen diese über Formen und Materialien in Arbeitsbereiche einfließen.
Fabian Mottl von Steelcase spricht in diesem Zusammenhang von Biophilie, also dem angeborenen Wunsch des Menschen, eng mit der Natur und dem Lebendigen verknüpft zu sein – „so werden steril wirkende Arbeitsumgebungen zu Orten, wo Menschen sich wohlfühlen.“ Darüber hinaus könne etwa über Trennelemente, die mit speziellen Materialien ausgestattet sind, die Akustik geregelt werden. Diese Trennelemente dienen zugleich als Sichtschutz und schaffen Privatsphäre, ergänzt Mottl.
Dass die sinnlichen Erfahrungen auch in der Arbeitswelt ihre Bedeutung haben und nicht nur den Wohn- und Kulturräumen vorbehalten sein sollten, unterstreicht auch Klaus de Winder. So bleibe die Bedeutung von Licht, Luft und Akustik als Einflussfaktor in der Gestaltung von Arbeitsräumen wichtig. Es sei spannend, wie sich dies weiterentwickeln werde. „Ob auch Gerüche dazukommen, wird sich zeigen.“ In der Shopping-Welt gebe es bereits einige Beispiele dafür, wie Unternehmen mit unterschiedlichen Gerüchen arbeiten, um Kunden zum Kauf zu bewegen. Da die Wahrnehmungen der Mitarbeiter jedoch auch künftig individuell und vielfältig blieben, vermute er, dass es schwer sein dürfte, im Büro einen für alle angenehmen Duft zu finden.
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